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Kacey Musgraves

»Golden Hour«

MCA Records/Universal Music

Das Country-Girl Kacey Musgraves fühlt sich neuerdings in der Disco wohl. Um das zu illustrieren, lässt sie live bei ihrem Lied »High Horse« auch gerne mal einen glitzernden, silbernen Pferdesattel als Discokugel fungieren. Auch ihrem Kuhjungen lässt sie auf »Space Cowboy« plötzlich allen Raum der Welt. Sie möchte ihm nicht mehr im Weg stehen. Das ist eine Win-Win-Situation. Der Kuhhirte muss sich nicht mehr mit diesem merkwürdigen Land-Mädchen herumschlagen, das jetzt eigentlich in der Großstadt wohnt, und das Country-Girl kann sich ihrerseits von den Country-Klischees befreien und ihre Lieder als rural-urbane Singer-Songwriter-Songs umdeuten. Auf »Golden Hour« gelingt ihr jedenfalls die Quadratur des Kreises. Sie gilt so manchem progressiven Country-Hörer als Zukunftshoffnung und wird zugleich auf der saucoolen und meinungsbildenden Mistgabel-Seite als absolut heiße Scheiße abgefeiert. Das führt einerseits dazu, dass sich altgediente Country-Fans ein wenig vor den Kopf gestoßen fühlen, und andererseits dazu, dass Indie-Hipster neuerdings auf Instagram posten müssen, dass sie zwar dieses Genre an sich nicht hören würden, aber dieses Album nun wirklich unglaublich großartig sei.

Diese Kontexte wird man beim Hören des Albums auch als Europäer, der Country-Musik überwiegend für den Soundtrack von schießwütigen Rednecks hält, anfangs nicht los. Doch die gute Kacey mag nicht das Pin-up-Girl in einsamen Waldhütten sein, in denen man darauf wartet, dass man den nächsten Bären erlegen kann. Sie kleidet sich zwar auch, wenn es ihr beliebt, ziemlich sexy, aber macht das, weil sie es will. Selbstbestimmung, baby! Und ihre Musik klingt, Gottseibeiuns, ebenso. Western-Klischees findet man auf der Platte nämlich keine. Auch Cowboys und Pferde spielen nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dafür outet sie sich, wenn auch zwischen den Zeilen, als Kifferin. Auch mit dem klassischen Frau-Mann-Rollenbild kann sie, obwohl selbst seit letztem Jahr glücklich verheiratet, nicht allzu viel anfangen. So lässt sie auch anklingen, dass sie anderen Lebens- und Liebesformen etwas abgewinnen kann. Dass sie das Mainstream-Country-Radio in den USA daher weitestgehend boykottiert, ist da nur wichtig und richtig.

Dieses wird Fräulein Musgraves aber in absehbarer Zeit auch gar nicht mehr notwendig haben. Auf ihrem neuen Album beweist sie sich nämlich als Meisterin der allerhöchsten SongschreiberInnenkunst. Die Scheibe kommt gänzlich ohne Ausfälle und Füllmaterial aus und glänzt mit einer Aufrichtigkeit und Unverfälschtheit, die selten geworden ist. Was beim ersten Hördurchgang naiv erscheint, entpuppt sich mehr und mehr als eine erstaunliche Reife im Umgang mit der eigenen Lebensrealität. Klischeefrei und direkt besingt sie mit klarer Engelsstimme ihre Mutter, die sie vermisst, Beziehungen, die zerbrochen sind, und Wochenenden, die einsam verbracht wurden. Dazu fließt die Musik unaufgeregt und präzise, überwindet Genre-Grenzen immer wieder leichtfüßig und absolut selbstverständlich. Im erstaunlichen Musikgebräu findet man Zutaten aus 1970er-Disco, Softrock, Pop, Country und Folk zu einem Album verdichtet, das man bevorzugt bei Sonnenschein hören sollte. Man darf die Platte, bei aller Melancholie, die hier zum Teil auch vorherrscht, gerne als Sommerplatte mit grandiosen Songs bezeichnen, die im ruralen Amerika genauso gut funktionieren wie in Berlin bei einem kühlen Bier an der Spree. Ein Album, das das vollbringt, kann eigentlich nur ein Meisterwerk sein.

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