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Lubomyr Melnyk

»Windmills«

Hinterzimmer Records

Die Definitionsmacht über seine Musik scheint Lubomyr Melnyk, kanadischer Komponist und Pianist mit ukrainischen Wurzeln, schon vor Jahrzehnten für sich behauptet zu haben. Nicht nur prägt er seit den 1970er Jahren einen eigenen Stil, er setzte auch gleich zwei Schildchen auf die Schublade, die beide so einprägsam und selbsterklärend wie zutreffend sind. »Continuous Music« ist das eine: Mit dem Pedal häufiger auf Anschlag als Michel Vaillant und mehr Tastenanschlägen per minute als Beats in Detroit Techno (Melnyk hält mit exakt 19,5 PRO SEKUNDE den Weltrekord im, nun, schnell Klavier spielen) kreiert Melnyk eine Version von Minimal Music, die aus sich unaufhörlich fortspinnenden Ketten, Strömen von Tönen und Klangmustern eine Sounddecke webt und, Schildchen zwei, gerade, weil sie des Unendlichen, des Vollen bedarf, auch und nicht zuletzt des vollen körperlichen Einsatzes der Spielenden, kein Minimalismus mehr ist, sondern, au contraire, »Maximalism«. Nun bin ich ein sucker for manifestos, auch post-manifestischen Manifesten stehe ich positiv gegenüber – Melnyk schrieb 1981 eine programmatische Einführung in seine Musik namens »Open Time«, lässt sich aber auch so zitieren: »I disavow the so-called ‚avant-garde‘ tendencies of contemporary music, because these are far too programmatic to permit pure music to surface, and because I remain in awe of the fabric of beauty which permitted Chopin, Mozart and others to let loose a fountain of harmonic splendour with just two notes. Modality and tonality are both as modern as dissonance.« Aber auch dieses Album, wie die etwa 15-20 zuvor, wäre spurlos an mir vorübergegangen, hätte es nicht einen herrlichen Bezugsrahmen: Den uralten Disney-Kurzfilm »The Old Mill« (USA 1937), ohnehin wunderbar orchestriert und mir irgendwie in Kindertagen, ich fantasiere gerne: als Vorfilm zu »Die Schöne und Das Biest«, tatsächlich im Kino über den Weg gelaufen, bloß neun Minuten lang und dennoch magisch, wie der alte Uhu und die verliebten Turteltauben im sonnigen Morgen nach der Sturmnacht in der zerfallenen Mühle ihre Würde behalten. Diese Magie in ein ganz anderes Konzept, eben das der Minimal Music zu übersetzen und Echos des Films behutsam anzunehmen, wie Melnyk es hier in zwei Stücken tut, im 43 Minuten langen »Windmills« und dem zwanzigminütigen »Song of Windmill’s Ghost«, in flirrende Piano-Patterns, die dann doch wieder sich als Melodien verfangen, die Songs zu nennen nicht falsch wäre, das macht Melnyks Kunst auf diesem Album zu etwas ganz Besonderen. »Windmills« legt quer durch das Heute Spuren aus der Vergangenheit in die Zukunft, denen zu folgen – oder zu ignorieren – neuen Akteuren einer »anderen« Klassik wie Nils Frahm überlassen bleiben wird.

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