Die Coca-Cola-Klimakonferenz in Ägypten läuft an. Und es sieht schlecht aus. Nicht nur, weil Coke als Hauptsponsor auf allen Plastikplakaten klebt – was by the way so ist, als würde das Berghain die jährliche Konferenz gegen Drogenmissbrauch hosten –, es rennt auch sonst nicht rund beim Retten der Welt. Während das »1,5-Grad-Ziel« gerade in beheizten Schanigärten verglüht, ein paar Klimakleber picken bleiben und Opa Biden in den ägyptischen Badeort jettet, um Halbsätze ins Mikro zu stammeln (»Mehr Engagement, weniger Klimahölle!«), köpfen wir die nächste Flasche Prosetscho: Endlich wieder Freitagshinrich… äh, Fußball!
Tja … Fahnenschwenkende Euphorie unterm Herzerlbaum sieht anders aus. Selbst bei Menschen, die Samstage sonst in der Südkurve verbringen, kommt nicht so richtig Törö-Tata-Stimmung auf, wenn Media Markt mit »WM-Fieber-Aktionen« wirbt. Mag daran liegen, dass der Schas bei den Scheichs im fußballtechnischen Nirgendwo stattfindet, die Stadien Massengräber sind, der Rasenzirkus ein Paradebeispiel für Korruption darstellt und WM-Botschafter Homosexualität als »geistigen Schaden« bezeichnen – oder an der Tatsache, dass niemand (literally no-one!) bei sechs Grad im Schatten ein neues Sommermärchen schreibt.
Statt WM heißt es deshalb besser: Wham! Das Duo um George Michael und den anderen schlittert seit 1984 verlässlich in die Rotation, wenn Lebkuchen vor dem Wahnsinn warnt. Damit alle in den Genuss kommen, existieren mindestens 426 Cover-Versionen des Songs, darunter auch diese Eurodance-Bescherung von 1995. Ganz neu in diesem Jahr: Weihnachts-Vibes auf Future Islands. Außerdem sammeln die Backstreet Boys für wohltätige Zwecke (ihre eigenen) und veröffentlichen die erste Weihnachtsplatte. Wenn’s nicht so traurig wäre (RIP Mimi Parker!), müsste man die »Christmas«-Platte von Low heuer schon im November abstauben.
Entstauben muss man die interessantesten Neuveröffentlichungen aus Österreich zum Glück nicht. Manche rollen gerade aus den Druckerpressen, andere streamen sich via Bandcamp in unsere Lauscher. Wie immer ungerichtet zusammengefasst in Berserkers Inventur.
Lukas Lauermann – »Interploitation« (col legno)
Lukas Lauermann zupft zwar seltener auf seiner Bassgeige, dreht dafür aber öfter an einem Vergnügungspark an Effektgeräten rum. Bevor Konzerthaus-Regulars empört ihre Dauerkarten retournieren, sei gesagt: Der Mann schleppt weiterhin schwer. Das Cello bleibt selbst auf Düster-Drones für Deep-Listening-Dreamers Bestandteil seines Sounds, auch wenn sich weniger Streicheinheiten ausgehen.
Magic Delphin – »Kopf hoch Tinderboy« (Label Records)
Männlichkeitskrisen können jeden erwischen: Der Typ von Bilderbuch hat sich die Haare abrasiert, bei Humana geshoppt und seinen Sprachschatz in der Brieflosshow verkleinert. Traurig, aber klar!
Kimyan Law – »Emblem Of Peace« (+ + +)
Zwischen TikTok-Speed und dem Versuch, sich drei Sekunden auf den letzten Gedanken zu konzentrieren, lobt man sich die tägliche Dosis Drum’n’Bass. Aber Obacht: Kimyan Law definiert Amen Breaks nicht als Musiklieferant für den Wurstelprater. »Emblem Of Peace« geht viel eher der Frage nach, wie sich Chop-Chop-Beats in freier Wildbahn anhören.
Withdraw – »Struwwelpeter« (s/r)
Rammstein haben schon mit dem Feuer gespielt. Withdraw säbelt die ganze Hand ab. Mit »Struwwelpeter« konzeptalbumisiert er die Kindheitserinnerungen aus der Hölle und unterzieht sie einem Gegenwartsupdate. Am Ende bleibt nur ein Häuflein Asche.
Orange Gone – »On Blankets Made of Cloud« (s/r)
Kauf eine Kuscheldecke, mummel dich tief ein, dreh Orange Gone auf – und warte bis es wieder Sommer wird (Serviervorschlag).
