»The Rough Guide to Afrobeat Revival« – als Doppel-CD im Package mit dem neuen Album von KOKOLO »More Consideration« (Lotus) – präsentiert eine breite Spanne von Interpretationen des Afrobeat, dessen Ahnherr der 1997 verstorbene Nigerianer Fela Kuti war. Neben zwei von seinen Söhnen, Femi und Seun, von denen Ersterer das Erbe des ?ber-Vaters eifersüchtig für sich beansprucht, haben sich inzwischen Dutzende von Bands und Acts etabliert, die meisten außerhalb Nigerias. Der »Rough Guide« muss sich auf zehn beschränken, das Genre favorisiert eher lange Kompositionen. Neben zwei ehemaligen Musikern Fela Kutis, dem Drummer Tony Allen und dem Keyboarder und Arrangeur Dele Sosimi, und Antibalas wartet die Compilation auch mit weniger bekannten Acts wie dem Chicago Afrobeat Project oder der engagierten Frauenband Femm Nameless aus Brooklyn auf. Kokolo aus New York bringen – wie die meisten Afrobeat-Adepten heute – Latin, Brazil und auch ein bisschen Reggae in den Stil ein und erweitern ihn gelegentlich mit einem Touch HipHopness.
Das aktuelle Album von TONY ALLEN, »Secret Agent«, erscheint auf World Circuit (Lotus) – was eine besonders feine Produktion verspricht. Die hohen Erwartungen werden nicht enttäuscht. Nach Alben, die von opulentem Pariser Modernismus bis zu britischer HipHop- und Pop-Affinität reichten, gibt ihm World Circuit das, was einen Elder Statesman auszeichnet: Souveränität und Eleganz im Crossover. Afrobeat trifft auf Jazz, Cuban-Jazztrompete auf Akkordeon-Swing, Soul-Sängerinnen auf einen fantastischen Drummer – kurzum: ein wunderbares Album.
SEUN KUTI (live beim Jazz Fest Wien im Arkadenhof des Rathauses am 7. Juli 2011) ist mit seinem Albumdebüt »Many Things« (Lotus), sowohl was Instrumentierungen und Arrangements (er spielt mit Felas EGYPT 80-Band) als auch Vocals betrifft, seinem Vater näher als die meisten anderen Bands. Auch wenn bei ihm mehr Ecken und Kanten ins Spiel kommen oder einmal ein legeres Jazzgitarren-Solo eingebaut ist. Produziert hat Altmeister Martin Meissonnier, der schon mit Vater Fela arbeitete.
OUMOU SANGARE veröffentlicht nach einigen Jahren Absenz vom Plattenmarkt »Seya« (World Circuit/Lotus) – und, müßig zu sagen, dass wenn das World-Circuit-Team und jede Menge Musiker-Prominenz (wobei Studio-Routiniers sicherlich eine ebenso wichtige Rolle spielen wie der notorische Aufputz) mit Cheik Tidiane Seck als Produzent und Engineer Jerry Boys beteiligt sind, dies ein außergewöhnliches Album werden muss. »Seya« startet mit viel funkigem Groove, um nach ein paar Songs auf atmosphärischere, traditionellere Songs wie »Senkele Te Sira« oder »Djigul« einzuschwenken; mit dem Titelsong (der einen südafrikanischen Gospel-Touch hat) gewinnt das Album wieder an Drive und souliger Suspense . Hier stimmt von Anfang bis Ende einfach alles.
VIEUX FARKA TOUR? – der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, heißt es. Und tatsächlich glaubt man sofort zu hören, dass Vieux Farka Touré der Sohn der weltberühmten, kürzlich verstorbenen malischen Musiker-Legende Ali Farka Touré ist. Obwohl man nicht behaupten kann, dass der Sohn auf »Fondo« (Six Degrees/Hoanzl) das Erbe des Vaters übernimmt. Einerseits steht er natürlich in der Tradition jener Sahel-Musik, die wir als Wüsten-Blues schubladisieren, andererseits orientiert sich sein »geschliffeneres« Gitarrenspiel an Göttern der Rockgitarre wie Eric Clapton. Die Produktion ist von jener Qualität, wie sie die World-Music-Medien lieben: Im Wesentlichen in Bamako mit malischer Prominenz aufgenommen, wurden die Tracks in L.A. mit zusätzlichen Drums zu einer »State of the art«-Weltmusik-Produktion gemixt. Vieux? erstes internationales Release verspricht ein großer Wurf zu werden.
