Stimmt schon, dieses Jahr war wieder mal ein bisschen zum Gehirnerweichen. Die Wahlen verliefen überraschend schlecht. Wie wir in unseren Wahlspecials feststellen durften, war es weniger überraschend, wer gewann, als wie. Auf einen Rechtsruck waren wir vorbereitet, es ging aber ziemlich hart nach rechts. Das wird unsere Gesellschaft verändern. Das Miteinander und das Übernehmen von sozialer Verantwortung wird schwieriger und ist deshalb umso wichtiger. Ab 20. Jänner 2025 wird Trump mit Massendeportationen beginnen und zeigen, wie Kakistokratie geht. Das hat nichts mit dem österreichischen »Kaki« zu tun, sondern bezieht sich auf das griechische »kakistos« (»am schlechtesten«). Ein seit der Antike bekanntes Phänomen, dass in Momenten des Zerfalls die jeweils schlechtesten und ungeeignetsten Kräfte die Herrschaft übernehmen. Trump macht vor, wie Kakistokratie geht, und baut ein Kabinett, in dem er selbst fast wie ein Normalo erscheint. Ein Impfgegner wird Gesundheitsminister, ein gewaltbereiter Alkoholkranker wird Verteidigungsminister, eine Wrestling-Promoterin, die sexualisierte Gewalt gegen Jugendliche vertuscht hat, wird Bildungsministerin – you name it! Das Blöde daran? Es funktioniert. Auch in Österreich sitzen die Trump-Clone-Clowns in den Startlöchern und haben die Macht teilweise bereits übernommen, so wie der neue steirische Landesvater Mario »Ups, die 1,8 Millionen sind verschwunden« Kunasek.
Rechtsextrem sein ist normal geworden und wir sollten nicht vergessen, wie sehr dies traumatisiert. Die ständige Abwertung unserer Mitbürger*innen durch Rassismus, Antisemitismus und Co. hinterlässt Wirkung bei den Menschen. Die »Remigration« geht nächstes Jahr vielleicht noch nicht in Europa los, aber Teile des Bürgertums haben sich von Demokratie, Rechtsstaat und sozialem Ausgleich bereits verabschiedet: Stehen Wahlen an, wählen sie den Untergang. Davon sollten wir sie abbringen! An den Feiertagen heißt es deshalb Kraft schöpfen beim Listenlesen, denn im nächsten Jahr ist viel zu tun. Keine Angst, ihr seid damit nicht allein. skug macht 2025 auf Demokratie wie noch nie. Wir entwickeln sogar ein digitales Spiel, damit Parlamentarismus für alle Fun wird. Wir machen Salons drinnen und draußen und ziehen damit hoffentlich sogar über die Dörfer, denn skug ist nicht nur Wien. Die deutschen Bundestagswahlen schauen wir uns vielleicht gemeinsam an und die Wien-Wahlen sicherlich auch – es kann ja nur besser werden. Die Schreibwerkstatt »untergründlich divers« wird ebenfalls mobil und an neuen Orten Menschen für den Journalismus begeistern, denn eines ist klar: Die Probleme von Klimakatastrophe bis hin zu Autoritarismus sind zwar gerade heftig, ihre Lösung kann aber nur einer differenziert aufgeklärten Öffentlichkeit gelingen. Dafür wird sich skug weiterhin einsetzen. Jetzt aber erstmal viel Spaß beim Stöbern!
Alfred Pranzl lost in multipolaren und Sound-Universen 2024
Wo zusehends Bosheit das immer kriegerische Ausmaße annehmende Weltgeschehen bestimmt, bedarf es 2024 einigermaßen Zuversicht, um auch auf der Insel der Seligen Austria Ohnmachtsgefühlen gegen die Allmacht des Konkurrenzhandelns entgegenzuwirken. Das an neuen erbaulichen Klängen reiche Musikjahr 2024 tröstet und hilft, Kraft für dieses Insistieren auf Liebe, Solidarität und Bildung zu gewinnen. Dazu Näheres in Teil 2 meines Rückblicks, doch zunächst soll etwas Licht in die dunklen Machenschaften einer immer oligarchischeren (Welt-)Politik gebracht werden.
Leider ist statt der alten regelbasierten Weltordnung ein multipolares Gegeneinander zu befürchten, wo Recht- und Regelbasiertes von interessengesteuerten Deals abgelöst wird. Statt exzessivem Individualismus bedarf es einer Ethik des Kollektiven, doch wie dies vermitteln, wo aufgeblasene Egos im Vorfeld von Wahlen die Bürger*innen massiv manipulieren? Vergeltungssüchtige Wähler*innen, deren Absinken in die Armut tatsächlich auch von den demokratischen Eliten nicht verhindert wurde, voten für Populisten und somit für deren libertäre Interessen. Deswegen ist die zum Schauspiel verkommene Demokratie in großer Gefahr bzw. bereits passé. US-Oligarchen kapern Demokratie und Staat. Georg Seeßlen analysiert in seinem Essay »Trump again« in »Konkret 12/2024« den künftigen Präsidenten als »verlogen, skrupellos, rachsüchtig«. Wie einst Al Capone wird dessen Nachfolger als Glamour-Kapitalist von allzu vielen geliebt und Seeßlen schlussfolgert: »Im jetzigen Stadium des Neoliberalismus kann der Kapitalismus seine Widersprüche nicht mehr in einer verbindlichen Fortschrittsgeschichte, aber auch nicht mehr im unendlichen Spaß für alle aufheben. Die Kulturrevolution in Form des Kulturkampfs von rechts entfesselt letztlich die überschüssigen Energien, um die in sich so illegitime wie unvernünftige Macht von System und Person zu retten.«
Seeßlen prognostiziert Tod und Trauma, und einiges über den Anteil »Der Achse der Autokraten« (Russland, China, Nordkorea, Belarus bis Syrien, Myanmar, Venezuela …) daran bringt Anne Applebaum ans Licht. Die diesjährige Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels widmet gleich zwei Kapitel den verheerenden Desinformationskampagnen, die hauptsächlich von Russland und China ausgehen und westliche Demokratien enorm unterminieren. Auch wenn der Fall des Diktators Assad und die Niederlagen der aus dem Iran gesteuerten Milizen gegen Israel den Kreml und Teheran geschwächt haben, bleibt Fakt: »Das Krebsgeschwür der Kleptokratie« (Kapitel 2) wird bestehen bleiben, wenn Steueroasen, wo die Gewinne aus kriminellen Geschäften weißgewaschen werden, nicht geschlossen werden. Diese Zufluchtsstätten für illegales Kapital stillzulegen, ist eine politische Entscheidung. Doch gibt es kaum noch Mitte-Links-Regierungen, die mit vereinten Kräften diese Notwendigkeit vorantreiben könnten.
Ingrid Robeyns zeigt in ihrer von Thomas Piketty empfohlenen »Pflichtlektüre« auf, dass die mangelnde Besteuerung des Überreichtums den Weg in den Faschismus befeuert. Unerklärlich ist, dass es keine großen Proteste gegen die astronomisch hohen Gehälter für CEOs gibt, die aus Profitgier Arbeiter*innen und Angestellte, die über die Jahrzehnte betrachtet einen Reallohnverlust zu beklagen haben, locker kündigen. »Limitarismus – Warum Reichtum begrenzt werden muss« ist der Titel dieses Buchs der belgisch-niederländischen Philosophin und Wirtschaftswissenschaftlerin, das Journalist*innen und Politiker*innen ständig zitieren sollten. Zieht man aus den Vermögen von Superreichen von Arnault bis Bezos einen Durchschnittswert, würde dieser 4,75 Milliarden US-Dollar an jährlichem Einkommen betragen. Umgerechnet auf einen lebenslangen Stundenlohn verdient ein solcher Überreicher 40.598 US-Dollar pro Stunde (!), was dem Jahreseinkommen vieler amerikanischer Familien entspricht. Doch seltsamerweise kommt das aufgrund von durch Eliten gesteuerte Interessenslagen bei den Normalbürger*innen nicht an. Stattdessen werden Arbeitslose oder Flüchtlingsfamilien an den Pranger gestellt, wenn sie ein klein wenig mehr an Beihilfen beziehen …
Was nicht nur dem Bundeskanzler, der Neos-Vorsitzenden und leider auch zu vielen Sozialdemokrat*innen – Finanzstadtrat Hugo Breitner ermöglichte in den 1920er-Jahren mit einer Reichensteuer die weltweit gelobte Errungenschaft der Wiener Gemeindebauten – immer noch nicht dämmert: Können die Grundlagen der Demokratie wie ein stabiles Gesundheits- und Schulsystem und leistbares Wohnen nicht mehr garantiert werden, gewinnen die Rechtspopulisten mit ihren Heilsversprechen, die Hass gegen Minderheiten und Migrant*innen streuen, welche über die wahren Ursachen hinwegtäuschen. Österreichs gegen solche Tendenzen am lautstärksten protestierender Protestliedsänger hat stets vor solchen Entwicklungen gewarnt, zum Teil nachzulesen in »Redn kaun ma boid. Sigi Maron Lesebuch«.
Kriege rücken näher, dabei lösen diese nie Probleme. Gegen totalitäre Regime, die nur ständige Gewaltausübung an der Macht hält, Opposition zu betreiben, endet allzu oft tödlich, sobald diese auffliegt. Andreas Dresen zeigt das im Kinofilm »In Liebe, Eure Hilde« schonungslos, auch wenn in Rückblenden insbesondere der Lebensfrohsinn der Freundesclique während des Kriegsalltags im Dritten Reich betont wird. Die Gestapo hat die Widerstandsgruppe, die infolge »Verrat« einer Kameradin unter Folter komplett zerschlagen und in Haft genommen wird, Rote Kapelle genannt. Hilde Coppi, eindrucksvoll gespielt von Liv Lisa Fries, muss ihren im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee geborenen Sohn – noch nie wurde derartig Beklemmendes in einem Spielfilm so ausweglos offenbart – ihrer Mutter übergeben und wird 1943, ebenso wie einige andere der Spionage mit dem Sowjet-Feind Bezichtigte, mit dem Fallbeil hingerichtet …
Vielleicht wird sich diese überlebenswichtige Frage des Widerstands zu bald auch in Europa stellen. Besonders drastisch nachzufühlen in Grzegorz Kwiatkowskis Gedichtband »ohne Orchester«. Wie kommen wir da lebend raus? Mit Orchester! Mit »Die schönsten Strophen sind die Katastrophen« vom Hotel Morphila Orchester. Diese grafisch hervorragend gestaltete Bild- und Textdokumentation von Loys Egg und Peter Weibel gewährt einen umfassenden Einblick in ihr Werk, in das Ouevre einer der besten Rockbands Österreichs ever. Unter anderem mit Beiträgen von Drehli Robnik und Didi Neidhart, als skug noch ein Printjournal war! Nun schließt sich die Achse des Dagegenhaltens. Wie radikale Abgrenzung und Opposition sich trotz Infiltrierung nicht aus der Welt schaffen lässt, ist in »Magnetizdat DDR« zu lesen. Den Überleitungsbogen zu meiner Sound-Revue 2024 beschallen Bernd Jestram und Ronald Lippok, die in der DDR-Art-Punk-Band Ornament & Verbrechen spielten und seit 1995 als Tarwater agieren. Getauft nach dem Musiker C. Tarwater, der auf einer Platte von Arthur Lees genialer Psychedelic-Rock-Band Love mitwirkte.
