King Ayisoba © Nick Helderman
King Ayisoba © Nick Helderman

Afrikanisches Erbe

Tribalistische Percussion in hyperdimensionalen Klangschattierungen. King Ayisoba, Faizal Mostrixx sowie Tony Allen & Adrian Younge sorgen für die bislang spannendsten 2023er-Veröffentlichungen aus der Schatztruhe des afrikanischen Kontinents.

Beginnen wir mit der für europäischen Ohren vielleicht anstrengendsten Musik. »Work Hard« (Glitterbeat Records) von King Ayisoba wurde im Hilltop Studio in Bongo, einer ghanaischen Stadt an der Grenze zu Burkina Faso aufgenommen. Dort wirkt Francis Ayamga, ein gefragter Produzent u. a. für Bonjo von African Headcharge. Ayamga spielt auch in der Liveband des singenden Kings die Djembe und Bembe Drums. Cubase und Fruity Loops sind jene Programme, mit denen Ayamga heißen afrikanischen Pop formt, der im Fall von King Ayisoba einen Geschwindigkeits- und Verrücktheitsdreh mit auf den Weg auf die Dancefloors bekommt. Zusätzlich hat Arnold de Boer von der Band Zea, der mit dem gleichfalls niederländischen Improv-Jazz-Musiker Oscar Jan Hoogland einige weitere ghanaische Bands auf einer »West African Mystery Tour« begleitete, zwei Tracks abgemischt.

Verantwortungsbewusster King

King Ayisoba hat mit »Bossi Labome« gleich einen Hit voran. Der Bass rumpelt und Kologo Scratches sorgen für einen wuchtigen Vibe. Im Video verleiht die Sugri Hajija Zenabu Group im Call and Response mit Ayisoba dem Song feministische Kraft, denn es geht in dem Song um die viel zu große Anzahl von Männern, die Frauen verlassen, wenn sie schwanger sind, und dann auch noch verheiratete Frauen anmachen. Der vielleicht hitträchtigste Song ist »Kokoko Enter«, der effektive Grenzkontrollen preist. Angesichts marodierender islamistischer Milizen im angrenzenden Sahelgebiet wundert es nicht, dass die Melodie dank Steel-Drum-Sample und Brassgebläse vom Synthesizer gar so freudig-melodiös daherkommt. Polyrhythmen flattern und rattern und die Rapper Ras Kukuu und Twinkle supporten mit ihren Rhymes in den Sprachen Frafra oder Twi, die einmal mehr das verheerend korrupte Verhalten afrikanischer Eliten dissen.

»Tribe«, das das Insistieren auf lokalen Sprachen lobpreist, hat einen psychedelischen Schub und gemahnt mit Vocoder-Backing-Vocals gar an Funkadelic. King Ayisobas Gesangsstil kommt insgesamt eher als wildes Pidgin English rüber, auch in »Namba Sonne« wo er einen Maßnahmenkatalog predigt, wie ein König korrekt zu seinen Untertanen zu sein hat. Und mit Megafon verkündet, ist »Adinooma« eine Ode an gesunde Ernährung und Fitness. King Ayisoba kümmert sich eben um seine Fans, ungestüm und kompromisslos, geht ein hohes Tempo. Nach diesem etwas aufreibenden Tour-de-Force-Ritt tönt der Schluss-Song »Buri Malime« sehr versöhnlich. Horn, Flöte, eine traditionelle Laute, eine mit einem Bogen gespielte Goje und Kalebassen erklingen. »Buri Malime« wird nach wie vor bei der Inthronisation von lokalen Königen gespielt.