MAMANE BARAKA, »lone master of the biram, traditional roots of desert blues«, steht auf dem Cover von »Introducing« (World Music Network/Lotus), das derzeit ebenfalls hoch in den Charts der Weltmusik-Foren steht. Obwohl ich mich nicht als expliziten Fan traditioneller Musik bezeichnen kann, hat mich dieses Album völlig in seinen Bann gezogen: Das ist essenzielle, gefangen nehmende Musik, die Mamane Barka, ein Nomade des Sahel, hier auf dem schiffskörperförmigen (kaum mehr gespielten) Seiteninstrument, begleitet von nur einem Percussionisten, inklusive Vocals spielt. Beide Musiker sind absolute Meister, man höre das Drum-Solo auf »Kiota«.
STAFF BENDA BILILI sind der Stoff, auf den die Weltmusik-Kritik abfährt – mit Recht so. Ihr Album-Debüt »Tres Tres Fort« (Crammed Discs/Lotus) bezieht sich – wie das im Kongo seit den frühen Fünfzigern Tradition hat – schwer auf kubanische Musik, allerdings soundmäßig sehr variabel und weitläufig, immer wieder klingt auch die Musik Angolas an, das ja unweit von der Hauptstadt Kinshasa liegt. Eine individuelle Note verleiht dieser Band von Polio-geschädigten Musikern aus den Straßen Kinshasas die Verwendung selbstgebauter Instrumente. Eine herausragende Platte!
JUSTIN ADAMS & JULDEH CAMARA, »Tell No Lies« (Real world/Lotus): Wenn auf dem Opener ein Intro wie von der Jimi Hendrix Experience erklingt, ist das für dieses Album Programm: Starke Rock-Einflüsse geben dieser Musik in der Tradition von Touareg-Bands Nordafrikas Ezzes. Eines der belebendsten Crossovers in einem Genre, das wir der Einfachheit halber dem »Wüsten-Blues« zuordnen wollen, obwohl Camara aus Gambia stammt
REN? LACAILLE kommt von der französischen Insel La Reunion (nahe den Seychellen und Mauritius), spielt also frankofones Liedgut. Sein Instrument ist v. a. das Akkordeon, was diese frankophone Tendenz noch unterstreicht. »Cordéon Kaméléon« (Connecting Cultures/Hoanzl) ist eine Doppel-CD, die einen weiten Bogen von Afrika über Frankreich bis in die französische Karibik spannt. Musikalische Labsal für beats-geschädigte Ohren; Zeit, sich mit Harmonie zu reanimieren – ohne allerdings auf raffinierte Perkussionsarbeit, Gitarre, Bass und einiges andere dezent eingesetzt swingende Instrumentarium zu verzichten.
SISTER FA, junge senegalesische Rapperin, bringt mit ihrem Debüt »Sarbah« (Piranha/Lotus) eine gemäßigte Version jenes typischen Afro-Raps bzw. HipHops, wie er seit einigen Jahren in alternativen Weltmusikzirkeln gehyped wird, wobei das Afrikanische dieser Musik vor allem die Sprache – Wolof, Manding etc. – bleibt. »Sarbah« thematisiert u.a. Zwangsheirat und Genitalverstümmelung und erfreut mit einer melodiösen Melange aus klassisch souligen HipHop-Beats, Latin und Pop-Flavours.
»Comfusoes 1 – From Angola to Brasil« (out | here rec./Lotus) ist eine Compilation mit zeitgenössischen Bearbeitungen älterer angolanischer Musik aus den Sechzigern und Siebzigern, z. B. von Bonga, Paulo Flores oder Paulinho Pinheiro (ich lege diese Musik allen ans Herz!), durch brasilianische Jungstars wie DJ Dolores oder Moreno Veloso. Das Ergebnis lässt sich – zwischen Couch, Club und Carnival – hören. Aber warum nicht den Weg zurückgehen von diesen Reworkings zu den Originalen?
Die MULATU ASTATKE & THE HELIOCENTRICS gewidmete CD ist die dritte aus der »Inspiration Information«-Reihe des Strut-Labels (Vertrieb Hoanzl). Die äthiopische Musikerlegende im Remix der Heliocentrics. Den ursprünglichen Songs des eleganten Ethio-Jazz-Stilisten wurde leider nichts von Bedeutung hinzugefügt. Ich habe einige seiner Originalsongs parallel zu den Remixen laufen lassen – und es ist erstaunlich, wie wenig den Herrschaften eingefallen ist, außer Tempo-Hinaufschrauben und den Sound auf zeitgeistige elektronische Hörgewohnheiten herabzufahren. Empfehlenswerter ist somit klarerweise das Live-Erlebnis: MULATU ASTATKE & THE HELIOCENTRICS gastieren am 30. 7. 2011beim Glatt&Verkehrt-Festival in Krems – passendes Samstagsmotto: »African Blend«.