Mia Zabelka / Icostech / Henrik Meierkord – »Aftershock Vol. 2« (Subcontinental Records
Dass man bei Zabelka nicht gerade auf Geigen-Grandezza für die Sonntagsmatinee im Musikverein stößt, dürfte sich rumgesprochen haben. Mit den Spezis Icostech und Meierkord eröffnet sie den Darkroom-Dreier, zwischendurch stößt man sogar auf den Dancefloor, um später wieder die Ritalinjunkies vom Reinheitsgebot für Ambient zu überzeugen. Hätte jemand nach einem Update für den Soundtrack zu Tarkowskis »Stalker« gefragt, hier wäre die Antwort.
Lambda – »Funken« (s/r)
Klappe zu, Affe tot: Lambda aus Graz schweißen sich mit dem ersten Album seit Zwotausendschießmichtot in die Punk-Playlist. Die »Funken« sprühen, man merkt es den Musikanten an. Wer sich die Schnittmenge aus Jared Leto, den Sportfreunden Stiller und dem Twitter-Auftritt von Richard David Precht vorstellen kann, rasiert damit den Zeitgeist.
le_mol – J_LLY (s/r)
Leise, laut. Leise, laut. Das Nenn-es-niemals-Post-Rock-Packl le_mol packt den Lolly aus und produziert wieder Lieder für Liebeleien, während die Welt sich heimdreht. Hat man irgendwie schon tausend Mal gehört. Spannend bleibt’s trotzdem!
Oto Nagasaki – »hauptsache hits« (s/r)
»Wieder ein Versuch, Hits zu produzieren«, schreibt Oto Nagasaki und meint: »Diesmal sollte es aber geklappt haben.« Der Linzer, der nicht nur so ausschaut wie Steven Stapleton, sondern auch so klingt wie der Nurse-With-Wound-Verrückte, ist seiner Zeit einfach ein paar Jahrhunderte voraus.
Andy Catana – »My Heartboom EP« (DoEasyRecords)
Freund*innen der angezerrten Basstrommel schmeißen sich die Sonnenbrille ins Gesicht. Zum Acht-Uhr-Aufguss schenkt der Catana Andy vier Häferln mit Chai-Matcha-Supperl aus. Das schmeckt auch Leuten, die auf der Südosttangente aus Versehen bei FM4 reindrehen.
An Old Sad Ghost – »A Letter For Carmilla Part III: Romance« (Gondolin Records)
Hätten edle Ritter statt Schwertern mit Synthesizern um die Gunst der holden Isolde duelliert, die Mittelalter-Mood wäre schon früher in Wartezimmer-Vibes umgeschlagen.
Hell Mutang – »A little nod to the bang« (A Speed Of Light Recording
Bei den Rambazamba-Rockern von M185 zupfte er an der Gitarre. Für Hell Mutang, sein neues Solobaby, packt Heinz Wolf den Synthi aus. Die Songs spechteln auf die Tanzfläche, kippen zwei Lüfte zum Warmwerden und reißen nach neun Songs die Discokugel von der Decke.
Widergang / Lunar Front – »Suicide Pact« (Misericordia Records)
»Sunbather« minus Hipsterhaare plus Karabinerhaken dividiert durch zwei Wurzelbehandlungen ohne Betäubung macht gleich: Tsching, Bumm, Peng!
Lion Season – »Relationships« (Tape Capitol)
Lion Season machen Indie, den man einmal zu oft gehört hat. Tut nicht weh. Soll heißen: Für die FM4-Charts passt des scho!
Cay Taylan & The Bonksis – »s/t« (s/r)
Wie erzieht man eine Horde an Sechsjährigen zu Nachwuchs-Ravern? Indem man in der Regenbogengruppe zur großen Pause bunte Zuckerl verteilt und anschließend die Vierviertelkick galoppieren lässt!
Peace Vaults – »Dreams Inside« (s/r)
Ana Threat und Raphael Fürli, zwei Düster-, Death- und Dance-Spezis aus Wien, prügeln geile Geister gegen ein Schlagzeugbecken, saufen Messwein aus der Dose und gurgeln, bis die Pfaffen sich freiwillig ergeben.
Ever Given – »Power Nap« (Tamtam Recordings)
Läuft zum Einschlafen statt der Drei Fragezeichen. Damit sollte alles gesagt sein!