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Berkersers Inventur – September & Oktober 2022

Hier sind sie, die interessantesten Neuveröffentlichungen des Monats aus dem österreichischen Underground – u. a. mit Kinetical & P.tah, soulparlez, Rudi Ae.

Welche neuen Releases aus Österreich nach Lesekreis, Super Mario oder einem Crashkurs in BDSM klingen, erfahrt ihr wie immer ungerichtet zusammengefasst in Berserkers Inventur.

Schapka – »Schall-Bumm« (Numavi)

Seit zehn Jahren wandeln Schapka mit Wokeness-Vibes zwischen der Würschtelpartie, die sich österreichische Musikszene nennt. Die Songs klingen nach Lesekreis, die Themenwahl nach den Buzzwords der Stunde. Weil sich für die elf Songs nachträglich keine ECTS-Punkte anrechnen lassen, stangelt man das Blockseminar trotzdem.

soulparlez – »Falling Apart« (s/r)

Wer sich auf Festivals für Vokalmusik und Logopädie rumtreibt, könnte soulparlez kennen. Der jämmerliche Rest lernt die vier Stimmbänder jetzt kennen. Mit »Falling Apart« haben soulparlez nämlich ein Mini-Album veröffentlicht, auf dem sie nur singen. Wieso das so super ist, kann ich nicht sagen. Dass es so ist, aber schon!

Konkret Aura – »Konkret Aura« (s/r)

Jaki Liebezeit, der Drummer von Can, soll zwischen zwei Joints mal gesagt haben, dass er wie eine Maschine spielen wolle – nur besser. David Bauer, den man aus dem Modecenter kennen darf, hat das ernst genommen. Als Konkret Aura spielt er die Drums und den Bass, als befände er sich im dialektischen Stillstand. Es tut sich nix, doch alles!

RSMA – »Mental Techno« (s/r)

Wellness-Vibes darf man sich von RSMA nicht erwarten. Das Cover sieht zwar aus, als hätte jemand beim New-Age-Malkurs die Räucherstäbchen geraucht, trotzdem: Das Teil heißt nicht grundlos »Mental Techno«. In sechseinhalb Stretchingstampfern beklemmt man sich zum Vierviertelfortschritt, trollt die Wadlbeißer von der Akademie für Realkeeper aber dermaßen, dass am Ende mehr als eine Ecstasyträne geflossen ist.

MSTEP – »A Fish Eye View of Problems« (sounding functions)

James Stinson, eine Hälfte der Atlantis-Abtaucher Drexciya, veröffentlichte vor über 20 Jahren »Lifestyles of a Laptop Café« – eine Platte, mit der Electro kurzgeschlossen war. Dass sich 2022 wieder in den Verteilerkasten greifen lässt, hat auch mit MSTEP zu tun. Martin Stepanek leitet schließlich ein Album in den Stromkreis, das keinen Preisdeckel kennt. Einzige Frage: Kann man damit die Altbauwohnung heizen?

Lawrenco – »Mondlicht« (s/r)

Lawrenco sieht aus, als hätte er im Darkroom einen BDSM-Crashkurs von Yung Hurn besucht. Dass sein Album genauso klingt: keine Überraschung! Dafür zieht der Typ die beste Line des Monats: »Du hauchst mich an, Bewegungsdrang.« Le-gen-där!

divmod – »mushroom wasteland« (Arcade Glitch)

divmod macht Musik mit einem Gameboy. Das klingt genauso verrückt wie der Sound, den der Producer aus der winzigen Platine presst. Deshalb verschwenden wir keine weiteren Worte und stellen uns einfach vor, wie Mario, Peach und Bowser eine Weltuntergangsparty feiern.

Kinetical & P.tah – »Actuate« (s/r)

Von Bristol bis zur Baumgartner Höhe sind es neun Millimeter – Mündungsfeuer inklusive. Was P.tah und Kinetical, Klick und Klack der österreichischen Rap-Szene, auf ihrem neuen Mini-Album rausballern, wird zum Ratatata für 16er und andere Bleche.

