Les Mamans Du Congo © Les Mamans Du Congo
Les Mamans Du Congo © Les Mamans Du Congo

Afrikanische Soundimpressionen

Ein Rundflug über den südlichen Nachbarkontinent Europas bezeugt breite Vielfalt dank beseelter Musiker*innen wie Les Mamans Du Congo, wenn auch nicht so bekannt wie etwa Stella Chiweshe, Ballaké Sissoko oder Samba Touré.

Nur schwerlich kann der musikalische Reichtum Afrikas in seiner Gesamtheit erfasst werden. Deshalb sei eine individuelle Auswahl getroffen, mit Koryphäen, die bereits seit Jahrzehnten Hörer*innen afrikanischer Musik ein Begriff sind, und Newcomer*innen, unter anderem dank glücklicher Umstände. So ist eine abgeklärte Produktion wie das selbstbetitelte Album von Les Mamans Du Congo & Rrobin (Jarring Effects/Broken Silence) derart noch nie dagewesen. Volksweisen aus dem Kongo werden mit HipHop bzw. House und Artverwandtem in ein Popuniversum gebeamt. Robin Bastide aka Rrobin, der bereits mit Spoek Mathambo kollaborierte, ist in Frankreich kein Unbekannter und liefert elektronisch durchaus komplexe Rhythmen, auf die die Mamans etwa auf »Bordel De Rap« mit herzzerreißenden Call-and-Response-Gesängen reagieren. Überhaupt muss mensch sich die Namen der Choristes um Gladys Samba auf der Zunge zergehen lassen: Odette Valdemar Ghada Koubende, Kimbembe Argéa Déodalsy, Jeanny Chance Mbette-Vouala und Nadège Esprérance Miassouamana. Jede Sängerin spielt auch Percussioninstrumente und »Boum« birgt beinah schon zu smoothe, deep housige Sounds. Doch diese Vocals sind dermaßen ergreifend, dass etwas Kitsch gar nicht weiter stört. Es steckt dermaßen viel Spiritualität in den Gesängen, dass eine Kritik, dass dabei kulturelle Aneignung im Spiel sei, abprallt. Einzigartig ist, dass hier ein neuer Hybrid entstand, und klar ist, dass ohne die Vermittlung des Institut Français und die Coopérative de Mai die Mamans Du Congo in dieser Konstellation nie zustandegekommen wären und Suchende ohne ein umtriebiges Label wie Jarring Effects nicht gar so leicht darauf gestoßen wären.

Mbira-Queen from Simbabwe

Nun mag der Autor dieser Zeilen gar nicht unterscheiden, ob mache Acts gar in Europa leben oder doch in den mehr oder weniger von Krisen betroffenen afrikanischen Staaten. So wohnt Stella Chiweshe seit 1983 in Berlin, wo auch ihr Label Piranha den Stammsitz hat, pendelt aber auch nach Harare, in die Hauptstadt von Simbabwe. Auf dem heuer wiederveröffentlichten internationalen Debütalbum »Ambuya!« (Piranha Records/Indigo/!K7) der Mbira-Königin wurden noch vier Songs aus der John Peel Radio Show, die am 14. März 1988 ausgestrahlt wurde, angehängt. Darunter das tragische »Vana Vako Vopera« (»Your Children Are Perishing«). Bahnbrechend ist, dass die 1946 in der ehemals britischen Kolonie Rhodesien Geborene darauf die auch Daumenklavier genannte Mbira aus der Familie der Lamellophone elektrisch spielt. Und somit, produziert von 3 Mustapha 3, einen elektrisierenden metallischen Sound schuf, der ihren Welterfolg begründen sollte. Die Traditionen ihres Volkes Shona mit dem harten Klang der Metallzinken hat Chiweshe dermaßen verinnerlicht, dass trotz innewohnender Räudigkeit spirituelle Soulfulness regiert. Chiweshe muss eine ungeheure Durchsetzungskraft attestiert werden. Die britischen Kolonialherren bestraften sogar Leute, die eine Mbira öffentlich transportierten und zur kulturellen Unterdrückung durch weiße Missionare kamen noch hegemoniale patriarchale Verbote, die bis in die 1960er-Jahre Frauen den Gebrauch der Mbira nicht erlaubten. »Ambuya!« (»Großmutter«) ist in diesem Sinne ein Vorausvermächtnis. Eine Weitergabe an die nächste Generation soll immer auch einen musikalischen step forward nicht ausschließen.