- Georg Seeßlen: Essay »Trump again« in »Konkret 12/2024«
- Anne Applebaum: »Die Achse der Autokraten« (Siedler)
- Ingrid Robeyns: »Limitarismus – Warum Reichtum begrenzt werden muss« (S. Fischer)
- Margit Niederhuber, Walter Gröbchen (Hg.): »Redn kaun ma boid. Sigi Maron Lesebuch« (Mandelbaum) Review
- Andreas Dresen: »In Liebe, Eure Hilde« (Pandora Film)
- Grzregorz Kwiatkowski: »ohne Orchester. Gedichte« (Parasitenpresse) Review
- Loys Egg & Peter Weibel: »Hotel Morphila Orchester – Die schönsten Strophen sind die Katastrophen« (Verlag für moderne Kunst)
- Alexander Pehlemann, Ronald Galenza und Robert Mießner (Hg.): »Magnetizdat DDR – Magnetbanduntergrund Ost 1979–1990« (Verbrecher Verlag) Review
Alfred Pranzls Klanguniversen, feat. das Bruckner-Jahr 2024
Via DDR-Punk zu Maya Beiser x Terry Riley »In C« spannt sich ein weiter Bogen, der die neuerdings für einen schwedischen Fast-Fashion-Konzern werbende Kim Gordon, eh schon bei weiteren skuggies gelistet, außen vor lässt und als unvergesslichen besten Live-Gig 2024 den Nyege Nyege Showcase mit Phelimuncasi preist. Die klasse anschiebenden Gqom Vocals der Südafrikaner*innen rissen im Rahmen von ImPulsTanz am 9. August 2024 im Arkadenhof enorm mit. Um die Kurve zu den Tonträgern zu kratzen, seien noch die energetischen Live-Gigs von Zwitschermaschine und Rosa Beton mit der unvergleichlichen Martina Dünkelmann am punkigen Moog Synth hervorgehoben. Da war keineswegs Nostalgie im Spiel und erst durch Alexander Pehlemanns gloriosen Vortrag über die DDR-Punk-Historie am 7. Dezember 2024 in der Roten Bar des Volkstheaters dämmerte mir, dass Tarwater aus ebendieser Szene hervorgingen. Ronald Lippok und Bernd Jestram sind dieses zart-melancholische, avantgardistische Elektronikpopduo, das nach »Adrift« 2014 auf dem 13. sehr, sehr guten Album »Nuts of Ay« erneut Poetry geschickt recastet. Von Derek Jarman bis zu Shane McGowan (»USA«)!
Ganz anders bauen Vienna Rest in Peace & Fritz Ostermayer ihr Lied »Schande« auf den Lyrics der DDR-Band Herbst in Peking. In diesem Bandnamen spiegelt sich das Massaker am Tian’anmen-Platz 1989, weshalb angesichts der Kriege 2024 etwas Weltflucht die restliche Act-Auswahl bestimmt, feat. Jazz im weitesten Sinne, wo sich leider für ein Review der Doppel-CD des fulminanten Big-Band-Jazz-Ensembles Mühlbacher usw. nie ein Zeitfenster auftat. Und das im Bruckner-Jahr, wo Christian Mühlbacher auf »Wege zur Vierten« Bruckner-Materialien zu einem eruptiven Feuerwerk mit schillernder Bläseropulenz verdichtet. Der Drummer/Percussionist/Komponist Mühlbacher konnte als Fünfjähriger einer Generalprobe von Bruckners »4. Symphonie« im Wiener Konzerthaus beiwohnen, wo sein Vater bei den Wiener Symphonikern das erste Horn blies.
Auch Wolfgang Dorninger hatte Initiationserlebnisse mit dem Ouevre des oberösterreichischen Kapazunders. »Bruckner Remixed In Space« liegt nun u. a. als MP3-Download-Tonträger vor, mit gut gewählten Exzerpten aus den Symphonien Anton Bruckners, nach der Uraufführung in der Kirche St. Severin zu Linz ins Studio gezoomt. Mit Montagetechniken, die auch Distortion eingemeinden und welche gemäß Dorninger Bruckner heutzutage anwenden würde. Drei magische Worte fallen ihm zum 200-jährigen Regenten ein: »Improvisation, Innovation und Freiheit«, die auch für Ingrid Schmoliner und Maya Beiser – Letztere ist übrigens auch Gründerin/Eignerin des Labels Islandia – gelten. Hoher Ergriffenheitslevel und Andacht auch beim Lauschen ihrer Werke, die Minimal Music einer Frischzellenkur unterziehen. Orgel bzw. Cello entfalten eine traumhaft schöne, abwechslungsreiche Aura, wo ich gerne noch auf die Rasanz der »In C«-Variationen Beisers verweisen möchte, da auch für diesen Tonträger keine Reflexion mit Rezensionsniederkunft möglich war.
- Tarwater: »Nuts of Ay« (Morr Music)
- Vienna Rest in Peace & Fritz Ostermayer: »Schande« (Trauerplatten) Review
- Jlin: »Akoma« (Planet Mu)
- Beth Gibbons: »Lives Outgrown« (Domino Records)
- Rotem Geffen: »The Night is the Night« (Thanatosis Produktion) Review
- Conny Frischauf: »Kenne keine Töne« (Bureau B) Review
- The Telescopes: »Halo Moon« (Tapete Records) Review
- Max Nagl: »Tokyo 1-Day Ticket« (Rude Noises) Review
- Mühlbacher’s USW,…: »Wege zur Vierten« (Thereo Music)
- Dorninger: »Bruckner Remixed In Space« (base[records]) Review
- Ingrid Schmoliner: »I am Animal« (Idyllic Noise) Review
- Maya Beiser x Terry Riley: » In C« (Islandia Music Records)
Didi Neidharts 2024 Survival Kit
2024 als surrealistischer Cut-up-mash-up-Stream of (Austrian) Consciousness ginge in etwa so: Eigentum macht frei in der Volksfestung Geborgenheit für gekränkte, individuell selberdenkende, libertär-autoritäre Charaktere des Vaterkanzlers der selbstoptimierenden Ich-AG-Herzen, die mit personalisiertem Völkischem gegen die Einheitsparteien des Systems das Land homogenisieren (file under: aussortieren, internieren, deportieren, liquidieren), eine Brandmauer gegen Bodenversiegelung durch Windräder und Asylheime errichten und ihren Rechtsextremismus als neue Mitte gegen den woken (linken) Mainstream mittels Fahndungslisten (Law & Order gegen Cancel Culture) leben wollen, weil die Sehnsucht nach einem Faschismus der Herzen als Freiheit, andere Leben zu beschädigen (Remigration statt Klimaterror), als Weg vom Feschismus zum Faschismus (Selbstoptimierung durch Sozialdarwinismus & »I’m a Nazi shatze«-Bussi-Bussi), nur logisch erscheint. Dagegen & stattdessen & wegen dem »Master of Arts in Ungeduld« (Hengameh Yaghoobifarah) hier nun eine Liste »What got me thru the year«.
Bücher
Belletristische Theorie:
- Diedrich Diederichsen: »Das 21. Jahrhundert« (Kiepenheuer & Witsch)
- Ian Penman: »Fassbinder. Tausende von Spiegeln« (Suhrkamp)
- Jon Savage: »The Secret Public. How LGBTQ Performers Shaped Popular Culture« (Faber & Faber)
Theoretische Belletristik:
- Thomas Meinecke: »Odenwald« (Suhrkamp)
- Mithu Sanyal: »Antichristi« (Hanser)
- Hengameh Yaghoobifarah: »Schwindel« (Blumenbar)
Hauntology A-Go-Go:
- Mark Fisher: »Sehnsucht nach dem Kapitalismus« (Brumaire Verlag)
- Jon Greenaway: »Capitalism: A Horror Story: Gothic Marxism and the Dark Side of the Radical Imagination« (Repeater Books)
- Toby Manning: »Mixing Pop and Politics: A Marxist History of Popular Music« (Repeater Books)
Leftfield Prepper Basics Re-Lektüre:
- Leo Löwenthal: »Falsche Propheten: Studien zur faschistischen Agitation« (1949)
Pop-History:
- Laura Davis-Chanin, Liz Lamere: »Infinite Dreams: The Life of Alan Vega« (Backbeat)
- Patrick Clarke: »Bedsit Land: The Strange Worlds Of Soft Cell« (Manchester University Press)
- Jonas Engelmann: »Der Text ist meine Party. Eine Geschichte der Hamburger Schule« (Ventil)
Musik
Langstrecke:
- Amy & The Sniffers: »Cartoon Darkness« (Rough Trade)
- The Cure: »Songs Of A Lost World« (Polydor)
- Kim Deal: »Nobody Loves You« (4AD)
- Endless Wellness: »Was für ein Glück« (Ink Music)
- Kim Gordon: »The Collective« (Matador)
- The Last Dinner Party: »Prelude to Ecstasy« (Island)
Kurz & Gut:
- Apsilon: »Kopf Im Nacken« (Four Music Productions)
- Chappell Roan: »Good Luck, Babe!« (Amusement)
- Common Saints: »Idol Eyes« (Starsonics)
- Ebow: »Do Ya?« (Garip Werkstätten)
- Good Sad Happy Bad: »Shaded Tree« (Textile)
- Knarfmitte Killrellöm: »Kipp das Acid in den Synth« (Pudel)
Reissues:
- John Cale: »Ship Of Fools: The Island Albums« (Esoteric)
- Heldon: »Electronique Guerilla« (Bureau B)
- Nico: »Desertshore« (Domino)
Out Of This World:
- Sun Ra: »Inside The Light World: Sun Ra Meets The OVC« (Strut)
Holger Adams 24 (+1) Alben des Jahres
24 Veröffentlichungen und ein Überraschungsgast für 2024. Ein sehr gutes Jahr, zumindest in musikalischer Hinsicht. Alles darüber hinaus ist ein Thema fürs politische Feuilleton, also lassen wir das an dieser Stelle.
- Blood Incantation: »Absolute Elsewhere« (Century Media) Review
Die Platte des Jahres, und die Dokumentation zu den Aufnahmen des Albums ist auch sehr sehenswert (siehe unten). Kosmischer Death Metal mit Prog-Rock- und Ambient-Anteilen. Das Beste aller möglichen Welten, unfassbar gut. CONCENTRATE!
- Sun Worship: »Upon the Hills of Divination« (Vendetta Records)
Black/Death-Metal-Kante aus Berlin. Schnörkellos geradeaus, dabei aber immer raffiniert genug, nicht in den Verdacht eindimensionalen und uninspirierten Geholzes zu geraten. Kunststück, quasi.
- Darkthrone: »It Beckons Us All« (Peaceville)
Ich habe eine Schwäche für das eigenwillige Gerumpel der alten Herren. Mag sein, dass sich nicht so ohne weiteres erschließt, was hier beknackt und was begnadet ins Werk gesetzt wird. Aber auch darin liegt der Reiz des Spätwerks von Gylve Nagell & Ted Skjellum.
- Venediktos Tempelboom: »Syne Vuyle Huick« (Kraak) Review
»Dronevolk«, nächste Generation. In Andenken an Silvester Anfang, Ignatz & Co. spinnt ein junger Belgier den Faden weiter: Psychedelische Folklore, Sympathy for the Devil, aber keine Bange, der tut keiner Ziege was zuleide.
- Shane Parish: »Repertoire« (Palilalia)
Brillante Adaptionen von Klassikern des Jazz (und Artverwandten) für akustische Gitarre. Liest sich verstaubt, klingt aber frisch und inspiriert.
- Alessandra Novaga: »The Artistic Image Is Always A Miracle« (Die Schachtel)
Die italienische Musikerin in enger Seelenverwandtschaft zu Loren Connors mit einer musikalischen Verneigung vor Andrei Tarkowski. Musik als Meditation, hier passt die Phrase, weil sie da keine ist.
- Sir Richard Bishop: »Saginaw Racket« (Unrock) Review
Man könnte von Comeback sprechen, wenn er denn jemals im Rampenlicht gestanden hätte. So ist nur viel Zeit vergangen zwischen der letzten und dieser neuen Platte des Gitarristen der legendären Sun City Girls. Elektrische Gitarrenimprovisationen für Eingeweihte.
- Universal Light: »Universal Light« (Self-Release)
Ensemble Folk/Americana von Mike Gangloff (Pelt), Jesse Sheppard (Elkhorn) und Kaily Schenker. Ein Exemplar dieses Private Press Release wartet noch auf mich im Plattenregal eines Freundes, der die USA bereiste und mir dieses wunderbare Album von ebendort mitbrachte. Bis dahin bleibt mir Bandcamp und die Vorfreude.
- The Shovel Dance Collective: »The Shovel Dance« (American Dreams Records)
Britisches Folk-Ensemble. Der Erfolg der irischen Lankum ist schon relativ erstaunlich. Wer’s noch etwas finsterer, verschrobener und karger möchte: Bitteschön.
- Jake Xerxes Fussell: »When I’m Called« (Fat Possum)
Alte Lieder in neuen Arrangements. Meilenweit jenseits weinerlicher Singer-Songwriter-Allüren. Souverän im Vortrag, fantastisch produziert.
- Wendy Eisenberg: »Viewfinder« (American Dreams Records)
Postmodernes Kunstlied, ist das ein Genre? Minimalistisch aber pointiert instrumentiert, spröde anmutend, aber dennoch seltsam einnehmend. Musikalische Orchideenforschung.
- Rafael Toral: »Spectral Evolution« (Moikai)
Musik für Kopfhörer, ruhige Stunden, konzentriertes Eintauchen in komplexe Klangwelten.