Mala Herba – »Niedola /Woe« (s/r)

Mala Herba, Sounds-Queer?-Artist und Geisterbeschwörung in Person, löst sich auf. Zumindest in der Musik. Die Vocals spuken noch nach, während die Beats längst wie einbeinige Banditen durch die Finsternis humpeln. Dass mit OCD und Michał Nowak zwei Düsterdraufgänger*innen das Berghain im Miniaturformat als Remix dazupacken – geschenkt!

Voocoo – »Lost Dubs II« (s/r)

Was auch immer Voocoo auf den Prüfstand für Subwoofer und Soundsystems hievt, das Pickerl für Bauchstich-Bässe geht sich locker aus. Wer sich an Labels wie Dubsquare aus Graz erinnert, ist entweder scheißalt – oder stapft in der Mucke von Voocoo über neuzeitliche Bodenbeläge.

DJ Gusch – »Oldschool Flavoring« (s/r)

Dass Techno wieder dort rumbimmelt, wo er sich vor 25 Jahren verpulvert hat, ist kein Geheimnis. Ballern macht Spaß, der Sound ist eine Gaudi. Deshalb läuft heute jeder picklige Zwölfjährige mit einer Raversonnenbrille rum. DJ Gusch, die Hitpeople-Hälfte mit Dreinulldrei-Vorwahl, durchlauferhitzt seinen Maschinenpark: Im progressiven Stechschritt stapfen wir back to the future!

Natascha Gangl & Rdeča Raketa – »Die Revanche der Schlangenfrau – A Soundcomic for Unica Zürn« (MAMKA)

111 Euro für 12 Inch – wer den Klimabonus noch nicht versoffen hat, kann beim sogenannten Soundcomic zuschlagen. Die rote Rakete – besser bekannt unter den Straßennamen Maja Osojnik und Matija Schellander – sowie Hörspielspezi und Ex-Schlingensief-Assi Natascha Gangl haben einen produziert. Was der Unterschied zum Hörspiel ist, verraten sie zwar nicht. Vielleicht hätte man dafür aber einfach den beigelegten Roma… äh, Presstext lesen müssen.

Rudi Ae & Devaloop – »Haptik« (s/r)

»Ich steh mit 29 im Tanzkurs neben 17-Jährigen, die’s besser können, und hab’ Spaß dabei – du bist ein Papagei, du bist ein Papagei.« Wer den Satz fehlerfrei flowt wie Rudi Ae zum Beat von Devaloop, darf sich bei der kommenden Castingshow aka Salon skug melden.

Enpal – »Hab schon« (Ashida Park)

Scheiß auf die Nullernostalgie! Ashida Park, das Label für ADHS-Kanonen und Tagada-Tröten, düst im Sauseschritt in eine Zeit, als Dauerwellen und Deutsche Welle den Weg zur deutschen Wiedervereinigung bereiteten. Enpal klatscht dafür fünf Tracks in den Kaugummiautomaten: Für Kids auf allem!

YNV – »Cosmic Cult EP« (Neubau)

Neubau, die unauffälligste Betonmischanlage Wiens, schreitet wieder zur Qualitätskontrolle. Heap, der Chef hinter dem Gerüstbau, hat diesmal den belgischen Producer YNV für eine Platte angehaut. »Cosmic Cult« heißt genauso, wie das Teil klingt. Der Vibe zielt zwischen Brunnenmarkt und Nagelbrett, die Beats eiern wie Oma Baier nach zwölf Likörchen. Sweet!

Die Neue Normalitaet– »Glaube Lidl Hofer« (free christian ringtones)

Alle kaufen alles ein zum »Glaube Lidl Hofer«-Preis! Die Neue Normalitaet rauschen zwischen Palettenpunk und Systemverarsche ins Discounterregal. Weil man den Refrain auch nach 34 weißen Blonden noch akzentfrei mitgrölen kann, darf das alles bleiben, wie es ist.

