Wiley - Big Dada Promo
Wiley - Big Dada Promo

Offshore Freq #2

Rund zehn Jahre nach seinem LP-Debüt »Threadin’ On Thin Ice« (XL) veröffentlicht Wiley mit »Snakes & Ladders« sein mittlerweile neuntes Album. Seine Diskographie wäre wohl doppelt so lang, hätte er nicht 2010 auf einen Schlag elf ZIP-Files mit über zweihundert unveröffentlichten Tracks hergeschenkt. Allerdings hat diese Aktion (eine Reaktion auf seine Frustration mit Majorlabels) auch Wileys Ruf als Godfather of Grime mitbegründet - die Fans waren jedenfalls hin und weg. »I’m doing what I want, so fuck it!«, meint er dazu in »Snakes & Ladders (Part Two)« - eigentlich drei Trackskizzen in bester Mixtape-Manier, Outro und zugleich einer der Höhepunkte des Albums.

Das Cover ziert eine Schultafel vor eisblauem Hintergrund, Professor Crowe doziert im Igloo (dem Namen seines Studios, eine Referenz an den Eski-Sound) und versammelt dabei neben den jahre- langen Wegbegleitern JME und Footsie auch Newcomer wie Chip, Wrigz und Stormzy. Der Sound ist nahe am Grime der frühen 2000er-Jahre, wobei Wiley meist ohne seine vormals typischen Signature-Sounds auskommt, die mittlerweile in jedem zweiten Neogrime-Track zitiert werden; und entsprechend abgelutscht sind. Education als street knowledge – weder als Beipackzettel zum ultimativen Grime-Samplepack, noch als Alumniverein zwischen Kunstuni und Red Bull. (Eine selten kritische Reflexion über den glattgebürsteten Sound, wie ihn die Blase der RBMA produziert, findet sich übrigens in der Februar-Ausgabe von »The Wire«: Lesetipp!). In diese Kerbe schlägt auch die schlampig gelöschte Schultafel am Cover, ein Plädoyer für den dreckigen Freestyle – im Gegensatz zu den wohl durchdachten und akribisch auswendig gelernten Versen, die inhaltlich nur dort anecken, wo sie der Karriere dienen.

 

Auch JME gibt mit »Shift« wieder einmal ein Lebenszeichen von sich, die Beats kommen von Commodo. Wenig überraschend lässt er dabei den Bierernst der Kollegen außen vor und albert sich mit Wortwitz durch den Track (leider nur einer).

Im Gegensatz dazu hinterlässt Novelist auf »1 Sec / Shook« einen zwiespältigen Eindruck: für meinen Geschmack ist das alles eine Spur zu brav runtergebetet. Die von Mumdance um die Vocals herum arrangieren Beats verstärken diesen Eindruck noch: irgendwie ja mitreißend in ihrem (naja) radikalen Minimalismus, driftet der Londoner bisweilen in Richtung Clicks & Cuts ab – abstrakt und technisch, ein Braindance zu Foley-Sounds.

Wenn schon abstrakt, dann gleich Susanna Gartmayer, die mit »AOUIE – Bass Clarinet Solos« drei Entwürfe in den Raum stellt, die in ihrer Vehemenz Wileys stilprägenden Devil-Mixes (Instrumental-Versionen ohne Beats, im Grunde also meist nur die Bassline mit ein paar Sound- fragmenten als Basis für MCs) um nichts nachstehen und im Vorbeigehen die halbe Sino-Grime-Abteilung in die Tasche stecken. (Siehe zu »AOUIE« auch Curt Cuisines Rezension.)

Auf der anderen, der Techno zugewandten Seite von UK sorgen derweilen Hodge auf der »Hodge«– 12″ und Demdike Stare mit »Rathe/Patchwork« für Spannung. Während Hodge den ursprünglich von Peverelist und Pinch geprägten, mittlerweile von Young Echo und Livity Sound weitergetragenen Bristol-Sound konsequent ausformuliert, kreuzen Demdike Stare britischen Industrial mit Breakbeat-Garage ( jene Sorte, wie man sie etwa vor gut fünfzehn Jahren auf DJ Zinc’s Bingo Records finden konnte) zu einem außergewöhnlichen Ergebnis.

 

Soundlinks auf Offshore Freq


 

Wiley: »Snakes & Ladders« Big Dada, LP

JME: »Shift« Deep Medi, 12″

Novelist/Mumdance: »1 Sec / Shook« XL, 12″

Susanna Gartmayer: »AEIOU – Bass Clarinet Solos« Godrecords, 10″

Hodge: »s/t« Hemlock, 2×12″

Demdike Stare: »Rathe/Patchwork« Testpressing, 12″

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