- Simina Oprescu: »Sound of Matter« (Hallow Ground)
Kirchenglocken, elektronisch aufbereitet, eher streng und reduziert vom Design her. Halbsynthetisches Klangmischgewebe, das sich im Schrank gut neben Eliane Radigue macht.
- Limpe Fuchs & Mark Fell: »Dessogia, Queetch, Fauch« (Black Truffle)
Dreifachvinylveröffentlichung, sechs Seiten Klangforschung neben dem Kammerton. Es rappelt im Karton, es schabt, kratzt, fiept und rauscht – es ist die reine Freude.
- The Necks: »Bleed« (Northern Sky)
Die Necks müssen erst noch ein schlechtes Album machen.
- Günter Schlienz: »Hundstage« (Blue Marble 1972) Review
Schlienz, der ewige Geheimtipp, liefert beharrlich ab. Autoren-Ambient. Ruhige Musik, die was zu erzählen hat.
- David Edren: »Binnenin« (Black Sweat Records)
Neues Ambient/New Age Album von David Edren, sein wievieltes? Elegante, federleichte elektronische Musik, die sich beinahe unbemerkt im Gehörgang einnistet und dort wohltuend wirkt.
- Shellac: »To All Trains« (Touch n’ Go)
Albinis plötzlicher Tod hinterlässt eine große Leerstelle, seine Electrical Audio Studios werden von seinen Mitarbeiter*innen weitergeführt, Shellac allerdings sind mit Albini zu Grabe getragen worden. »To All Trains« ist so gut wie jedes andere Shellac-Album, zeitloser, sehr eigenwilliger Noise-Rock.
- Roy Montgomery: »Temple IV« (Kranky)
Klassiker des neuseeländischen Gitarren-Drone, wiederveröffentlicht mit zwei zusätzlichen Tracks. Wer das gar nicht kennt, kann sich eine einlullende Mischung aus »New Age of Earth« von Ashra und The Velvet Undergrounds »Sister Ray« vorstellen, das kommt ungefähr hin.
- These Immortal Souls: »I’m Never Gonna Die Again« (Mute)
Alben mit Beteiligung von Rowland S. Howard sind grundsätzlich zu beachten und bei vorhandenen finanziellen Ressourcen natürlich käuflich zu erwerben.
- Nico: »Desertshore« (Domino Records)
Noch ein Reissue, und zwar ein überfälliges. Man mag beim Blick auf die Tracklist von »Desertshore« (und auch »Marble Index«) dem Eindruck erliegen, dass man ja schon kennt, was man da liest. Aber jedes Wieder-Anhören dieses Klassikers offenbart die einfache Wahrheit: Die Aufnahmen sind und bleiben so ausdrucksstark, enigmatisch und atemberaubend wie beim ersten Hören.
- Wilburn Burchette: »Guitar Grimoire« (Numero Group)
Esoterische Gitarren-Meditationen. Klassiker der randständigen Musik. Numero Group hat den Katalog des kalifornischen Mystikers wieder zugänglich gemacht. Sehr verdienstvoll.
- De Vlaamse Primitieven & Liam Grant: »Til Ragman« (Mostly Interrupted)
Belgisch-amerikanische Freundschaft. Fingerstyle-Guitar, improvisierte Folk-Music. Super.
- Deep Lore: »Deep Lore 2« (Iarnwith)
Dungeon-Synth. Hui-Buh-Instrumentals aus selbstgebastelten Kellerverliesen. Akustische Geisterbahn. Viel gehört, macht gute Laune.
- +1: The Cure »Songs of a Lost World« (Polydor)
Unverhofft kommt oft. Nach »Wish« hatte ich den Faden verloren und auch nicht damit gerechnet, dass mich Robert Smith noch mal »abholt«, wie man so sagt. Aber falsch gedacht, schöne Überraschung.
Mio Michaela Obernosterers Top 10 2024
2024 war ein Jahr der Umbrüche und Veränderungen. Aber das Jahr in Listen bleibt stabil. Hier meine Top 10 Alben, Tracks, Konzerte & Filme 2024, A–Z:
Mios Top 10 Alben 2024
- Alan Sparhawk: »White Roses, My God« (Sub Pop Records) Review
- Beth Gibbons: »Lives Outgrown« (Domino Records)
- Chelsea Wolfe: »She Reaches Out to She Reaches Out to She« (Loma Vista Recordings)
- Kim Gordon: »The Collective« (Matador Records)
- Marika Hackman: »Big Sigh« (Chrysalis Records)
- Rosa Anschütz: »Interior« (Klangbad Records)
- Soap&Skin: »Torso« (Play It Again Sam)
- The Cure: »Songs of a Lost World« (Fiction, Lost Music, Universal, Polydor, Capitol Records) Review
- The Decemberists: »As It Ever Was, So It Will Be Again« (YABB Records)
- Zanshin: »Ok Ocean« (Affine Records)
Mios Top 10 Tracks 2024
- Amanda Palmer: »Little Island« (with Julia Deans)
- Chelsea Wolfe: »Whispers in the Echo Chamber«
- Endless Wellness: »Hand im Gesicht«
- Rosa Anschütz: »My Heart’s in the Highlands«
- Soap&Skin: »Girl Loves Me« (David Bowie cover)
- Squirrel Flower: »Unravel« (Björk cover)
- Tami T: »Heart of a Dog«
- The Cure: »Alone«
- Underworld: »denver luna (acappella)«
- Xiu Xiu: »Arp Omni«
Mios Top 10 Konzerte 2024
- Buzz Kull et al., 06.02.2024, Kramladen
- Whispering Sons, 01.04.2024, Flucc
- Endless Wellness et al., 09.04.2024, Porgy & Bess
- Patrick Wolf, 12.04.2024, Haus der Musik
- Fever Ray et al., 07.07.2024, Pop am Dom, St. Pölten
- The Cure, 01.11.2024, Troxy, London, Live-Stream
- The Damski et al., 29.11.2024, Kramladen
- Neon Lies et al., 29.11.2024, rhiz
- Rosa Anschütz et al., 30.11.2024, Desertshore, Volkstheater
- The Notwist et al., 01.12.2024, Desertshore, Volkstheater
Mios Top 10 Filme 2024
- »Des Teufels Bad« (Veronika Franz, Severin Fiala, AT/DE 2024) Review
- »Favoriten« (Ruth Beckermann, AT 2024)
- »The Substance« (Coralie Fargeat, GB/US/FR 2024) Review
- »MaXXXine« (Ti West, US 2024) Review
- »Come le feu« (Philippe Lesage, CA/FR 2024) Review
- »A Real Pain« (Jesse Eisenberg, US/PL 2024) Review
- »The Balconettes« (Noémie Merlant, FR 2024) Review
- »Kuraudo« (Kiyoshi Kurosawa, JP 2024) Review
- »Dear Beautiful Beloved« (Juri Rechinsky, AT 2024) Review
- »Mond« (Kurdwin Ayub, AT 2024)
Michael Zangerls Gratis-Downloads
Bands sind auch 2024 wie das österreichische Gesundheitssystem: chronisch unterfinanziert. Umso mehr verdienen Musiker*innen Aufmerksamkeit, die ihre Werke gratis zur Verfügung stellen. Hier findest du zehn der besten LPs des Jahres, die du kostenlos downloaden kannst. In alphabetischer Reihenfolge. Gefällt dir, was du hörst? Dann unterstütze diese Projekte mit einer Spende!
- Caxtrinho: »Queda Livre« (QTV)
Der 25-jährige Caxtrinho macht experimentellen Samba voll selbstbewusster, krachender Arrangements. Als hätte die späte Elza Soares eine Noise-Band engagiert. Kandidat für Debüt des Jahres.
- Cindy Lee: »Diamond Jubilee« (Realistik Studios)
»Diamond Jubilee« ist wohl mit Abstand das meist-gehypte Album auf dieser Liste. Nicht zu Unrecht. Pitchfork hat es sogar zur LP des Jahres 2024 gekürt. Wer melancholischen Indie etwas abgewinnen kann, sollte sich unbedingt eine eigene Meinung bilden.
- Glassing: »From the Other Side of the Mirror« (Pelagic Records)
Glassing kombinieren Post-Hardcore mit Shoegaze-Elementen – so gut wie wenig andere. 2024 kann wenig dieses Album an emotionaler Wirkung überbieten. Verdrücke eine Träne!
- Ὁπλίτης: »Παραμαινομένη« (s/r)
Ὁπλίτης (Hoplitēs) könnte meinen Träumen entsprungen sein: Dissonant-Black-Metal mit Hardcore-Einflüssen. Aus China. Mit feministischen Texten. Auf Altgriechisch. Dazu noch Saxophon-Improvisationen à la John Zorn? Shut up and take my money!
- i Häxa: »i Häxa (Pelagic Records)
i Häxa machen irgendwas zwischen Dark Folk, Breakcore und Björk-Verehrung. Dieser Zaubertrank gehört mit einer Warnung versehen: macht sehr schnell abhängig.
- Parannoul: »Sky Hundred« (s/r)
Parannoul war 2023 auf Platz #2 meiner Liste. Dass sie nun wieder darauf zu finden sind, ist ein starker Indikator für die Kunstfertigkeit, mit der der koreanische Musiker Shoegaze, Electronica und Post-Rock verbindet. Keine Grenzen nach oben.
- Patricia Taxxon: »Bicycle« (s/r)
Der Creative-Commons-Techno von Patricia Taxxon begleitet mich, seit die Amerikanerin 2020 das »Triadische Ballett« des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer vertont hat. Mit »Bicyle« hat sie ihr bisher schönstes Album vorgelegt. Für ausgedehnte Touren.
- Sacrificial Vein: »Black Terror Genesis« (Total Dissonance Worship)
Black Metal war schon lange nicht mehr so teuflisch. »Black Terror Genesis« ist ein auraler Anschlag auf deine psychische Gesundheit. Lass dich foltern!
- Sun Worship: »Upon the Hills of Divination« (Vendetta Records)
Wäre auch auf dieser Liste gelandet, wenn es Holger Adam nicht kürzlich für skug rezensiert hätte. »Sun Worship kommen unter Einsatz minimaler Mittel zu maximalen Ergebnissen«, heißt es in seinem lesenswerten Review. Eines der besten Metal-Alben des Jahres.
- Y-Dra: »Horeg« (Yes No Wave)
»Horeg« ist eine Mischung aus Late-Night-Raves, javanesischer Volksmusik und Punk-Attitüde. Vermutlich werden alle meine Gratis-Listen ein Album aus dem Katalog von Yes No Wave enthalten – zu spannend und zu zielsicher ist das indonesische Label.
Danke an das skug-Team für ein weiteres Jahr voll inspirierender Zusammenarbeit. Sie erlaubt mir, kontinuierlich zu wachsen. Auch für 2025 haben wir einiges in petto. Ich freue mich darauf!
Ariana Koochis Top Ten 2024
Als ich die möglichen Alben und EPs für diese Liste gesammelt hab, war ich ganz verwirrt. Weil mir plötzlich wieder einfiel, dass ich vor ein paar Monaten gar nicht so müde, faul und gemütlich war wie grade. Dass ja vor ein paar Monaten Sommer war und ich jeden Abend mit Chappell Roan im Bad stand und mich zum Fortgehen zurecht machte, mit einem Glas Spritzer am Waschbecken. Mittlerweile zieh ich meine zig Schichten an Pullis und Jacken zu Xmal Deutschland an. Weil von denen aber nichts Neues zu erwarten ist, beginnt diese Liste mit Anja Huwe.
- Anja Huwe: »Codes« (LP/Sacred Bones Records)
- Show Me The Body: »Corpus II« (LP/Corpus)
- Die Verlierer: »Notausgang« (LP/Bretford Records)
- Yung Lean/Bladee: »Psykos« (LP/World Affairs)
- Topsy Turvy: »Butt Sore« (LP/Siluh Records)
- The Last Dinner Party: »Prelude to Ecstasy« (LP/Universal Island Records)
- Chappell Roan: »The Rise and Fall of a Midwest Princess« (LP/Island Records)
- Doechii: »Alligator bites never heal« (Mixtape/Top Dawg Entertainment/Capitol Records)
- TTSSFU: »Me, Jed and Andy« (EP/Partisan Records)
- King Krule: »SHHHHHHH! « (EP/Matador Records)
Florian Rieders Jahresliste 2024
Was für ein Jahr. Null Rezensionen verfasst, null Artikel geschrieben, drei Konzerte besucht. Aber das Leben rauscht halt so vorbei. Schnell die Top 10 Alben zusammensuchen und merken, dass die Top 5 eigentlich alle auf Platz 1 sein sollten. Aber da hat sich ein gewisser Pöbel MC gefunden, der auch noch eine Top-Leistung auf seinem Konzert bot – somit verdient auf Platz 1. Wer Newcomer sucht, wird bei Andre Lawrence fündig. NYC Vibe auf Album-Länge, wie früher, nur heute – schwere Empfehlung. In der Hoffnung, dass das nächste Jahr wieder etwas mehr zulässt und sich vielleicht das eine oder andere österreichische Release findet, das mich begeistert (sorry, »Kassettenkinder«, »Hund« u. s. w. ist schon ok, aber halt noch etwas entfernt von den Top 10).