Nabelóse – »Omokentro« (s/r)

18 Sekunden betrage die Nachhallzeit im Wasserspeicher vom Prenzlauer Berg. Man kann sich vorstellen, wie geil es klingt, wenn man dort drin ins Waldhorn prustet. Ingrid Schmoliner, die Parade-Präparatistin am Piano, hat 2020 mit der griechischen Hornistin Elena Kakaliagou ein Konzert gespielt – vor Ort im Speicher, um diesen Raum in einen Deep-Listening-Dungeon zu verwandeln.

Ara – »Gurre« (Into Endless Chaos Records)

Ein Typ, betäubender Schall! Ara ist das Soloprojekt von Michael Schneeberger. Wie er gleichzeitig hinter den Drums für Mayhem sorgt, die Gitarre verheizt und ins Mikro gurgelt, als wär’ ihm beim Scheißen der Allmächtige erschienen, weiß nur Ara selbst. Wie auch immer: Hinter »Gurre«, das beim Leipziger Label Into Endless Chaos Records erscheint, steckt mindestens eine Analfissur.

Dice Throw – »Trilogy of Error« (s/r

Hardcore, Punk und Würfelpoker – Dice Throw hoffen auf den Sechserpasch. Dazwischen spielt man kurz ein Konzert (geht zackig!), um danach wieder zum Pecken zu kommen, denn: Dank diesen vier Typen (Beweisfoto kommt!) aus Wien überlebt jeden Tag ein Tätowierer.

Entrückt – »Mooncake EP« (s/r)

Für die »Sag niemals Lofi-Beat«-Lofi-Beat-Szene wär’ »Mooncake« nix. Die vier Tracks würden auf Joint-and-Chill-Playlisten allerhöchstens für Paranoia-Panik sorgen. Deshalb sind sie hier gut aufgehoben.

Jeopardize – »Various Artists 1« (s/r

Wie klingt der Underground? So klingt der Underground!

Candleface – » Wishing You Were Near« (s/r)

Dass Candleface aus dem UK kommt, kann er keinen Takt verstecken. Die Beats klingen wie Burial in Bristol, die Melodien schreien nach Melancholie über Manchester. Niemand, wirklich niemand, baut solche Tracks in Österreich.

Johnny And The Rotten – »Here Is Johnny II« (s/r)

Sie sind jung, sie sind laut, weil man ihnen den Gitarrenvorverstärker klaut!

FX666 – »Imaginary Times« (s/r)

David Lynch pisste sich vor Freude in die Hose, hörte er den Black-Lodge’schen Düsterkram, den der einzige Experimentelle in Vorarlberg hier rausleiert.

Alfredo Ovalles – »Sun Spot«

Alfredo Ovalles kommt aus Venezuela, sitzt aber schon länger in Wien hinterm Bösendorfer. Als Pianist klimpert er aber nicht über Beethoven-Sonaten, sondern frickelt sich auf schwarzen Tasten in die Neue Musik – zum Beispiel mit einer Komposition von der Wiener Komponistin Margareta Ferek-Petric.

Naphta — »Żałość« (Tańce)

Paweł Klimczak lässt die Kickdrum klöppeln, Mala Herba hexhext sich in die Techno-Polka des polnischen Producers. Das klingt manchmal nach »König der Löwen«-Premiere im Ronacher. Im besten Fall aber genau nach der Scheiterhaufen-Stimmung, die man von der Sounds-Queer?-Gründerin erwartet.

Roger 23 – »Bounds Of A Moral Principle And Established Standard Behavior« (Night Defined Recordings)

Roger 23 hat den deutschen Techno-TÜV auf Ilian Tapes und Playhouse bestanden. Deshalb darf er beim Salzburger Eichamt für elektronische Musik auf den Prüfstand – Night Defined Recordings attestiert keine Rostschäden, verteilt das Dub-Pickerl und wünscht viel Spaß auf der Langstrecke.

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