Metal ist, wie jedes Massenphänomen, kontrovers. So steht das Genre im Verruf, eine Jauchegrube hetero-sexistischer Ideologie zu sein. Die rezenten Anschuldigungen gegenüber einem deutschen Pyrotechnik-Unternehmen betreffen nur seine toxische Oberfläche. Unbestreitbar ist, dass die gesamte Szene von cis Männern dominiert ist. Zur Veranschaulichung: Das Internet-Archiv Encyclopedia Metallum zählt weltweit 779.329 männliche Metal-Musiker*. Demgegenüber stehen bloß 61.141 Frauen* und 214 nicht-binäre Musiker*innen. Gleichzeitig ist Metal widerständige Musik, die auch FLINTA* einen Raum zur Artikulation gibt. Denn die Geschichte des Metal ist eine queere Geschichte. Nehmen wir das traditionelle Outfit des Homo metallicus: Lederstiefel, Gurtwerk, Nieten. Popularisiert wurde es durch Rob Halford, den Frontmann der Genre-Stammväter Judas Priest. Was inspirierte den »Metal God«, sich einen Harness umzulegen? Halford verbrachte in den 1970ern viel Zeit in der »Lederszene«, einer schwulen Subkultur. Auch Roddy Bottum von Faith No More trollt seit 1993 Homophobe mit offenen Schilderungen seiner sexuellen Vorlieben. Nicht zuletzt sorgen Musiker*innen wie Sängerin Marcie Free (King Kobra) seit über 30 Jahren dafür, dass Trans-Identitäten in der Szene präsent sind. Denn Metal ist umkämpft. Als Teenager bin ich über das Genre zuerst in Kontakt mit queeren Perspektiven gekommen. Ich habe nicht vor, es Chauvinist*innen zu überlassen. Deshalb hier fünf Alben von trans Musiker*innen, allesamt 2023 dem Underground entsprungen. Oft behandeln sie Themen, die im Metal zu kurz kommen, etwa Tokenismus, Zurückhaltung und Zärtlichkeit. Doch vor allem habe ich mich auf Werke beschränkt, die es musikalisch in sich haben. Sie verdienen es, gehört zu werden.
Transgressive: »Extreme Transgression« (self-released)
Transgressive feiern Wut. Denn Wut ist Beteuerung von (Selbst-)Wert. Wut ist Forderung nach Gerechtigkeit. Wer wütend ist, sagt: »Ich habe Ansprüche. Diese wurden verletzt. Das ist nicht okay.« Polizeigewalt, Mietpreiserhöhungen, »rainbow capitalism« sind nur ein paar der Themen, die Songwriterin Alicia Cordisco die Zornesröte ins Gesicht treiben. Weltweit sind trans Personen wie sie mit einem massiven Backlash konfrontiert, in Österreich durch die FPÖ und ihre neo-faschistischen Bettgenossen. Transgressive rufen mit Thrash-Metal à la Kreator zu den Waffen. Nicht Assimilation, sondern queere Selbstbehauptung ist ihr Credo. Notfalls militante Selbstverteidigung: »Always remember / The first Pride was a riot.«
Victory Over the Sun: »Dance You Monster To My Soft Song« (self-released)
Unterdrückung besteht auch darin, Unterdrückten zu vermitteln, sie seien defizient, weniger schön, irgendwie falsch. Sich feiern kann deshalb ein subversiver Akt sein. Doch solange Freude sich gegen etwas richten muss, scheint sie von Ambivalenzen durchzogen. Mit diesem Zwiespalt spielt Victory Over the Sun – benannt nach Kasimir Malewitschs futuristischer Oper – auf ihrem neuesten Album virtuos. Klanglicher Kern von »Dance You Monster To My Soft Song« ist Dissonant-Black-Metal im Stil von Jute Gyte. Doch sonnige Klänge brechen aus dem tiefschwarzen Untergrund hervor. Das Ergebnis ist ein hedonistischer Höllentrip, der am besten ohne Spoiler absolviert wird. Startet mit dem Banger »Madeline Becoming Judy« – ein Jahreshighlight.
Cicada the Burrower: »Blight Witch Regalia« (Blue Bedroom Records)
Cameron Davis (aka Cicada the Burrower) teilt Victory Over the Suns Talent, harsche Gitarren mit prismatischen Synths zu kombinieren. Doch wo letztere diese kontrastierend einsetzen, supplementieren synthetische Klänge das raue Klima von »Blight Witch Regalia«. Vor ihrem Hexenfeuer kopulieren Death-Metal und Sludge mit Trip-Hop, Drum’n’Bass und Dungeon-Synth. Ein nebulöser Master stellt sicher, dass keiner der divergierenden Einflüsse dominant wird – sie alle tragen zur obskuren Atmosphäre bei. »Blight Witch Regalia« klingt, als würde Fire-Toolz ihre Vaporwave-Ästhetik auf Low-Fi-Black-Metal à la Old Nick übertragen. Cicada the Borrower testen die Grenzen des Metal aus.
Bury Them And Keep Them Quiet, Feminizer: S/T Split (self-released)
Die Beziehung von Second-Wave-Black-Metal und LGBTQ-Anliegen ist historisch … kompliziert. Jene Art von kompliziert, die jedes Awareness-Team ins Schwitzen bringt. Die Ermordungen zweier Schwuler, Magne Andreassen durch Faust (Emperor) und Josef ben Meddour durch Jön Nödtveidt (Dissection), gehören zu den düsteren Erzählungen der Szene. Ihr wohl prominentester LGBTQ-Wortführer Gaahl (Gorgoroth) war zweimal wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis. Bei so viel fragiler Männlichkeit hat es etwas Subversives, wenn sich FLINTA* den Stil in seiner orthodoxen Ausprägung zu eigen machen. So auch die Solokünstlerinnen Bury Them And Keep Them Quiet und Feminizer. Auf ihrem kultigen Split erweist erstere Mayhem und Darkthrone die Ehre. Zweitere spielt Depressive Suicidal Black Metal (nachdem sie auf ihrem Debüt »Girls Just Wanna Have Fun« gecovert hat). Ihr Songwriting ist konziser als auf manchem Genre-»Klassiker«.
Hellish Form – »Deathless« (self-released)
Laut LGBTIQ+ Gesundheitsbericht des österreichischen Sozialministeriums leiden 67 % aller trans Personen an Depressionen. Ein Viertel hat laut Eigenangaben bereits einen Suizidversuch hinter sich. Es mag daher nicht verwundern, wenn Tod ein relevantes Thema für trans Künstler*innen ist. Hellish Form bilden dieses menschengemachte Purgatorium schonungslos ab. Defätistisch klagt Frontfrau Willow Ryan: » First lesson / Your body isn’t yours / We’ll lay the self-hatred / Like paths and roads.« Ihr kathartischer Funeral Doom zerreißt Herzen. Geduldig wagt sie sich in Abgründe der Verzweiflung. In ihren erdrückenden Tiefen findet sich etwas Universales, der Anspruch auf ein besseres Leben. Großartiges Pacing macht »Deathless« zum vermutlich besten Doom-Album, das 2023 das Licht der Welt erblickt haben wird.
Hilfe in Krisensituationen: Schwere Themen können einiges auslösen. Unter suizid-praevention.gv.at findet ihr Notrufnummern und Erste Hilfe bei Suizidgedanken. Für trans Personen zugeschnittene Beratungen bieten zudem die Vereine TransX, Courage und Transgender Team Austria an.