Top 10 Alben 2024
- Pöbel MC: »Dr. Pöbel« (Audiolith)
- Andre Lawrence: »Dustrial Denim« (Pass the Butter)
- Ebow: »FC Chaya« (Garip Werkstätten)
- Pashanim: »2000« (Urban)
- Rokko Weissensee & Blend: »Schuld & Sühne« (Upstruct)
- Lola Young: »This Wasn’t Meant For You Anyway« (Island Records)
- Zonta & Fid Mella: »Dove Mangiano I Cuochi Vol.1« (Payback)
- Doechii: »Alligator Bites Never Heal« (Top Dawg Entertainment)
- Apsilon: »Haut wie Pelz« (Four Music)
- Paula Hartmann: »Kleine Feuer« (Four Music)
Honorable Mentions: Tua: »Eden«, Shelterboy: »Mercyland«, Logic: »Ultra 85«
Top 10 Singles 2024
- Ebow: »Ebru’s Story«
- Pöbel MC: »Ruhe & Frieden«
- Lola Young: »Messy«
- OG Keemo & Levin Liam: »Bee Gees«
- Wa22ermann: »Dickes Fell«
- Paula Hartmann: »Candy Crush«
- Yassin & Mädness: »Mamas Bauch«
- K.I.Z: »Vierspur«
- Curse feat. Cora E., Stieber Twins & Aphroe: »Familia«
- Zonta & Fid Mella: »Gratinatura«
Adrian Malligas »Das Beste, was ich 2024 wahrgenommen habe«
2024 geht zu Ende. Ein Jahr, von dem mir nicht besonders viele Releases im Gedächtnis geblieben sind. Beim Erstellen dieser Liste sind mir dann aber so viele Alben wie noch nie eingefallen, die es verdient hätten, hier vorzukommen. Besonders hervorzuheben sind King Hannahs »Big Swimmer«, das vor allem durch das Duo von überwältigender Vocal-Performance und Gitarre überzeugt, und Endless Wellness’ »Was für ein Glück«, das mit brillanten Texten und toller Produktion glänzt. Ansonsten findet man in meiner Jahresliste noch das Beste, was ich in den Tiefen von Country, Folk und Americana gefunden habe, und weitere gitarrenfokussierte Musik.
Die besten neuen 15 Alben, die ich 2024 gehört habe
- King Hannah: »Big Swimmer« (City Slang) Review
- Endless Wellness: »Was für ein Glück« (Ink Music) Review
- Mannequin Pussy: »I Got Heaven« (Epitaph)
- The Smile: »Wall of Eyes« (XL Recordings) Review
- Geordie Greep: »The New Sound« (Rough Trade Records)
- Beth Gibbons: »Live Outgrown« (Domino Recording) Review
- Sierra Ferrell: »Trail of Flowers« (Rounder Records)
- Boy Golden: »For Eden« (Six Shooter Records)
- Scott Ballew: »Rio Bravo« (LA Honda Records)
- Jake Xerxes Fussel: »When I’m Called« (Fat Possum Records)
- Isolation Berlin: »Electronic Babies« (Universal Music)
- Haley Heynderickx: »Seed of a Seed« (Mama Bird Recording)
- Crack Ignaz, Fid Mella: »Blockhaaßmocha FM1 & FM2« (Self Release)
- Chris Acker: »Famous Lunch« (Gar Hole Records)
- International Music: »Endless Rüttenscheid« (Timeless Melancholic Music)
Die 24 besten Songs aus 2024, die ich gehört habe
- King Hannah: »Big Swimmer«
- Bon Iver: »S P E Y S I D E«
- Endless Wellness: »Danke für Alles«
- Bon Iver: »Awards Season«
- Iron & Wine: »Never Meant (American Football Cover)«
- Endless Wellness: »Vom Hals bis zum Steiß«
- International Music: »Karma, Karma«
- Sierra Ferrell: »Dollar Bill Bar«
- Isolation Berlin: »Verliebt in dieses Lied«
- Scott Ballew: »Rio Bravo«
- Early James: »Rag Doll«
- Geordie Greep: »Holy, Holy«
- hey, nothing: »Maine«
- Rahel: »Miniano«
- Team Scheiße: »Mittelfinger«
- Mount Kimbie: »Shipwreck«
- Isolation Berlin: »Echt sein«
- Boy Golden: »Boy«
- Jesse Welles: »War Isn’t Murder«
- DJ Koze, Arnim, The Düsseldorf Düsterboys: »Wie schön du bist«
- Orville Peck, Willie Nelson: »Cowboys Are Frequently Secretly Fond Of Each Other«
- Crack Cloud: »Lost On The Red Mile«
- Loving: »No Mast«
- Bonny Light Horseman: »I Know You Know«
Die 10 besten Konzerte, auf denen ich 2024 war
- American Football, 30.05.2024, Alcatraz Milano
- Endless Wellness, 09.04.2024, Porgy & Bess
- King Hannah, 22.09.2024, Flucc
- Early James, 15.11.2024, Chelsea
- International Music, 12.10.2024, Flucc
- Team Scheiße, 28.11.2024, Arena
- Air, 23.07.2024, Metastadt
- The National, 25.06.2024, Stadthalle Wien
- Rahel, 14.04.2024, Flucc
- Crack Ignaz, 21.06.2024, R: Journey Headquater
Jannik Eders Musikrevue 2024
In der Rubrik »Nachrichten aus aller Welt« findet man so viel fantastischen Stoff für einen Roman oder ein Drehbuch! Ein noch nicht gehobener Goldschatz Ende November bei »Spiegel Online«: »Passagiere von Luxuskreuzfahrtschiff sollen in Hungerstreik getreten sein«. Artikelvorspann: »Sie wollten in die Antarktis, doch dann gab es ein Problem am Schiff: Nun weigern sich Passagiere der SH Diana zu essen – weil das Kreuzfahrtunternehmen ihnen den vollen Reisepreis nicht erstatten wolle.« Mmh, köstlich! Werke nach dem Motto »Eat the rich« kamen zuletzt bei Feuilletons wie Publikum ganz gut an – ich hab’ die Story schon vor Augen, das Ganze ähnlich wie in »Triangle of Sadness«. Idee bitte nicht klauen! Ich verdinge mich derweil unter anderem noch mit dem Schreiben von Jahresendlisten für skug, vielleicht findet sich dabei was für den Soundtrack.
- Das Format: »Das Format« (Paulapaulplatten)
Wer sonst nichts über Augsburg weiß, kann sich jetzt zum Beispiel merken, dass die Stadt Heimat von Das Format ist – starkes Debüt mit expressivem Post-Punk/Noise.
- Emily D’Angelo: »Freezing« (Deutsche Grammophon)
Gut fürs Runterkommen in den hektischen Jahresendwochen (und wann immer sonst): Die kanadische Mezzosopranistin interpretiert siebzehn Stücke zwischen Folk und Kunstlied.
- English Teacher: »This Could Be Texas« (Island)
Konnte mich nicht entscheiden, welche der tollen, jungen britischen Bands aus dem Bereich Art Rock und Post Punk in die Auswahl kommen soll, es werden jedes Jahr mehr, daher stellvertretend (für zum Beispiel The Last Dinner Party oder Sprints): English Teacher.
- Jack White: »No Name« (Third Man)
Der Mann hat bekanntlich den Rock’n’Roll gefressen, wie schön, dass er es so ausgelassen zeigt.
- Loma: »How Will I Live Without a Body?« (Sub Pop/Cargo)
Texanisches Trio in Slowcore-Tradition, introvertiert, entrückt und sehr ausgeklügelt.
- Mabe Fratti: »Sentir Que No Sabes« (Unheard of Hope)
Viertes Album der in Mexiko-Stadt lebenden Guatemaltekin, experimenteller Minimalismus in anmutigem Pop/Rock-Gewand.
- Mannequin Pussy: »I Got Heaven« (Epitaph)
Auf dem Cover des vierten Albums der Punkband aus Philadelphia kniet ein Mensch neben einer Sau; Platte lässt sich passenderweise bei »saugeil« einordnen.
- Nichtseattle: »Haus« (Staatsakt)
Schmunzelnd zu Tränen gerührt: bestes deutschsprachiges Singer/Songwriter-Album der letzten Jahre.
- St. Vincent: »All Born Screaming« (Virgin)
Aus unerfindlichen Gründen ist St. Vincent in den letzten Jahren bei mir in Vergessenheit geraten, mit tollem siebentem Album glücklicherweise wieder am Radar!
- The Cure: »Songs of a Lost World« (Fiction/Capitol)
Vielleicht das Comeback des Jahrhunderts! Erstes Album nach 16 Jahren! Und klingt einzigartig wie 1982, erhaben und ethereal.
Ulrich Musa-Rois’ empfehlenswerte Neuerscheinungen 2024
Wieder neigt sich ein Jahr dem Ende zu, wieder ist es an der Zeit, die neuen Releases der letzten zwölf Monate Revue passieren zu lassen und zu überlegen, was davon einen noch länger begleiten wird.
Phish legten mit »Evolve« ihr neuestes Studioalbum vor, das neben Studioversionen bereits von Auftritten aus den letzten Jahren bekannter Songs auch einige Überraschungen bereithielt. Vor allem das von der Melodieführung her leicht an die Beatles erinnernde »Valdese« zeigte, dass die Jamband-Veteranen aus Vermont nach wie vor neue Wege beschreiten. Opeth lieferten mit »The Last Will and Testament« ein astreines Prog-Metal-Konzeptalbum ab, inklusive Gastauftritt von Jethro Tulls Ian Anderson. Gleichzeitig ist es aber auch das härteste Opeth-Album seit langer Zeit, viele Fans freuten sich über die Rückkehr von Mikael Åkerfeldts Deathgrowls. Blood Incantations »Absolutely Elsewhere« hat nicht zu Unrecht bereits viele Lorbeeren in der einschlägigen Presse geerntet und diese Fusion aus Cosmic Death Metal und Berliner Schule ist tatsächlich sehr erfrischend und beeindruckend. Nerdige Konzeptalben haben mittlerweile auch Einzug in den Mainstream-Pop gefunden, nicht zuletzt dank Taylor Swift und den Horden Easter-Eggs-jagender Swifties. »Tortured Poets Society« ist eine überbordende Song-Sammlung, die enttäuschte romantische Liebe zum Thema hat – oder »Female Rage – The Musical«, wie die Musikerin das entsprechende Segment auf ihrer »Eras«-Tour taufte. Auch die Mostviertler Musikszene lieferte in Form des neuen Eastwood-Haze-Albums »Peace« ein Highlight des Jahres ab. Mit Folk- und Country-Rock-Einflüssen erweitert die Band ihre Soundpalette und feilte weiter an ihrem Songwriting.
Sehnlichst erwartet wurde von mir auch »Wind and Truth«, der fünfte Teil der »Stormlight Archives«-Reihe von Brandon Sanderson. Wer Epic Fantasy mag, kommt an diesem Autor kaum vorbei, und auch dieser Band, der Abschluss der ersten Hälfte der Reihe, überzeugt auf ganzer Linie. Schade nur, dass man jetzt einige Jahre auf Teil sechs warten muss!
Im Bereich Film musste ich etwas schummeln, denn Hayo Myazakis als Abschiedswerk angekündigter Film »The Boy and the Heron« erschien zwar schon 2023, wurde von mir aber erst 2024 gesichtet und ist mit Abstand jenes filmische Werk, das heuer den größten Eindruck auf mich hinterlassen hat. Myazaki schenkte seinen Fans damit eine wunderbare, einfühlsame Erzählung, die sich komplexer Themen wie dem kreativen Schaffen und dem Altern annimmt. Ansonsten war »Longlegs« ein erfrischender und vor allem visuell interessanter Beitrag zum Horror-Kino, ebenso Coralie Fargeats Body-Horror-Movie »The Substance«. Eine große, positive Überraschung für mich war auch der sehr gut durchdachte und unterhaltsame Slasher-Movie-meets-Freaky-Friday-Versuch »Totally Killer«.