International Library of African Music

Die Kolonialmacht Portugal hatte die Befreiungskriege der unterdrückten Kolonien so gut wie verloren und 1974 fegte die Nelkenrevolution endlich das faschistische Salazar-Regime hinweg. Das große musikalische Erbe Angolas schwappte mit den Re-Migrant*innen und Emigrant*innen nach Portugal über. So auch der Kuduro, der in den späten 1980er-Jahren in der Metropole Luanda auftauchte. Samples afrikanischer Percssionsounds wurden mit Soca- und Calypso-Rhythmen gemixt, was Batida genannt wurde. Darüber toastete MC Sebem als Erster und quirlte Ragga-, HipHop- und House-Versatzstücke zu Semba, Zouk und angolanischem Kilapanga – ein harter, neuer Tanz- und Musikstil war geboren. Kuduro, in der Kimbundu-Sprache »steifer Hintern«, hatte mit den Tänzen in einer jamaikanischen Dancehall einiges gemein. Die Klänge der Kissange (kleines Daumenklavier, ähnlich der Mbira) sind im Archiv der International Library of African Music in der angolanischen Hauptstadt Luanda zu finden und stammen aus Field Recordings aus den 1950er-Jahren, welche der Musikethnologe Hugh Tracey in Angola sammelte. Zentral bestimmen daraus auch Samples der traditionellen Instrumente Ngoma (afrikanische Trommeln) und Dikanza (mit einem Stock gespielter Schaber aus ausgehöhltem Bambusstück, in das parallele Kerben geschnitzt sind) den Sound von vielen Stücken des Duos Ikoqwe. »Batida Apresenta Ikoqwe The Beginning, the Medium, the End and the Infinite« (Crammed Discs/Indigo/PIAS) ist ein fulminantes Konzeptalbum, wobei zunächst die beiden alten Freunde vorgestellt seien.

»Coqwe« ist Pedro Coquenão, weltberühmt als Batida in seiner Rolle als Produzent, Musiker, Radio Host und DJ. »Coqwe«, geboren in Angola, wurden in den Suburbs von Lissabon sozialisiert, während »Iko« eigentlich Luaty Beirão heißt. Aliasnamen des angolanisch-portugiesischen Rappers und Menschenrechtsaktivisten sind Ikonoklasta, Brigadeiro Mata Frakus oder Nkwa Kobanza. Eindeutig ist der Sohn eines MPLA-Funktionärs, der wegen Protesten gegen diktatorische Avancen des Dos-Santos-Regimes inhaftiert war, der politische Kopf des fiktionalen Projektes. »Coqwe« und »Iko« verkörpern zwei Kreaturen aus einer anderen Zeit und einem weit entfernten Universum, die sich, in Kontakt mit der irdischen Normalität gekommen, physisch und mental ausbrannten und seither zwischen der Möglichkeit, zurückzukehren oder in die Unendlichkeit abzudriften, feststecken. Diese Verzweiflung spiegelt sich in Amok laufenden 303 Basslines und hektisch programmierten Drum-Machines. Diese Räudigkeit geht auf Kuduro zurück, doch mitunter pluckern, wie im Titelstück, fröhlich Synths dahin. Wunderbarerweise wird auch Marshall Mc Luhans »The Medium is the Message« zitiert und Co-Autorin und -Produzentin Celeste Mariposa hat wohl dazu beigetragen, dass dieser Track »The Medium« eine melodische Note aufweist. Auf einem ähnlichen Riddim reiten die Brüder Octa Push und auch Spoek Mathambo rappt ziemlich irre. Den umwerfenden Sound allerdings verdankt das Album den aufmunitionierten Sample-Sounds von Kissange, Dikanza und Ngoma, die in eine bessere Welt hieven.

Entdeckungssafari in Südafrika

BLK JKS, eine Rockband aus Johannesburg? Ja, they’ve got roots, und brauen ein Gemenge, für das die Schublade Afropunk geöffnet wurde. So stimmt das aber nicht, denn zu wenig wild sind die aus Jams erarbeiteten Songs und zu episch die Trompetenklänge von Tebogo Seitei. In Summe ist das eine schwer beschreibbare Melange aus Einflüssen von Kwaito über Mbaqanga, Funkrock, Psychedelia bis Dub. Jedenfalls kickt »Abantu/Before Humans« (Glitterbeat/Indigo) retrofuturistisch und verwunderlich ist nicht, dass etwa Spoek Mathambo oder Urban Village BLK JKS sehr schätzen. Letztere Band hat für No Format!/Idol/Indigo das Album »Udondolo« eingespielt. Die Musik der Combo aus Soweto darauf ist ebenso welthaltig und zugleich regional. Der Name Urban Village verweist auf das Township Soweto, wohin das damalige rassistische südafrikanische Regime schwarze Minen- und Farmarbeitskräfte in einer Art Internierungslager/Schlafstätte verbannte. »Dindi« ist beispielsweise ein Wanderarbeiterlied über die Hoffnung, an den Ursprung zurückzukehren. Naheliegend auch, dass dem Aufstand von Soweto (1976), wo hunderte für ein besseres Bildungssystem kämpfende Bewohner*innen ermordet wurden, ein Stück gewidmet wird. Urban Village sind dunkelhäutig und stolz darauf. Einzigartig der Sound, wo Chorusgesänge und Gitarre die treibenden Impulsgeber sind und das glanzvolle Singer-Songwriting Jazz, Soul und Südafrikanismen ineinanderfließen lässt.

