Grandioser, düsterer industrialized Noise geht über oder zusammen mit harmonized Wohlklang. Kein Widerspruch ist das bei Dedekind Cut, dem Projekt von Fred Welton Warmsley III, das mit einigen GastmusikerInnen zwischen New York, Seoul und Berlin gloriose Gestalt in Form von nur 23 Minuten annahm. Diese aber haben es auf »The Expanding Domain« (Hallow Ground) in sich. Auf »Lil Puffy Coat« wird gar ein wunderhübscher, hypnotischer Widerhakenohrwurm gesetzt, der immer wieder nach der Replay-Taste verlangt. Elysia Crampton, bekannt vom diesjährigen Donaufestival, spielt auf den beiden letzten Tracks gedubbtes Piano. Hier wird gezwirbelt, Schicht um Schicht aufgetürmt und im Verein mit Pianist Mica Levi und den Percussionisten Prurient und Zach Hill zunächst auf dem Titeltrack etwas harscher Boden bereitet, ehe »Das Expanded, Untitled Riff« nach drei Minuten abhebt und wie ein majestätisches Raumschiff über die modularen Synthgalaxien von Dirch Heather gleitet.
»Constant Growth Fails« / »A Last Dance«
Hauschkas Kompositionen sind auf »What If« (City Slang) immer noch prepared-piano-driven wunderschön, und ein spaciger Moog-Bass tut auch seine Wirkung. Das Album startet mit »I Canʼt Find Water« mit verstimmten Klaviersaiten und broken Beat, darauf folgt ein euphorisches Forte, in dem die Tastenläufe davonstieben – die im bemerkenswerten Tracktitel, übersetzt »Konstantes Wachstum, zum Scheitern verurteilt«, den neoliberalen Irrweg aufs Korn nehmen. Wenn das so weitergeht, besteht nur die trügerische Hoffnung aufs interstellare Exil. Das weihevolle »My Kids Live On Mars« bekommt eine Prepared-Player-Piano-Line beigestellt. Volker Bertelmann aka Hauschka schafft es somit, obwohl er Instrumentals komponiert, trotzdem die Weltlage zu kommentieren. »Nature Fights Back« klingt ein bissl holprig, doch gefällt diese Rache der zum Glück nicht berechenbaren Natur, weshalb der repetitive Minimalismus des Düsseldorfers hier wohl bewusst aus dem Takt gerät.
Das Weltgeschehen bedrückt auf eine bestürzend schöne Weise auch Marc Euvrie. Als The Eye of Time startet er mit »Myth I: A Last Dance For The Things We Love« (Denovali/Cargo Records) eine Trilogie. Auf dem Cover ein Foto des World-Press-Photo-Award-Gewinners Emin Özmen: Ein Paar, wegen Tränengasgefahr mit Mundschutzmasken, das im Juni 2013 auf dem Taksim-Platz in Istanbul Tango tanzt. Bereits der Auftakt klingt mit »God Is Your Loneliness« samt einleitendem und ausfadendem Glockengeklingel vielversprechend. Bedeutungsschwer aufgeladen dann Track Nr. 3, das im Grundgerüst elektronisch generierte »Mass«, wo Euvries Cello unheilschwanger in die Tiefe gleitet, um heulend wieder aus dem Tal himmelwärts zu schwelgen. Ähnlich wie Hauschka hat auch The Eye of Time perlende Pianoläufe drauf, besonders schön auf dem Titeltrack, doch hier gelangt die Wehmut um das bald verlorene, vom Großkapital im Verein mit Autokraten zum Verschwinden verurteilte Gemeinwohl noch dunkler zum Ausdruck. Celloklänge versiegen und Marschrhythmen im Verein mit Orgelschwulst tragen das darauffolgende »Dreams Are Dead, But Will Be Reborn With Grounds, Stones And Ancient Spells«. Diese dunkel dräuende Auferstehungssymphonie weiß um das Schicksal von (Ur-)Einwohnern, denen Land und Existenz geraubt wurden, und klingt gerade deswegen erhaben, auf einer Metaebene marschierend, am Abgrund angekommen, immer noch das Glück suchend. Es liegt eine immerwährende Tragik zugrunde, denn wie wir aus der Geschichte wissen, sind viele Widerstandleistende an der Allmacht von totalitär Herrschenden gescheitert. Doch Mythen ranken sich nicht nur um Sieger, sondern auch um Besiegte. Es liegt an uns, die Gegenwehr aufzunehmen, damit nicht jene die Oberhand gewinnen, die mit ihrem Profitmaximierungswahn eine fürs Ûberleben der Menschheit nötige Ökologisierung, die glücklicher macht, verhindern. Dies alles will uns The Eye Of Time sagen und küsst uns schließlich mit »I Could Sleep For Thousand Years« in den Schlaf der Gerechten.
The Sound of Denovali
Dag Rosenqvist & Matthew Collings begegnen dem Weltdesaster mit einer großen Portion Humor. Der Smiley am Cover von »Hello Darkness« (Denovali/Cargo Records) sagt bereits aus, dass das Duo erhebende Glückszustände evozieren will, etwa gleich im Opener »It Was Digital, And It Was Beautiful«, wo sich Electronicageräusche an leicht verhallte Pianoklänge schmiegen. Teils treiben diese broken-beat-mäßig den Rhythmus an, was sich auch zu einem fortreißenden Maelstrom auswachsen kann. Bei »Renaissance« ist das der Fall, zwischendurch wird runtergebremst auf einen Ambient-Drone-Flow, der in einen grau-metallischen Strudel mündet. Gar so lustig ist die Musik also nicht, womit sich die Benennung »Hello Darkness« als sehr treffend herausstellt, und auch der Coversmiley zerdrückt eine verräterische Träne.
