Kammerspiele sind die hohe Kunst des Kinos. Wie kaum ein anderes Format legen sie Wert auf Details, auf schauspielerischen Ausdruck, auf geschliffene Dialoge, auf präzise Kameraführung und auf die Inszenierung des Augenblicks. Der in der Regel begrenzte Raum gibt dabei den intimen Rahmen vor, in dem sich die Handlung entspinnt, die überschaubare Crew an Darsteller*innen den Plot, der sich im besten Fall nicht klar dem dramatischen oder komödiantischen Fach zuordnen lässt. Seine Ursprünge hat das Genre im deutschen Stummfilm der 1920er-Jahre, neuere Beispiele sind etwa »The Hateful Eight« von Quentin Tarantino, »Locke« von Steven Knight oder »Carnage« von Roman Polanski.
»Comme le feu« (»Who by fire«) von Regisseur Philippe Lesage ist – auf der erweiterten Bühne der kanadischen Wildnis rund um Quebec, Kanada – so ein Kammerspiel und wird allen Ansprüchen des Genres gerecht. Drehbuchautor Albert, seine Tochter Aliocha, sein Sohn Max und dessen Freund Jeff treffen darin auf den ehemaligen Arbeitskollegen des Vaters, den Regisseur Blake und seine Entourage, und verbringen ein paar Tage in dessen Blockhütte im Wald. Die Anspannung zwischen den Akteur*innen ist von der ersten Sekunde an zu spüren und entlädt sich zwischen verschiedenen Polen, allen voran den beiden überbordenden Egos von Albert und Blake, in denen sich zwei unterschiedlich ausgeprägte, aber ebenbürtig toxische männliche Stereotype gegenüberstehen, deren vordergründige Freundschaft sich bald als verbohrte Rivalität entpuppt, die vor Kleinlichkeiten und Gehässigkeiten nur so strotzt.
Die Hauptfigur ist jedoch Jeff, der in seiner Beziehung zwischen den einzelnen Figuren hin- und hergerissen ist – die Freundschaft zu Max, die Verliebtheit in Aliocha, die Bewunderung von Blake und die Loyalität zu Albert, die beide um die Rolle des väterlichen Mentors für ihn konkurrieren – und der nicht nur dem Publikum Identifikationsfläche bietet, sondern auch autobiografische Züge des Filmschaffenden aufgreift. Die Geschehnisse, die sich über einige Tage in und rund um Blakes Blockhütte entspinnen, schwanken dementsprechend zwischen freundschaftlichen Neckereien und kleinen Häkeleien bis zu schweren, ja sogar lebensbedrohlichen Verletzungen sowohl physischer als auch psychischer Natur, die jeweils beim gemeinsamen Abendessen gipfeln – in der Tafelrunde, bei der sich Albert und Black und ihre jeweiligen Parteien täglich an die Gurgel gehen, aber auch ausgelassen feiern.
Am Ende, soviel sei gesagt, sind alle Illusionen geraubt, alle Idole abmontiert und wohl auch einige Brücken abgebrannt. Trotz der langen Spielzeit von 155 Minuten und der späten Erstvorstellung im Rahmen der Viennale 2024 war der Film daher bis zuletzt fesselnd, überraschend und hochgradig unterhaltsam. Es bleibt zu hoffen, dass Philippe Lesage sein im Publikumsgespräch angedeutetes Vorhaben, irgendwann ein Musical zu inszenieren, mit der gleichen Brillanz und Feinfühligkeit umsetzt – vielleicht sogar mit »Rock Lobster« in der Hauptrolle.