Was Videospiele betrifft, hat mich der Elden Ring DLC »Shadow of the Erdtree« so gut wie das ganze Jahr beschäftigt. Im TTRPG-Bereich gab es wiederum einige tolle Veröffentlichungen von Paizo, vor allem »War of Immortals« bot viele neue, interessante Regeln und Optionen. Für nächstes Jahr darf man in diesem Bereich auf die zweite Edition von »Starfinder« sowie auf das »Cosmere« RPG von Brotherwise Games gespannt sein.
Musik
- Phish: »Evolve« (JEMP)
- Opeth: »The Last Will and Testament« (Moderbolaget)
- Blood Incantation: »Absolute Elsewhere« (Century Media Records)
- Johnny Blue Skies: »Passage Du Desir« (High Top Mountain Records)
- Taylor Swift: »The Tortured Poets Department« (Republic)
- Waxahatchee: »Tigers Blood« (Anti-)
- Wilco: »Hot Sun Cool Shroud« (Legacy Recordings)
- Eastwood Haze: »Peace« (Eastwood Haze)
- Joni Mitchell: »Archives Volume 4: The Asylum Years (1976–1980)« (Rhino Records)
- Jeffrey Alexander & the Heavy Lidders: »Planet Lidders« (Pome Pome Tones)
- Prairiewolf: »Deep Time« (Centripetal Force/Worried Songs)
- Jake Blanchard: »Fermentation« (Eiderdown Records/Cardinal Fuzz)
- The Cure: »Songs of a Lost World« (Fiction/Lost/Polydor/Universal/Capitol)
- Kim Deal: »Nobody Loves You More« (4AD)
- Spinning Wheel: »Handspun«/»Threadbare« (Spinning Wheel)
Bücher
- Brandon Sanderson: »Wind and Truth« (Tor Books)
- Liane Merciel: »Pathfinder: Godsrain« (Paizo)
Filme
- Hayao Miyazaki: »The Boy and the Heron« (Studio Ghibli)
- Coralie Fargeat: »The Substance« (Working Title Films)
- Veronika Franz und Severin Fiala: »Des Teufels Bad« (Ulrich Seidl Filmproduktion/Heimatfilm)
- Alex Garland: »Civil War« (A24)
- Osgood Perkins: »Longlegs« (Neon)
- Colin Cairnes, Cameron Cairnes: »Late Night with the Devil« (IFC Films/Shudder)
- Todd Phillips: »Joker: Folie à Deux« (Warner Bros. Pictures)
- Nahnatchka Khan: »Totally Killer« (Amazon Prime Video)
- Wes Ball: »Kingdom of the Planet of the Apes« (20th Century Studios)
- Josh Greenbaum: »Will & Harper« (Netflix)
- Kelsey Mann: »Inside Out 2« (Pixar Animation Studios/Walt Disney Studios Motion Pictures)
- David Derrick Jr., Jason Hand, Dana Ledoux Miller: »Vaiana 2« (Walt Disney Animation Studios)
- Shawn Levy: »Deadpool & Wolverine)« (Marvel Studios/Walt Disney Studios Motion Pictures)
Serien
- »Fallout, Season 1« (Amazon Prime Video)
- »What We Do In the Shadows, Season 6« (FX)
- »Bob’s Burgers, Season 15« (Fox)
Videogames
- »Elden Ring: Shadow of the Erdtree« (DLC) (From Software)
Tabletop/Pen & Paper RPGs
- Kate Baker et al.: »Pathfinder: Howl of the Wild« (Paizo)
- James Case, Liane Merciel, Michael Sayre: »Pathfinder: War of Immortals« (Paizo)
Jahresendzeitschokoladenseitenliste 2024 von Lisa Wallerstein
Aus Zeitgründen (Vielen Dank, »Winzingweich« Office, dass ich dieses Jahr wieder ergründen durfte, wie merkwürdig Lizenzen sein können – nunmehr mit dem Smartphone dem PC erlaubend, Word zu öffnen, up yours!) kurz gehalten – die Kategorien blieben großteils dieselben wie im Jahr 2023. Wo ist dieses Jahr 2024 geblieben? Was habe ich gemacht? Na das (und noch ein bisschen mehr):
- Sehnlichst erwartetes und stattgefundenes Konzert: Primordial Undermind, 23.11.2024, Viperroom
- Bestes Psychedelic Konzert, große Freude: Acid Mothers Temple, 06.06.2024, Chelsea
- Müde-und-doch-hingegangen und es hat sich voll ausgezahlt: Pulverin und die herrlichen MoE/Ikuro Takahashi, 23.09.2024, Flucc
- Leider verpasst: Bo Ningen, 16.11.2024, Prag
- Spacigstes Konzert: Arn/Prehofer/Babikov/Horváth/Kienast/Bódis, 11.07.2024, Central Garden
- Überraschend tanzbares Konzert: RuinsZU, 24.05.204, Stadtwerkstadt Linz
- Bestes Kirchenkonzert: The Necks, 21.04.2024, Donaufestival Krems
- Konzert mit der größten Soundschwere: Keiji Haino, 10.08.2024, A L’Arme! Festival, Radialsystem
- Wildestes Konzert – Wien: Jukka Kääriäinen – Solo-Gitarre, 03.02.2024, Vekks
- Wildestes Konzert – Berlin: Yexxen, 09.08.2024, A L’Arme! Festival, Radialsystem
- Unerwartet gutes New-Wave/Post-Punk-Konzert: Wu Lu, 06.07.2024, Klangfestival Gallneukirchen
- Bestes Revival: When Yuppies go to Hell, 13.01.2024, Venster99
- Zweitbestes Revival: Bevis Frond, 27.04.2024, Chelsea
- UND Steve Westfield, 16.02.2024, Rhiz
- Erstes Jazzkonzert: Kenji Herbert Trio, 11.01.2024, Porgy & Bess
- Freigiebigstes Konzert: Charles Lloyd, 09.07.2024, Porgy & Bess
- Kinderfreundlichstes Konzert: Libramar, 14.12.2024, Obsolete Studio
Besten Dank an Michael Fischer für die Empfehlung der folgenden Website: https://www.schalltaucherin.com/. Schalltaucherin, whoever you are, we love you and many thanks for all the cool Gig-Empfehlungen!
Jenny Legenstein über ein paar schöne Sachen in einem stinkemiesen Jahr
Wahrscheinlich ist über 2024 eh schon alles gesagt worden. Mir fällt nichts mehr dazu ein, nicht Gutes jedenfalls. Langsam kann ich ein wenig nachvollziehen, warum die Menschen im Mittelalter die Apokalypse herbeigesehnt haben – endlich a Ruah mit dem ganzn Mist! Bis jetzt geht aber, zum Glück, nur dieses Jahr zu Ende, das ich mit einem Zitat aus einem Cartoon von Nicholas Mahler aus dem Jahr 2002 beschreiben möchte: »Mein positiver Jahresrückblick: Dieses Jahr hat mich echt glücklich gemacht! Es begann grottenschlecht, ging dann aber so stinkemies weiter, dass ich mich nicht im Mindesten umstellen musste! Und das ist doch für einen Österreicher das Wichtigste!!« Ein paar schöne Sachen gab es 2024 aber doch:
Alben
- Ana Lua Caiano: »Vou Ficar Neste Quadrado« (Glitterbeat)
Ein-Frau-Vokalensemble (durch Layering), orientiert sich am traditionellen portugiesischen Liedgut (nicht Fado!), im Bereich elektronische Musik zwischen Ambient und Techno unterwegs.
- C’mon Tigre: »Habitat« (Intersuoni)
Brasilianische Rhythmen und Sounds bilden die Basis dieser Weltmusik im allerbesten Sinn, Kollaborationen z. B. mit Seun Kuti und Arto Lindsay sorgen für tanzbare Globalität.
- Lina Allemano: »Canons« (Lumo Records)
Die kanadische Trompeterin widmet sich dem Genre Kanon (nicht der Kanon’!) und bringt die alte Kunstform ins 21. Jahrhundert.
Konzerte
- Sehr schön: Il Sogno del Marinaio feat. Mike Watt, The Striggles, 27.05.2024, Chelsea
- Ganz super: Paul Plut, 13.03.2024, WUK
Bücher
Sachbuch:
- Margit Appel, Barbara Preinsack: »Arbeit – Care – Grundeinkommen« (Mandelbaum 2024)
- Mickaël Labbé: »Platz nehmen. Gegen eine Architektur der Verachtung (Nautilus Flugschrift 2024)
- Vanessa Wieser (Hg.): »Branntweiner, Blue Box und Bermuda Dreieck. Unterwegs im Wien der 80er und 90er« (Milena 2024)
- Entdeckung: Peter von Matt: »Was ist ein Gedicht?« (Reclam 2017)
Belletristik:
- Percival Everett: »James« (Doubleday 2024)
Die Abenteuer des Huckleberry Finn erzählt aus der Perspektive des (ehemaligen) Sklaven Jim.
- Julia Jost: »Wo der spitzeste Zahl der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht« (Suhrkamp 2024)
Endlich wieder ein gscheiter und guter und super geschriebener Antiheimatroman.
- Udo Kawasser: »tarquninia. gespräche mit schatten. gedichte« (Limbus Lyrik 2024)
- Ilse Kilic, Fritz Widhalm: »Nimm dich in acht vor dem lobenden mund. Des verwicklungsromans 13. teil« (edition ch 2024)
- William Roy & Sylvain Dorange: »Hedy Lamarr. Wienerin, Hollywoodstar, Erfinderin« (Comic, bahoe books 2024)
Bildband:
- Gerhard Melzer: »Auf nach Graz. 1170 Kilometer durch die Stadt« (Sonderzahl 2023)
Kinderbuch:
- Sandra Bayer: »Schrecklich geheime Geisterbahn-Geheimnisse» (Klett Kinderbuch 2024)
Ist auch schrecklich nett und lustig und leuchtet im Dunkeln.
Entdeckungen:
- Percival Everett: »The Trees« (Graywolf Press 2021)
Mystery & Crime & Voodoo – zwei Schwarze FBI-Agenten suchen einen Täter und auch eine immer wieder verschwindende Leiche.
Donald A. Wollheim/Terry Carr: »World’s Best Science Fiction Stories 1970 (Ace 1971)
- Kam wirklich aus der Fundgrube bzw. den Tiefen des Trödels. Danke K.K.!
TV-Serien
- »Machine. Die Kämpferin« (Frankreich 2024, 6 Folgen. Mit Margot Bancilhon, JoeyStarr u. a. Regie: Fred Grovois, arte)
Die taz schrieb über die Serie »Karl Marx und Kung-Fu«. Das trifft es so ziemlich. Eine Ex-Elitesoldatin taucht unter, und zwar in ihrem Herkunftsort, findet einen Job in der örtlichen Waschmaschinenfabrik. Ihr Vorarbeiter JP, Ex-Junkie und Prediger des Testaments nach Karl Marx, verpasst ihr den Battle Name Machine. Statt Übernahme der Fabrik durch einen asiatischen Konzern geht’s in die Arbeiter*innen-Selbstverwaltung. Mit viel Action. Endlich einmal keine Dystopie im TV. Bitte weitermachen!
- »Headhunters« (Norwegen 2022, 6 Folgen, basiert auf dem Roman »Headhunters« von Jo Nesbø. Mit Axel Bøyum, Martin Wallström, Dominique Tipper u. a. Regie: Geir Henning Hopland, TV2 Norway, gesehen auf arte)
Roger Brown hat sich nicht nur seinen Namen ausgedacht, sondern seinen gesamten Lebenslauf. So gelingt ihm der Eintritt in Norwegens angesehenste Headhunter-Firma. Da ein Kollege/Konkurrent innerhalb der Firma bevorzugt wird, will Roger beweisen, dass er die bessere Wahl ist. Skrupel hat er keine, andere in der Branche aber auch nicht.
- »Stonehouse« (Großbritannien 2023, 3 Folgen. Mit Matthew Macfadyen, Kevin McNally, Keeley Hawes, Dorothy Atkinson u. a. Regie: Jon S. Baird, ITV1, gesehen auf arte)
In der brillant besetzten Miniserie geht es um die fast unglaubliche, aber wahre Biografie von John Stonehouse (1925–1988). Dieser war ein britischer Politiker, der unter Labour-Ministerpräsident Harold Wilson Staatssekretär und Minister war. Offenbar zeigte der studierte Ökonom viel Ehrgeiz und wenig Kompetenz. Wilson ließ ihn fallen. Stonehouse kam in finanzielle Schwierigkeiten, es wurde wegen unsaubererer Geschäfte gegen ihn ermittelt. Er täuschte seinen eigenen Suizid vor, um unerkannt ein neues Leben zu beginnen.
