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Human Abfall

»Form und Zweck«

Sounds of Subterrania

Da ist sie endlich, die Platte, die der jetzt schon mindestens zwei Jahre andauernden zivilisatorischen Entkernung Deutschlands und Europas den Kampf ansagt. Und zwar von A wie Anschläge über P wie Pegida bis S wie Selbstoptimierung. Während die einen von der Altbauwohnung träumen und andere nur weg fahren wollen, schauen Human Abfall den Widrig- und Scheußlichkeiten verachtungsvoll ins Gesicht. Eine Platte als vehemente Standortbestimmung: Brachial, industriell, repetitiv. Zwölf Songs, zu denen man zu gleichen Teilen die Faust in die Luft strecken, das Tanzbein schwingen und das Hirn anschmeißen kann. Die Band aus Stuttgart und Berlin verabschiedet sich auf ihrem zweiten Album vom formell konservativen Noise Punk des Erstlings und öffnet die Köpfe und Körper für einen schnellen, lärmenden, schmissigen, aber jetzt eben auch mal langsamen, leisen, komplexen und vor allem – hab ich’s schon erwähnt? – drückend repetitiven Postpunk-Sound. Ein Sound, der in seiner Wirkung weitaus intensiver ist als das immer gleiche Schneller, Lauter, Härter von dem, was landläufig so als Punk verkauft wird. Die Platte beginnt mit dem gleichzeitig auf Fehlfarben und Adorno verweisenden »Knietief im Falschen«. Dass sich hier ja keiner Illusionen macht, auch nicht mit Bio-Einkaufstüte in der Hand. Wie eine endzeitliche Naturkatastrophe bricht dann der Song »Bequeme Stellung« herein. Ein Abgesang auf den Rückzug ins private, falsche Glück. »Montags« schielt auf die Tanzflächen der übrig gebliebenen Kellerdiscos des Landes und arbeitet sich gleichzeitig an Pegida ab. Das IS-Erklärstück »Q: Wo ist Franz? A: Im Dschihad.« klaut nur im Titel bei Devo, erinnert mit seiner metallenen Gitarre sonst eher an Fehlfarben. Ûberhaupt: Immer wieder Fehlfarben auf dieser Platte. Und Mutter. Textlich haben sich Human Abfall eine gewisse punkige Direktheit bewahrt, ohne aber auf die ihnen eigene poetische Schroffheit zu verzichten. Sänger und Texter Flavio Bacon beweist einmal mehr, dass er die Kunst des effektvollen Verknappens perfekt beherrscht. Eine Kunst bzw. eine Sprache, die einst Peter Hein, Bettina Köster und Gabi Delgado-López entwickelt haben. Eine Sprache, die noch immer bestens funktioniert – damals gegen grauer Städte Mauern, heute gegen glänzender Standorte Fassaden. »Form und Zweck« ist damit der etwas direktere, aber genauso angekotzte Bruder der großartigen aktuellen Platte von Die Nerven. Und der etwas ernstere, aber genauso scharfsinnige Schwager vom großartigen aktuellen Zugezogen-Maskulin-Album. Eine derart rigorose, musikalisch wie textlich begeisternde Abrechnung haben der Neoliberalismus und seine Kollateralschäden schon lange nicht mehr vor den Latz geknallt bekommen.

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