Mali – eine Verheißung

Ballaké Sissoko, neben Toumani Diabaté wohl der zurzeit bekannteste Kora-Spieler weltweit, lebt in Bamako, der Hauptstadt Malis. »Djourou« (No Format!/Idol/Indigo), der Titel seines Albums, bedeutet in der Sprache der Bambara »Saite«, steht aber auch für das Band, das ihn mit anderen Menschen verbindet. Damit meint Sissoko vor allem auch musikalische Kollaborationen, meistens im Duo. Auf dem Titelstück »Djourou« verknüpft er mit der gambischen Kora-Virtuosin Sona Jobarteh die Fäden zu gemeinsamen Vorfahren. Auch »Guelen« mit Salif Keïta klingt wie ein Heimspiel, und sogar »Kora«, wo die französische Sängerin Camille quasi einen Liebesbrief an die westafrikanische Stegharfe intoniert, hat die Weiten der Sahara intus. Rührend auch Piers Faccinis sanfte Balladenstimme, die dem auf Bamanan gesungenen »Kadidja« einen ganz besonderen Schmelz verleiht. Mit dem Cellisten Vincent Segal und dem Klarinettisten Patrick Messina wagt sich Malis Master Musician gar an Hector Berlioz heran. Doch »Jeu Sur La Symphonie Fantastique« entpuppt sich eher als Reise in die Sahelzone, wo ein magischer Sound über dem Niger schwebt. Zudem sprühen auch poetisch die Funken, wenn Arthur Teboul, Sänger der Band Feu! Chatterton, oder der Rapper Oxmo Puccino mit Sissoko interagieren. Letzterer setzt ihm gar ein Denkmal: Auf »Frotter Les Mains« sprechsingt Puccino von »einem Fingerballett auf einem Dutzend Saiten, wunderschön anzusehen. Es ist, als ob er die Musik zusammenstrickt«.

Wir sind im Problemstaat Mali, wohin auch Österreich Soldat*innen schickt, anstatt der Zivilbevölkerung zu helfen. Ein Sideman von Samba Touré heißt ebenso Sissoko. Djilmé Sissoko (Ngonis) und Souleymane Kane (Kalebassen) assistieren an den Percussioninstrumenten und darüber legt Samba Touré seine hypnotisierenden Gitarrenriffs. Desert Rock, reduziert aufs Wesentliche, fast Mantraartige. »Binga« (Glitterbeat), der Titeltrack des Albums ist in seiner minimalistischen Dauerrepetition eines simplen Licks vielleicht am eindringlichsten. In diesem Volkslied besingt Touré die Heldentaten von führenden Persönlichkeiten der Ethnie der Songhoy, der er selber angehört. Es siedelt in einer Region um Timbuktu und der Song erinnert an das größte Reich Afrikas im 15. und 16. Jahrhundert, das sich vom Atlantik über die ganz westliche Sahelzone erstreckte und von Songhoys regiert wurde. Es schimmert durch, dass Timbuktu eine Kulturmetropole war und die Herrscher einen liberalen, weltoffenen Islam vertraten. Generell ist die Sichtweise Tourés eine Nachhaltige. »Sambamila« ist eine traurige Meditation darüber, dass die Leute in seinem Dorf früher nichts hatten und glücklich lebten, heute zwar Elektrizität, Telefon und Internet haben, aber zur Armut die Unsicherheit kam, seines Lebens nicht mehr sicher zu sein.

Gar so düster soll der Rundflug aber nicht beschlossen werden. Deshalb noch der Verweis auf The Omniversal Earkestra, eine Big Band aus Berlin, die auch Kompositionen der Big-Band-Ära aus dem Mali der 1970er-Jahre im Repertoire hat. Dank einer Förderung des TURN Kulturfonds konnte 2019 eine Tour an die Ursprünge organisiert werden. Im Zusammenspiel mit Musiker*innen vor Ort werden die grandiosen Klänge von Mystère Jazz de Tombouctou, Kanga de Mopti, Super Bitons de Segou und der Railband de Bamako dem Vergessen entrissen. Hörbar macht diese Wiederbelebung mit spritzigen, doch etwas zu westlich klingenden Bläsern den beteiligten Legenden Salif Keïta, Sory Bamba und Cheik Tidiane Seck großen Spaß. »Le Mali 70« (Trikont/Indigo) sollte Anstoß geben, diese musikalische Grandezza in ihrer Urform wiederzuentdecken. Die vom Staat Mali und dessen Eisenbahnverwaltung geförderten Big Bands köchelten, beeinflusst von kongolesischen Ensembles, die in den1940er-Jahren kubanischen und US-Jazz aufsaugten, ihre ureigene malische Ursuppe. Die vielleicht größte Reputation hatte das nach seiner Hauptwirkungsstätte benannte Orchester du Buffet de la gare de Bamako, das in der Inkarnation Super Rail Band diesen hochrhythmischen Afro-Latin-Sound mit westafrikanischen Musiktraditionen und Instrumenten pfefferte.

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