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Die Goldenen Zitronen

»Who's Bad«

Buback

Meine Freunde verspüren eine gewisse Zitronenmüdigkeit: Wiederholung (des fantastischen vorvorletzten Albums), Stillstand (mehr und verhalltere Elektronik werden angemahnt), Theateraktivitäten (eine Wiedereingliederungshintertür?), Dienstalter und Habitus (linke Popmännchen; beste, weil wahrste Jahre knapp vorbei) usw. Ich weiß nicht so Recht, verstehe aber: Derlei Kritik erzählt vor allem von einer Bedeutung, aus der sich wiederum das Recht zur Enttäuschung ableitet. Und umgekehrt: die Pflicht, zu enttäuschen. Seit »Das bißchen Totschlag« sind die Zitronen die offizielle deutsche Politrockband, die (anders als das »Nazis raus!«-Tourette-Syndrom der Punks oder Attac-fähige Kapitalismusweinerlichkeit) linkes Bewusstsein repräsentieren muss. Das macht sie zur Abwurfstelle für Ansprüche. Wo z. B. Jochen Distelmeyer Kritik nur noch als narzisstische Kränkung erleben kann, dürfen sich die Zitronen also durchaus geehrt fühlen, weil sie kritisiert werden. Alles andere wäre gutbürgerliche Künstlerseele (eben Distelmeyer). Wie einmal die Scherben gehören die Zitronen schließlich all denen, die es angeht. Die Scherben waren ein schlagkräftiges Politrockmodell für die noch weitgehend intakte Disziplinargesellschaft. Die Zitronen müssen auf komplizierte Verhältnisse reagieren. Der Feind der Scherben war kompakt und selbsterklärend: »Die«, gegen die ein »Wir«-Gefühl gebraucht wurde. Der Feind, dem sich die Zitronen stellen müssen, lässt klare Unterscheidungen nicht mehr zu, es sind »die, die wir selbst geworden sind«, also die eigene kontrollgesellschaftliche Subjektivität. Von ihr handeln – wie alle Platten seit »Economy Class« – die besten Momente auf »Who’s bad«. Was Anlass für Wiederholungsekel geben mag. Wo es um konkrete Kämpfe geht (etwa den um die Hamburger Essohäuser), macht sich dagegen eine leicht blecherne Empowerment-Ästhetik (inklusive unnötiger »Babylon«-Metaphorik) breit. Was zu Neo-Scherben-Ekel führen kann. Zwischen diesen Polen ist »Who’s bad« aber doch eine (ganz) gute Platte geworden, deren vor Jahren eingeführte Zutaten (»Der Räuber und der Prinz«-Strut, Gang of Four-Gitarre, Krautrockismen etc.) kompakter ineinander geblendet werden als noch zuletzt. Im Idealfall sind sie damit der Soundtrack für den Kampf gegen uns selbst, der stets in Gefahr schwebt, in jene ästhetische Routinen umzukippen, die die zahllosen Zitronen-Epigonen immer weiter aufwärmen. Hier sprüht er immer noch und immer wieder markante Funken. Auf welchem Niveau was davon nun genau stagniert, soll beurteilen, wer sich dazu berufen fühlt.

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