Filme
- »24 Stunden« (Österreich 2024, Regie: Harald Friedl)
Doku über den Alltag der 24-Stunden-Pflegerin Sadina Lungu und der von ihr betreuten Frau Pöschl in Bad Vöslau. Regie: Harald Friedl
- »Besuch im Bubenland« (Österreich 2024, Regie: Katrin Schlösser)
Doku über Lebenswelten, Beziehungen und Selbstbilder von Männern im Südburgenland.
- »Civil War« (UK/USA 2024, Regie: Alex Garland)
Kirsten Dunst als Kriegsfotografin in den nicht mehr Vereinigten Staaten, in denen ein unübersichtlicher Bürgerkrieg tobt.
- »La Chimera« (Italien/Frankreich/Schweiz 2023, Regie: Alba Rohrwacher)
Italien in den 1980er Jahren: Der Brite Arthur kann dank einer übersinnlichen Gabe verborgene antike Bauten und Gegenstände aufspüren. Er arbeitet mit einer Bande von Grabräubern zusammen. Wunderbarer fantastischer Realismus à la Italia.
- »Do Not Expect Too Much From The End Of The World« (Rumänien, Luxemburg, Frankreich, Kroatien 2023, Regie: Radu Jude)
Der ganz normale Wahnsinn des Lebens der Produktionsassistentin und Influencerin Bobita im Zeitalter des Neoliberalismus und Social Media Overkills in Rumänien.
- »Favoriten« (Österreich 2024, Regie: Ruth Beckermann)
Eine Volksschulklasse in Wiens 10. Bezirk und ihre wunderbare Lehrerin. Doku.
- »The Holdovers« (USA 2023, Regie: Alexander Payne)
Ein Schüler, Sohn reicher Eltern, und ein misanthropischer Lehrer müssen über die Weihnachtsferien im Nobelinternat bleiben. Aus der unerfreulichen Ausgangslage entwickelt sich ein Coming-of-age-Szenario für beide.
- »El Jockey« (Argentinien, Mexiko, Spanien, Dänemark, USA 2024, Regie: Luis Ortega)
Surreale, queere Tragikomödie aus Argentinien.
- »Mit einem Tiger schlafen« (Österreich 2024, Regie: Anja Salomonowitz)
Birgit Minichmayr als Maria Lassnig in diesem hervorragenden Biopic.
- »The Village Next to Paradise« (Österreich, Frankreich, Deutschland, Somalia 2024, Regie: Mo Harawe)
Der Struggle für ein besseres Leben im sogenannten »failed state« Somalia.
- »Vista Mare« (Österreich, Italien 2023, Regie: Julia Gutweniger, Florian Kofler)
Ein faszinierender und erschreckender Blick hinter die Kulissen eines italienischen Ferienorts an der Adria.
Ausstellungen
- »Über Tourismus«, Wanderausstellung, von 21.03. bis 09.09.2024 im Architekturzentrum Wien, im nächsten Jahr in der VHS Kulturgarage, Seestadt Aspern (06.02. bis 02.03.2025), im Architektur Haus Kärnten, Klagenfurt (04.04. bis 23.05.2025), in aut.architektur und tirol, Innsbruck (27.06. bis 25.10.2025) und ab November in Bozen
- »Käthe Leichter. Und die Vermessung der Frauen«, bis 01.03.2026 im Das rote Wien im Waschsalon, Karl-Marx-Hof
- »Monster Chatwynd. Moths, Bats and Velvet Worms! Moths, Bats and Heretics!«, 07.11.2024 bis 09.02.2025, Belvedere 21
- »Kazuko Miyamoto«, 12.09.2024 bis 02.03.2025, Belvedere 21
Sepp Wejwars Listen 2024 feat. neue Synthesizer
Mit Tagebuch bin ich nicht gut. Oft angefangen, nie durchgehalten. Dabei wäre das jetzt so praktisch, da »Die Red.« pünktlich »listig« wurde. Also muss wieder die Erinnerung her. Vor dem Listenerstellen habe ich noch schnell einen virtuellen Zettel auf meinen »Desktop« gepickt: »TAGEBUCH 2025!!!« Nicht lachen! In einem Jahr werde ich es euch zeigen.
Sepps Top 6 Freie Improvisations- und experimentelle Meetings 2024 in Wien
- V.e.k.k.s.: »Free Forms Of Arts monthly Meeting« (Emil Gross und Paltinszky Márton; monatlich)
- Semmelweisklinik: »Die Erdbeerfrösche Soirée« (Yoram Rosilio und Valentin Duit; monatlich)
- Café Korb: »The SFIEMA Improvised Music Club (curated by Mia Zabelka; fünfmal pro Jahr)
- Rhiz: »Signal Zirkus« (Michael Ramsauer Müller, Moritz Scharf et. al.; quartalsweise)
- Coco Bar: »Noice Summer Sessions« (Haruki Noda; sommerlich)
- Celeste: »Monday Improvisers Session« (curated by Susanna Gartmayer et. al.; wöchentlich, Sommerpause)
Sepps Top 13 neue Synthesizer 2024
- beetlecrab audio: »Tempera«
- Mad Sound Factory: »Drop«
- Polyend: »Tracker Plus«
- SOMA Laboratories: »Lyra 4«
- Fred’s Lab: »Manatee«
- Mayer EMI: »MD850 Vibes«
- Dreadbox: »Murmux«
- Moog: »Labyrinth«
- Jomox: »Mod FM D«
- Behringer: »Spice«
- Melbourne Instruments: »Nina«
- Supercritical: »Redshift 6«
- Polyend: »Synth«
Sepps Top 12 neue Sachbücher 2024
- Thomas Metscher: »Faust und die Dialektik« (Magroven)
- Thomas Stölner, Uwe H. Bittlingmayer, Gözde Okcu (Hg.): »Anarchistische Gesellschaftsentwürfe« (Unrast)
- Christoph Butterwegge: »Umverteilung des Reichtums« (Papyrossa)
- Antje Leetz: »Der schwarze Stein aus Tschechows Garten: Meine schmerzliche Liebe zu Russland« (Edition Schwarzdruck)
- Alyson K. Spurgas, Zoë C. Meleo-Erwin: »Dekolonisiert Selfcare« (Edition Nautilus)
- Klaus Heinrich: »Giovanni Battista Piranesi« (ça ira)
- Matteo Pasquinelli: »Das Auge des Meisters« (Unrast)
- Byung-Chul Han: »Der Geist der Hoffnung: Wider die Gesellschaft der Angst« (Ullstein)
- Marcus Steinweg, Sonja Dierks: »Kafka« (Mathes & Seitz)
- Pierre-Héli Monot: »Hundert Jahre Zärtlichkeit« (Mathes & Seitz)
- AK Beau Séjour: »Sterben und sterben lassen« (Buchmacherei)
- Jürgen Leibiger: »Selbst auf die Gefahr des Galgens« (Papyrossa)
Sepps Top 11 neue Alben 2024
- Myl Trio: »Parallel Universe« (Setola Di Maiale) Review
- Jaz Drevo: »Sparks« (Palomar Records) Review
- Michael Fischer: »Feed Back Saxo Fone« (Klanggalerie) Review
- Luisa Muhr, Maria Grand, Eric Arn: »In Trialogue« (Self Release) Review
- Pierre Bastien, Dr. Truna: »Electric Totems« (áMARXE Records) Review
- Heidrun Schramm & Nicolas Wiese: »Out Of Glass« (nostalgie de la boue)
- Kongamato: »Rites« (Lotophagus Records)
- Beat Love Oracle feat. Liang Yu Wang: »Radical Risk« (áMARXE Records) Review
- Forgotten Dawn: »Scarlet Monoliths« (Self Release)
- V. Vecker: »New Works« (Tool Use)
- Various Artists: »Hapax« (nostalgie de la boue)
Peter Kaisers Feier der Musik
Nehmen wir uns die Zeit, nicht nur Wahlergebnisse und sonstige Katastrophen von 2024 Revue passieren zu lassen, und feiern die Musik des alten Jahres.
5 feine Alben (alphabetisch)
- High Vis: »Guided Tour« (Dais)
- Il Sogno Del Marinaio: »Terzo« (Improved Sequence)
- The Last Dinner Party: »Prelude To Ecstasy« (Island)
- Loma: »How Will I Live Without A Body?« (Sub Pop)
- The The: »Ensoulment« (Cineola/Ear Music) Review
10 schöne Songs (alphabetisch)
- Buntspecht: »Im Fluss«
- Nick Cave & The Bad Seeds: »Wild God«
- The Cure: »Endsong«
- Einstürzende Neubauten: »Isso Isso«
- Sam Fender: »People Watching«
- Kim Gordon: »I’m A Man«
- Mira Lu Kovacs: »Shut The Fuck Up And Let Go«
- Lava La Rue: »Push N Shuv«
- The Messthetics & James Brandon Lewis: »Emergence«
- Tocotronic: »Denn sie wissen, was sie tun«
20 beglückende Konzerte (chronologisch)
- Lunchbreak, When Yuppies Go To Hell, 13.01.2024, Venster 99, Wien
- Napalm Death, Wormrot, 15.02.2024, Arena, Wien
- Wipeout, Half Darling, 23.03.2024, Chelsea, Wien
- Ken Vandermark & Elisabeth Harnik & Didi Kern, 28.03.2024, Celeste, Wien
- Judas Priest, 01.04.2024, Stadthalle, Wien
- John Zorn’s New Masada Quartet, 30.04.2024, Porgy & Bess, Wien
- Il Sogno Del Marinaio, 27.05.2024, Chelsea, Wien
- Mozo Mozo, Christian Reiner & Lukas König, 07.06.2024, Celeste, Wien
- Kim Gordon, 28.06.2024, Orpheum, Graz
- Toxic Violin (Salon skug auf Rädern), 29.06.2024, Dohnal-Villa, Wien
- Suicidal Tendencies, 03.07.2024, Arena, Wien
- Left To Die, 06.08.2024, Viper Room, Wien
- Cynic, 08.08.2024, Replugged, Wien
- Emma Ruth Rundle, 27.08.2024, Arena, Wien
- Bulbul, 30.08.2024, Café Else, Wien
- Ankathie Koi, 01.09.2024, Volksstimmefest, Wien
- Zeke, 22.10.2024, Arena, Wien
- Joe McPhee & Hamid Drake, 07.11.2024, Celeste, Wien
- EsRAP & Gasmac Gilmore, Honigdachs Bande (5 Jahre SOS Balkanroute), 23.11.2024, Arena, Wien
- Teho Teardo & Blixa Bargeld, 05.12.2024, WUK, Wien
5 Mal Musik zum Schmökern
- Françoise Cactus: »Oh Oh Mythomanie. Erlebtes, Erinnertes & Erlogenes« (Ventil)
- Philip Freeman: »In The Brewing Luminous: The Life & Music Of Cecil Taylor« (Wolke)
- Peter Kemper: »The Sound Of Rebellion. Zur politischen Ästhetik des Jazz« (Reclam) (Bereits 2023 erschienen; aber 750 Seiten sorgten auch 2024 für genügend Lesestoff.)
- Margit Niederhuber, Walter Gröbchen (Hg.): »Redn kaun ma boid. Sigi Maron Lesebuch« (Mandelbaum) Review
- Peter Pichler: »Breaking The Law? Recht, Moral und Klang in der steirischen Heavy-Metal-Szene seit 1980« (Kohlhammer)
6 Nachrufe
Marshall Allen, Bandleader des Sun Ra Arkestras, wurde am 25. Mai 2024 unglaubliche 100 Jahre alt und nimmt nach wie vor auf. Unter anderem die folgenden sechs Musiker*innen spielen seit 2024 nicht mehr in irdischen Gefilden: Thank you for the music – rest in eternal sound!
- Mojo Nixon (†07.02.2024)
- Jon Card (DOA, SNFU etc.) (†08.04.2024)
- Gary Floyd (†02.05.2024) Nachruf
- Steve Albini (†07.05.2024)
- Irène Schweizer (†16.07.2024)
- Paul Di’Anno (†21.10.2024)
Jahresliste von Christian Egger
2024 war ein Jahr der Überraschungen, der Rückkehren und der schönen (Wieder-)Veröffentlichungen. Denn ganz ehrlich, wer hätte wirklich eine Brutal-Verschimmelt-Reunion am Schirm gehabt?