Orson Hentschel ließ sich auf seinem Debüt »Feed The Tape« wesentlich von klassischer Minimal Musik inspirieren. »Electric Stutter« (Denovali/Cargo Records) ist ein Nachfolger, der darauf aufbaut, jedoch eine betörende Vermischung mit elektronischer Musik aufweist. Sequenzerpatterns rattern, und zumindest in den ersten zwei Dritteln des Albums beamen einen erhebende Klangschlieren in ungeahnte Klangsphären. Der Zauber geht von minimal repetierten und variierten Synthieklängen aus, die sich zu Klangwolken verdichten, die in eine Art Schwebezustand versetzen. Insbesondere in Erinnerung bleiben das Titelstück mit insektenartigem Surren und »Wailing Sirens«, in das sich nach etwa drei Minuten ein freundlicher Sirenenton reinschraubt und Bestandteil des Tracks wird.
Erhabenes ist auch auf »Vivid Flu« (Denovali/Cargo Records) von Michael Vallera zu finden. Er braucht zum Start nicht mehr als den lang anhaltenden Widerhall von in tieferen Registern angeschlagenen Klaviertasten und raumgreifende, sanfte elektronische Beimengungen. Diese verströmen melodiösen Wohlklang, doch mit Fortschreiten des Albums klingt das ein klein wenig maschineller, mehr den Gesetzen des Reißbretts unterworfen, ehe im abschließenden »Drug« echten Gitarren, die sonst nur in gesampelten Spurenelementen vorhanden scheinen, dem geneigten Hörer ein good Feeling vermitteln.
Der in diesem Kontext wohl sperrigste 2017er-Wurf ist »In Silhouette« vom Ensemble Economique (Denovali/Cargo Records). Dahinter steckt Brian Pyle, der damit bereits das Album-Dutzend vollmacht. Irgendwie nervt es und doch sind Pyles sogenannte sinewed Synth-Tone-Undulations etwas Besonderes. Polyphone Ostinatos pulsieren und ergießen sich in stetigen Kaskaden aus den Boxen, wodurch eine symphonische Sogwirkung erreicht wird, der man sich letztlich nicht leicht entziehen kann, insbesondere dann, wenn es doch etwas geschmeidiger melodiös zugeht, wie auf »You In The Horizon«.
Space is the place
Ein Gespür für Drama hat Roger Goula. Auf »Overview Effect« (Cognitive Shift Recordings/One Little Indian/Rough Trade) sind die Tracks Soloinstrumenten wie Cello, Viola oder Countertenor- und Tenorukulele zugeordnet. Synthies bereiten den Boden für atmosphärische, sich aufschwingende Höhenflüge seiner Streicherarrangements. Teils schrammt das knapp am Kitsch vorbei, doch in Summe ist das dem psychologischen Effekt gewidmet, der Astronauten beim Anblick der Erde »befällt«, und sehr hörenswert. Flirrende Saitenklänge erinnern dabei an Michael Nyman und auch die asketische Strenge eines Arvo Pärt schimmert durch.
Hochgradige Ûberlagerungen von Orgelklängen und Elekronikschlieren wirken wie ein zäher Maelstrom, der sich allmählich ausweitet. Giulio Aldinucci generiert mit seinen langgezogenen Pfeifentönen auf »Borders And Ruins« (Karlrecords) eine feierliche Grundstimmung, ein majestätisches Fließen, das zwar noch irgendwie in Ambientgefilden zu orten ist, jedoch durchaus spirituelle Dimensionen annimmt. Mit stimmigen Titeln wie »Exodus Mandala« oder »Venus Of The Bees«. Irgendwie entspricht dieses kontinuierliche Aussenden von Soundwellen nach meinem Dafürhalten am ehesten dem Klang, den ich als Soundtrack für den galaktischen Blick auf die blaue Erdkugel goutieren würde. Ständig werden Glückshormone angeregt und spätestens im Outro stellt sich Glückseligkeit ein. »The Pray (Dissonant Ascension)« überwindet als digitale Orgelgospelkomposition instabile, diskriminierende irdische Grenzen. In Weltraumweiten lässt es sich wunderbar fieberträumen – meine Kinder, heute krank geworden und mit Aldinuccis erstem Karlrecords-Album beschallt, sind zu dieser übersinnlich schönen Klangmalerei eingeschlafen.
Dedekind Cut: »The Expanding Domain« (Hallow Ground)
Hauschka: »What If« (City Slang)
The Eye of Time: »Myth I: A Last Dance For The Things We Love« (Denovali/Cargo Records)
Dag Rosenqvist & Matthew Collings: »Hello Darkness« (Denovali/Cargo Records)
Orson Hentschel: »Electric Stutter« (Denovali/Cargo Records)
Michael Vallera: »Vivid Flu« (Denovali/Cargo Records)
Ensemble Economique: »In Silhouette« (Denovali/Cargo Records)
Roger Goula: »Overview Effect« (Cognitive Shift Recordings/One Little Indian/Rough Trade)
Giulio Aldinucci: »Borders And Ruins« (Karlrecords)