Afrofuturistischer Dancefloor aus Uganda

Einen sehr afrofuturistischen Anstrich hat das erste Full-Length-Album »Mutations« (Glitterbeat Records) von Faizal Mostrixx, der mit dem Nyege-Nyege-Kollektiv in Kampala zusammenarbeitet. Gleich anfangs nimmt mit »Onions and Love« ein Afrohouse-Tune mit geringfügigen Dubstep-Anleihen gefangen, vor allem dank der Vocals von Kebenesh, die in einem Restaurant in Addis Abeba arbeitet und über einen verloren gegangenen Liebhaber singt. Tribalistischer und mit nicht Genre-konformem funky Bass, Marimba und grandiosen Shouts von Morena Leraba aus Lesotho tönt sogleich »Loosely«. Generell verschmilzt Mostrixx Tribal Pattern mit Elektronikmusik. Kraftvolle Synths, Call-and-Response-Gesänge samt Field Recordings (die Samples stammen auf diesem dritten Albumtrack aus ILAM, der International Library of African Music) harmonieren auf »Back To Tanzania« prächtig. 

Faizal Mostrix & Morena Leraba © Mekbib Tadesse

Als meisterliche Downtempo-Strecke folgt »Passing Through«, während »SandMan« eine experimentelle Übung im Spiel mit Drumpatterns ist. Hernach zeigt der Titeltrack »Mutations« symptomatisch in voller Bandbreite, wie jungleseke Dubstep-Erdung und panafrikanische Percussionsounds zusammengespannt werden. »Tunes of The Jungle« verfügt dann über ein fantastisches Footwork-Framing. Zu einer wild style programmierten Drumbox kollidieren in aller Knappheit wiederholte Chants des Sängers Giovanni Kiyingi mit repetitiven Flöten-Samples. Ein Longplayer voller Highlights, der noch mit dem Saiteninstrument-Riddim »Muzukulu« und »Afro Aliens« aufwartet. Sehr schön, wie hier jeweils Flöten-Samples, Stammesgesänge und polyrhythmische Percussionsounds afrofuturistisch mit elektronischer Musik zusammenfloaten. 

Faizal Mostrixxs Vater war Lastwagenfahrer und hat Musikkassetten mit traditioneller und Popmusik vorwiegend aus dem Kongo und Kenya mitgebracht, während seine Mutter sein Tanztalent erkannte und es bei lokalen Frauengruppen, die zu Percussion und Gesängen tanzten, fördern ließ. Mostrixx hat sich als Tänzer dieses herausragende ugandische Erbe grundlegend angeeignet, auch wie sich die Tänzer*innen in ekstatischer Trance bewegen. Diese Kenntnis vermengt er als Produzent mit panafrikanischen Rhythmuspatterns, Instrumental-Samples und elektronischen Dancefloor-Spielarten zu visionärer ostafrikanischer Musik. Faizal Mostrixx hievt dieses Erbe genial in die Zukunft: »Afrofuturism is a way to describe the meeting of the electronic and the tribal. It’s about bringing the past into the now and then imagining how it could be expressed in the future.«

Tony Allen & © The Artform Studio

Tony Allen posthum

Ein etwas andres Erbe hinterlässt der im April 2020 79-jährig verstorbene Tony Allen, der mit einer posthumen Veröffentlichung von Adrian Younges Label Jazz Is Dead gewürdigt wird. Allen begründete mit Fela Kutis Africa 70 das Genre Afrobeat, wo nigerianischer Highlife grandios mit Jazz- und Funk-Elementen vermengt wird. Auf »JID018«, 2018 eingespielt in den Linear Labs Studio von Adrian Younge in Los Angeles, kommt noch eine kräftige HipHop-Schlagseite dazu. Younge fügt psychedelische Keyboard-Sounds und Percussion ein und spielt auch selber Gitarre und Bass. Im Verein mit Flötenmelodien und Bläsersätzen erstrahlt das polyrhythmische Drumming Tony Allens in wahrer Eleganz. Sein geschmeidiges Schlagzeugspiel steht im Zentrum und jeder Track groovt enorm und strotzt vor Vitalität. Möge das Werk Allens ewig fortwirken. Folgerichtig wurde der ergreifende Schlusstrack »No End« getauft.

Releases:

King Ayisoba: »Work Hard« (Glitterbeat Records) 

Faizal Mostrixx: »Mutations« (Glitterbeat Records)

Tony Allen & Adrian Younge: »JID018« (Jazz Is Dead)

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