- Toby Manning: »Mixing Pop and Politics: A Marxist History of Popular Music« (repeater books)
Dieses Buch ist ein sehr großer Spaß, alle Songtitel haben US- und UK-Chartplatzierung in Klammern beigefügt, ob Folk, Soft-Glam-Rock, Britpop, Metal, Funk, Disco, Soul oder Rap, kein Marcuse, Debord, Žižek oder Boltanski und Chiapello können die Freude an den flüchtigsten der flüchtigen One-Hit-Wonder der letzten 70 Jahre und deren Chance auf befreiende Wirkung im Dreieck Musik, Politik und Leben trüben. Groß!
- Rent: »Kill a Phantom« (Ventil Records)
Rent aka Katrin Euller erfüllt auf ihrem Solodebüt alle Anforderungen an spannungsgeladene Drones: epische Schwere, magische Tiefe im feinen Wechselspiel, jene besondere Sorte dunkler Ambient, der den cineastischen Endzeit-Vibes die eigentliche Fallhöhe bzw. Basstiefe skaliert und dabei auch noch exakt groovt.
- Shit & Shine: »Rum and Coke« (Riot Season Records)
Über die eigentliche stilistische Vielfalt Shit & Shines muss deshalb nicht gezweifelt oder debattiert werden, hier aber ein sehr derber, schmutziger und totaler Rückgriff auf elementarste Schweinerockabgründe. Ein strahlend kratzender Absturz, der andere Noise-Rock-Reunions in eigene kleinere und schlichtere Schatten drängt.
- Cindy Lee: »Diamond Jubilee« (Realistik)
Komplette Jahreslistenabräumer*in und völlig zurecht auch noch. Wer aus diesen zwei Stunden keinen Seelenbalsam zieht, hat vermutlich auch auf chemischem Weg Probleme, sich Morgensonnegefühle und Lebensleichtigkeit vorzustellen oder zu empfinden. Konzept-Doppelalbum-Liebe, wrapped!
- Ghost Dubs: »Damaged« (Pressure)
Experimentell und rhythmisch austariert, nie ohne die Genre-eigene Basswärme auszusparen. Willkommene Plattentellerumarmungen oder auch gepflegte Dub Battles mit Basic Channel und Prince Far I!
- Lola Young: »This Wasn’t Meant For You Anyway« (Island)
Verrückt und talentiert, so mussten Pop-Protagonist*innen immer sein, schon um die bestellten Anziehungsfelder immergrün proaktiv wechselwirkend zu halten. Der diesbezüglich sympathisch doppelt gesegneten Lola Young und uns soll’s egal sein, bitte nicht stören und weiter und mehr dieser Ohrwürmer à la »Conceited« und der tanzbaren Postpunk-Eruptionen darin!
- Florian Hecker: »Resynthese FAVN« (Blank Forms)
Wie das alles überhaupt und auch wie aufgenommen werden kann und dann noch in eine 10-CD-Box zu kriegen ist, übersteigt mein technisches Wissen. Aber, dass diese von Stéphane Mallarmés Gedicht »L’Après-Midi d’un Faun« ausgehenden und einst 2017 in der Kunsthalle Wien ausgestellten sonischen Resynthetisierungen in diese Box passen, ist dann auch wieder beruhigend und der Besitzer*innen Glück und Fiebertraum.
- Ka: »The Thief next to Jesus« (Iron Works Records)
Das letzte, kurz vor seinem Tod im Oktober veröffentlichte Album des Brooklyner Rappers ist thematisch ausgeklügelte Fundamentalkritik am organisierten Christentum und seinem verheerenden Einfluss auf die Schwarze Bevölkerung. Auf musikalischer Ebene entsteht mit den gesampelten Chören und verhaltenem, aber sprachgewaltigem Sprechgesang Kas eine magnetisierende Heterophonie, die sich diese schäbig gestohlene Spiritualität eindrucksvoll und nachhaltig zurückholt.
- Pisse: »Dubai« (Phantom Records)
In der Kürze und Basslastigkeit eher überraschendes Kurzalbum, nichtsdestotrotz, wer 2024 Dubai ohne den Zusammenhang Schokolade erwähnen und sich die Wartezeit auf die Re-Releases der »Pure Freude«-Singles von S.Y.P.H. (Tapete Records) vertrösten wollte, ist hier mehr als richtig.
- Various Artists: »Lucky« (Self Release)
Eine von großer Sorgfalt bezüglich Artwork und Auswahl der vertretenen Acts und Tracks getragene Compilation deren Erlös den Organisationen Queerbase und MAP – Medical Aid for Palestinians zugute kommt. Allein wegen CS Yehs fantastischem Pointer-Sisters-Cover von »Slow Hand« ein nicht zu übergehendes Muss in dieser Jahresrückblicksliste!
Ania Gleichs queer(-feministisch)e Must-haves für alle Gemütslagen
Top 5 best FLINTA*-lead queer songs to seduce, smolder, or simply sizzle:
- Fletcher: »Doing Better«
- Charlotte Day Wilson: »Canopy«
- Billie Eilish: »Lunch«
- Remi Wolf: »Toro«
- Sophie: »Reason Why (feat. Kim Petras & BC Kingdom)«
Top 5 best queer albums to dance or frantically move to:
- Billie Eilish: »Hit Me Hard and Soft« (Interscope Records)
- Dua Saleh: »I Should Call Them« (Ghostly International)
- 070 Shake: »Pertrichor« (GOOD Music)
- Mannequin Pussy: »I Got Heaven« (Epitaph)
- Sadness: »I Want To Make Something As Beautiful As You« (Self Release)
Top 5 best queer movies to cuddle or enthusiastically cry to:
- »I Saw The TV Glow« (USA 2024, Regie: Jane Schoenbrun)
- »Challengers« (USA 2024, Regie: Luca Guadagnino)
- »Love Lies Bleeding« (USA/UK 2024, Regie: Rose Glass)
- »The Room Next Door« (Spanien 2024, Regie: Pedro Almodóvar)
- »Will & Harper« (USA 2024, Regie: Josh Greenbaum)
Top 5 best FLINTA*-lead horror movies to scream, shiver, or slay:
- Demi Moore in »The Substance« (UK/USA/Frankreich 2024, Regie: Coralie Fargeat)
- Naomi Scott in »Smile 2« (USA 2024, Regie: Parker Finn)
- Willa Fitzgerald in »Strange Darling« (USA 2024, Regie: JT Mollner)
- Maika Monroe in »Longlegs« (USA 2024, Regie: Oz Perkins)
- Hunter Schaefer in »Cuckoo« (Deutschland/USA 2024, Regie: Tilman Singer)
Georg Schneiders 7-inch-Kür
Eduardo Brecho singt eine unglaubliche Fela Kuti Version von »Water Get No Enemy« in der Sprache der Yoruba. Tugboat ist von Star Creature ein Unterlabel. E. Live macht Boogie vom Feinsten. Surprise Chef haben mit Minoru Muraoka eine australisch-japanische Wunderkerze entzündet. Bei Gitkin habe ich mir die Platte wegen der Human-League-Version von »Don’t You Want Me Baby« zugelegt, doch es geht um die B-Seite »Mi Lamento«. »Lazy Love« wurde Anfang der 1980er in Tokio von Izumi »Mimi« Kobayashi aufgenommen und nun neu von Prince Fatty abgemischt. »A.I.E.« ist ursprünglich von Black Blood. Und Original Gravity ist ein spitzen Rocksteady-Label, das Prince Alphonso & The Fever 2024 heraus ebracht hat.
- Eduardo Brecho: »Water Get No Enemy«/»The Revolution Will Not Be Televised« (Barbershop Records)
- Fava Luva & Dr. Professor: »Lahatz & Kerem« (Fossils)
- Gitkin: »Don’t You Want Me Baby (Cumbia)«/»Mi Lamento« (Wonderwheel Recordings)
- The Bam Jam Band: »Theme«/»Don’t Go Away« (Mad About Records)
- Surprise Chef & Minoru Muraoka: »The Positive And The Negative« (Mr Bongo)
- E. Live: »Make Me Move«/»Here’s To You« (Tugboat Editions)
- Chazbo & Rockers Far East: »Confucius« (Bunna Music)
- Izumi Mimi Kobayashi & Tokyo Riddim Band: »Lazy Love« (Time Capsule)
- MonsieurWilly: »A.I.E. (A Mwanda)« (Funky French League Records)
- Prince Alphonso & The Fever: »Burning Spear« (Original Gravity)
Music that moved Chris Hessle in 2024
Das vergangene Jahr war düster und voller Schatten. Paradiesische Zustände also für DJ Anderson do Paraiso, der mit seinen minimalistischen Funk-BH-Entwürfen postkoloniale Schattenreiche nachzeichnet, dass uns der Mund offenbleibt. Zwar ringen Brigitta Bödenauer, Julia Just und Khrystyna Kirik um Worte, ihre Atmosphären bilden aber vielleicht gerade deshalb einen würdigen Rahmen für die metallische Finsternis des Jahreswechsels. Auch Nikolaienkos Metallophon-Loops und Sarah Davachis gedeckte Orgel-Drones passen gut in diese Kategorie. Dagegen sind Stücke von Ábris Gryllus beinahe schon euphorisch und Wolfgang Seidels freundliche Elektronen klingen für mich eher nach putzigen Haustieren (die sich allerdings ins Battersea Power Plant verirrt haben). Da können Manga Saint Hilare & MoreNight noch so herumalbern, alles unter Kontrolle zu haben – das nimmt ihnen heuer niemand mehr ab. Nídia & Valentina Magaletti suchen daher das Weite und scheppern mit Drum and Bass der anderen Art die Estradas entlang. Zoë Mc Pherson und Sun People stolpern leichtfüßig mit 150 Sachen hinterher, während mit einigem Abstand, schweren Schrittes, dabei aber wild gestikulierend noch Toupaz folgt. Angefeuert werden alle von Phelimuncasis & Metal Preyers, die mit ihren verschachtelten Chants diverse »Izigqinamba« (Probleme) besingen. In der weltweiten Scheiße, in der die Welt gerade steckt, steigt dann plötzlich ein Geschenkballon namens Tierra Whack empor und gesteht schnippisch, dass sie zwar heute noch draufgehen könnte, diesen Monat aber ihre Rechnungen noch nicht bezahlt hat.
- DJ Anderson do Paraiso: »Paraiso Sombre« (Nyege Nyege Tapes)
- Brigitta Bödenauer: »And time fell out of their mouth« (Smallforms)
- Julia Just: »analogy of the unspoken« (Transformer Music)
- Khrystyna Kirik: »Soundtrack From I She Her/ Я Вона Її« (5723451)
- Nikolaienko: »Meta« (Muscut)
- Ábris Gryllus: »Relent« (Exiles)
- Sarah Davachi: »The Head as Form’d in the Crier’s Choir« (Late Music)
- Wolfgang Seidel: »Friendly Electrons« (Karl)
- Manga Saint Hilare & MoreNight: »Everything Is Under Control« (MNRK UK)
- Nídia & Valentina Magaletti: »Estradas« (Latency)
- Sun People: »Joyfull Discontent« (guides)
- Zoë Mc Pherson: »Chaos 3.0 Live« (SFX)
- Toupaz: »Frantic Gestures« (Eclipse Tribez)
- Phelimuncasi & Metal Preyers: »Izigqinamba« (Nyege Nyege Tapes)
- Tierra Whack: »World Wide Whack« (Interscope)
Lutz Vössings Top 20/24
- Ariel Kalma, Jeremiah Chiu & Marta Sofia Honer: »The Closest Thing to Silence« (International Anthem)
- Coral Morphologic & Nick León: »Projections of a Coral City« (Balmat)
- Couch Slut: »You Could Do It Tonight« (Brutal Panda Records)
- Fennesz: »Mosaic« (Touch Music)
- Haley Heynderickx: »Seed of a Seed« (House Arrest)
- Hermeto Pascoal & Grupo: »Pra você, Ilza« (Rocinante)
- Jessica Pratt: »Here in the Pitch« (Mexican Summer)
- Loscil & Lawrence English: »Chroma« (Room40)
- Melt-Banana: »3+5« (A-Zap Records)
- Nala Sinephro: »Endlessness« (Warp)
- Noga Erez: »The Vandalist« (Atlantic/Neon Gold)
- Oren Ambarchi/Johan Berthling/Andreas Werliin: »Ghosted II« (Drag City)
- Ramones: »The 1975 Sire Demos« (Rhino)
- Reinhold Friedl & Martin Siewert: »Lichtung« (Karlrecords)
- Scanner & Neil Leonard: »The Berklee Sessions« (Altagsmusik)
- SHXCXCHCXSH: »……t« (Northern Electronics)
- Soela: »Dark Portrait« (Scissor & Thread)
- Stylianos Ou & The Cortisol Cows: »Fucked Forever« (ever/never)
- Tatsuya Yoshida & Casimir Liberski: »Troubled Water« (Totalism)
- Thomas Stern & Anna Clementi: »Zound Delta 2« (Karlrecords)
Walter Pontis’ Faves 2024
»The American Dream Is Killing Me,« orakeln Green Day, während ihr Megakonzern sich dann wohl doch gut mit Trumps »America First« arrangieren wird können. Wiedererwacht ist mein Rock’n’Roll-Fieber bereits zu Beginn des Jahres mit dem noch 2023 erschienenen Album »The Devil Always Collects« der Rockabilly-Legende Brian Setzer (Ex-Stray-Cats). Fortgesetzt wurde der Wirbel im Lauf des Jahres mit den Alben von Jack White (den ich bislang, ebenso wie Green Day, nur in Ausnahmefällen goutierte), Nick Lowe (der seine »Indoor Safari« mit Herzschrittmacher-Rock’n’Roll und gefinkelten Blaupausen beim Fünf-Uhr-Tee am SoBe abfeuerte) sowie den noch recht unbekannten, der französischen Provinz bereits entwachsenen Jungspunden namens Dynamite Shakers.
Aber zentral stand auch heuer wieder avantgardistisches Dénouement: Elaine Mitchener verknüpft in ihrer kathartischen Gesangsperformance afrikanische Diaspora und europäische Avantgarde. Felicia Chen aka Dis Fig setzt ihre Death-Noise-Electronica-Randale (hier unser Interview im Rahmen des Donaufestivals 2022) nun ebenso knüppeldick mit The Body fort. Die expressive Dub/Industrial/Noise-Katharsis von The Bug gibt es sowohl als Doppel-LP als auch in einer fast eineinhalbstündige 12-Track-Version (The Bug & Flowdan sind live am Elevate 2025 zu sehen). Der*die in Berlin ansässige koreanische, queere und non-binäre Bela stellt gutturalen Death Metal aus. Fennesz gibt abermals überzeugend den Ambient-Puls der Zeit vor und, last but not least, befindet sich Chino Amobi, wie bei seinem Debüt im Jahre 2017 (siehe hier), ganz vorne in meinen Album-Jahrescharts.
Concerts: Aisha Devi verwandelte beim Hyperreality das Otto-Wagner-Areal, einst Wiener Zentrum der nationalsozialistischen Tötungsmedizin, mit einer überwältigenden avantgardistischen Club-Music-Performance geradezu in einen Hexenkessel. Lord Spikeheart ist auch kommendes Jahr live zu sehen (ebenfalls am Elevate 2025 in Graz). Kim Gordon stellte mit ihrer aktuellen Truppe (wie mit ihrem Album) die Altvorderen in den Schatten. Ebenfalls zu meinen Highlights des Jahres zählt der rasant aufstrebende Frauenfußball, insbesondere in den USA, England, Spanien und Deutschland. In Österreich stagniert er seit geraumer Zeit etwas. Betrüblicherweise ist da keine markante Verbesserung in Sicht. Die Liste »Fave 15 Female Football Players 2024« ist übrigens (auch) keine «Best of«, sondern stellt schlichtweg meine Favoritinnen vor.
Pontis’ Fave 20 + 1 Albums 2024
- Elaine Mitchener: »Solo Throat« (Otoroku/Cargo)
- Chino Amobi »Eroica« (Shrapnel Lullabies)
- The Body & Dis Fig: »Orchards of a Futile Heaven« (Thrill Jockey)
- The Bug: »Machines I–V« (Relapse Records/Membran)
- Bela: »Noise and Cries« (Subtext)
- Ghost Dub: »Damaged« (Pressure)
- Kim Gordon: »The Collective« (Matador Records)
- Kim Deal: »Nobody Loves You More« (4AD)
- Moor Mother: »The Great Bailout« (Anti-Records)
- Fennesz: »Mosaic« (Touch)
- Green Day: »Saviors« (Warner)
- Cindy Lee: »Diamond Jubilee« (Realistik Studios)
- Shellac »To All Trains« (Touch And Go Records)
- Keeley Forsyth: »The Hollow« (Fat Cat)
- GloRilla: »Glorious« (Interscope)
- Sexyy Red: »In Sexyy We Trust« (Rebel/Gamma)
- Jack White: »No Name« (Third Man Records/Legacy)
- Dynamite Shakers: »Don´t Be Boring« (Les Disques En Chantier)
- Willie Nelson: »Last Leaf On The Tree« (Sony Music Entertainment)
- Nick Lowe & The Los Straitjackets: »Indoor Safari« (Yep Roc Records)
- Brian Setzer: »The Devil Always Collects« (Mascot Label Group/Tonpool)
Pontis’ Fave 7 Concerts 2024
- Aisha Devi, 25.05.2024, Hyperreality, Otto-Wagner-Areal
- Kim Gordon, 28.06.2024, Orpheum Graz
- Clipping., 20.04.2024, Donaufestival Krems
- Lord Spikeheart/Abu Gabi, 07.05.2024, Rhiz
- Meuko! Meuko!, 19.04.2024, Donaufestival Krems
- Kee Avil, 10.05.2024, Chelsea
- 33EMYBW & Joey Holder, 26.04.2024 Donaufestival Krems
Pontis’ Fave 15 Female Football Players 2024
- Mariona Caldentey (Arsenal)
- Esther González (NY/NY Gotham)
- Naomi Girma (San Diego Wave)
- Ewa Pajor (Barcelona)
- Giulia Gwinn (Bayern München)
- Alyssa Naeher (Chicago Red Stars)
- Sophia Smith (Portland Thorns)
- Selma Bacha (Lyon)
- Sakina Karchaoui (PSG)
- Trinity Rodman (Washington Spirit)
- Aitana Bonmati (Barcelona)
- Caroline Graham Hansen (Barcelona)
- Olga Carmona (Real Madrid)
- Barbara Dunst (Eintracht Frankfurt)
- Marie Höbinger (FC Liverpool)
Die Consumerism-Escapism-Videos 2024 von Frank Jödicke
Mit kleinen Aussetzern bringt die Escapism-Liste einen Überblick zum Schwelgen jener Videos des Jahres, die das gestresste und zunehmend überforderte Gemüt wohltuend abschweifen lassen. Die Verbindung von Bild und Ton mag »Brimborium« für Puristen sein, weil weder Klang noch Bild an sich gehuldigt werden können, sondern sich unentwirrbar zu einem Ganzen vereinen. Genau deshalb wirkt diese Kunstform so entspannend. Eintauchen ist in einem medialen Umfeld, das nur mehr auf die Usurpation durch unmittelbare Reise ausgerichtet wird, umso wichtiger. Dass das heute weniger mit Romanlesen als mit Videoschauen geht, ist so eine Sache. Der Untergang der menschlichen Zivilisation ist das übrigens nicht, auch früher war die Welt voller Ablenkungen (Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Briefkästen in Wien alle 15 Minuten geleert und man erhielt bis zu zwölf Mal am Tag Briefe.) Hoffentlich hilft diese Liste jenen, die mal ein bisschen abdriften möchten und denken: Irre, was es so alles gibt! Happy New Year und überhaupt.
- Hurray For The Riff Raff: »Pa’lante«
Acht Minuten, so intensiv wie ein Film der Dardenne-Brüder. Das Anprangern der Ungerechtigkeit gegenüber Puerto Rico, die Hoffnung, die Widerstandskraft, so ergreifend, so mächtig. Dieses Video sollte man Donald Trump auf seinen orangen Arsch tätowieren. Vorwärts!
- Mk.gee: »Dream Police«
Eine opulente Horrorshow mit ungewöhnlich ersticktem Gitarrensound zeigt auf, welchen Gestalten sich beim Busfahren begegnen lässt. Ein eindrückliches Plädoyer für den nächtlichen ÖPNV.
- MJ Lenderman: »She’s Leaving You«
»I heard better music coming out of a dog’s ass.« Dennoch einer der Songs (inklusive Video), die das Jahr 2024 mitdefinieren können. Neil Youngs Urenkel zeigt, wie viel Mühe in Schulaufführungen liegt und dass jedes Talent diese Art von Community-Mitwirkung irgendwie total gern hat.
- Jamie xx: »Falling Together« ft. Oona Doherty
Wunderschön gefilmt und einer der seltenen Fälle, in dem die Intensität des Tanzes in einem Video erlebbar wird. Außerdem, statt dem EDM-üblichen »pussy talk« wird echter Text geliefert. This is deep, gerne genau zuhören.
- Vampire Weekend: »Classical«
Vampire Weekend zeigen mustergültig, wie Video geht. Sorgfältig ausgesuchte Klamotten, starke Kameraeinstellungen und erst die Moves! Wichtig: Wenn der Bandleader singt, einfach mitnicken. Hochwertige Videotricks (Greenscreen, Fisheye) runden das Video zum Gesamtkunstwerk ab. Wird seinem Anspruch gerecht: »Classical«.
- Chat Pile: »Masc«
Chat Piles geiles Heavy belegt, ins Fitnessstudio geht man nur mit Bierflasche. Die Body Politics des gestählten Körpers sind ein Kommentar zum Macho-Wahnsinn, den Chat Pile kacke finden. Zudem sprechen die Noiserocker differenzierter als Godspeed an, dass der Krieg in Gaza einfach nicht mehr auszuhalten ist. Irgendwas läuft gerade schief mit der Menschheit. Übrigens: Masken werden in den USA jetzt verboten, weil Covid ist eine Illusion und die Polizei will gerne dein Gesicht sehen.
- Beth Gibbons: »Floating On A Moment«
Der Einsatz von AI in Videoproduktionen geht fast immer tragisch schief. Wir reden hier von dir, Peter Gabriel. Der Witz ist, dass künstlerische Entscheidungen nicht den AI-Spinnereien unterliegen dürfen, im Sinne von »Schau mal wie geil«. AI sollte eingesetzt werden wie ein zusätzlicher Pinsel. Beth Gibbons macht vor, wie es geht, das AI-Zeug passt zu dem wunderschön verträumten Song und umrahmt die gut gefilmten »echten« Sequenzen.
- Cindy Lee: »Dracula«
Es gibt einen Gitarrensound und eine Art Seventies-Experimentalfilm, die einfach füreinander gemacht sind, und natürlich hat das fast immer was mit Vampiren zu tun, die mögen auch kein Tageslicht.
- Fontaines DC: »Romance«
Ob man mit dieser irischen Band unbedingt befreundet sein möchte? Da sind sicherlich gewisse unbearbeitete Gewaltkomponenten in ihren krachend poetischen (?) und überwältigend reichen Sound-und-Bild-Stories. Geiler Sound für einen Zirkus beunruhigender, freakiger Clowns.
- Pet Shop Boys: »Loneliness«
Die Pet Shop Boys machen seit Jahren engagierte Videos (»Give Stupidity a Chance«). Sie gehören zu den Bands, die sich die Tür in ein sinnvolles Alterswerk aufgestoßen haben, und reißen nicht nur den Kasper mit ihren Eighties-Hits runter. »Loneliness« erkundet mit den Mitteln des Electropops Isolation und die Angst vor den eigenen Gefühlen. Oder so ähnlich.
- The Rolling Stones: »Mess It Up«
Toxische Männlichkeit im Jahr 2024 aus der Sicht der Rolling Stones. Musikalisch haben sich die Stones nicht verändert. Kein Wunder, die letzten Verbesserungsvorschläge stammen aus den späten 1960ern. Ihr Frauenbild blieb seitdem grundsätzlich ebenso unangetastet, siehe Wet-T-Shirt-Ästhetik für den Seniorenclub der aktuellen Filmwerke. In diesem Musikvideo nun aber ein Plädoyer für Familienwerte und gegen den Ausbruch. Prädikat seltsam, aber sehenswert.
- Jon Batiste: »Für Elise«
Die Synkopierung ist das Aufbegehren gegen den von den Maschinen vorgegeben, gleichförmigen Rhythmus. So rettet Jazz Humanität inmitten der Grausamkeit der Industrialisierung. Der Kniff gehört in eine Kunstgalerie, denkt sich Jon Batiste. Außerdem, wie diese Nummer »richtig« weitergeht, weiß ohnehin jede*r. War Beethoven selbst schwarz und deshalb so groovig? Who knows? Samuel Coleridge-Taylor hat es vermutet.