Also sprach Peter Brötzmann in einem Interview: »Sollen sie ihren Scheiß weiterhören, den sie immer hören.« Gemeint war natürlich die üble, harmonieverseuchte Mainstreamwelt, die naserümpfend ihr Urteil über Freejazz bzw. ihr kontinentales Stiefkind, die freie Improvisation, spricht: Mühsam, enervierend, ewig dasselbe! Das war klar immer schon eine Frage der Erwartungshaltung, aber um die grundsätzliche Berechtigung von Impro-Musik geht es hier nicht, wohl aber um die Frage, ob es ihr nicht an so etwas wie innerer Entwicklung mangelt. Oder mit den Worten Brötzmanns: Ist Impro nicht auch hin und wieder ein Scheiß, den Impro-Musiker stets auf dieselbe Weise tun? Für die reine Gruppenimprovisation, egal ob sie nun von einem bestens eingespielten Kollektiv oder (nach der Derek-Bailey-Maxime) von Leuten, die sich auf der Bühne zum ersten Mal treffen, eingespielt wird, trifft das leider tatsächlich zu. Richtig Spaß daran haben vor allem die MusikerInnen selbst, als Rezensent neigt man mehr und mehr dazu, aus der Sparte Impro nur noch jene Tonträger herauszuklauben, die ein bisschen mehr bieten als bloß das nackte Kind.
Improadventures in Electrotoyland
Jörg Fischer ist im Grunde ein klassischer Impro-Wiederholungstäter. Mindestens zweimal im Jahr erscheint eine CD, auf der Drummer seinen kompetenten Input zu unterschiedlichsten Besetzungen liefert. Auf »Confucius Tarif Reduit« (erschienen auf Spore Print) hören wir Alfred 23 Harth an diversen Blasinstrumenten und Vocals, Marcel Daemgen an der Elektronik und Jörg Fischer wie gewohnt an den Drums. Die Elektronik in die Improvisation einzubauen, weil sie sowohl klanglich als auch strukturell für Frische und Ûberraschung sorgt, ist zwar nun wirklich kein allzu neuer Zugang, aber man freut sich doch immer wieder, wenn das Konzept dann tatsächlich klappt – so auch in diesem Fall. Eine klangfarbenfröhliche, einfallsreiche Ensembleleistung, die immer wieder meditative Qualitäten hat und durch die hingetupften Vokaleinschübe von Alfred 23 Harth auch einen originellen Dreh.
In dieselbe Kerbe hinein improvisieren die Herren Michael Wintsch (Synthesizer und E-Piano), Christian Weber (Bass), und Christian Wolfarth (Drums), allesamt übrigens kollaborationserprobte Haudegen in der Experimentalszene. Ihre CD »Thieves Left That Behind« (Veto Records) präsentiert Impromusic mit einem fast elektropoppigen Appeal – was dementsprechend lässig und vergleichsweise zugänglich klingt, weswegen man diesen Impro-Spaß sowohl Genreneulingen wie -grenzgängern nur wärmstens empfehlen kann. Improadventures in Electrotoyland wäre hier mein Wahluntertitel, das trifft die Sache ganz gut. In diesem Fall ist es übrigens das Schweizer Label, das sich sonst durch Wiederholungstaten im Zeichen von Impro & Free hervortut.
Polsterzipfel des Rauschens
Ganz ähnlich liegt der Fall bei dem japanischen Label Ftarri, das sich auf Impro mit stark elektroakustischem Einschlag spezialisiert hat. Selbst dort, wo man nicht mit Elektronik arbeitet, wie z. B. auf »Mishima, Day & Night« von Saxophonist Jean-Luc Guionnet und Vokalist/Perkussionist Seijiro Murayama, entsteht eine flirrende Atmosphäre, die von Elektrostatik aufgeladen scheint. Ebenfalls symptomatisch für Ftarri-Produktionen ist ein fernöstlich anmutender Stoizismus, der sich auch vor radikaler Reduktion nicht scheut. »Mishima, Day & Night« ist dafür ein gutes Beispiel, Impromusik an der Grenze zum Stillstand, aber ebenso »Between Two«, eingespielt von Tetuzi Akiyama (Gitarre), Jason Kahn (Drums) und Toshimaru Nakamura am »no-input mixing board«. Auch hier knistert und flirrt es bis die Ohren pfeifen, mitunter wird der Sound aber wieder so dünn, als wäre ein Ensemblemitglied schnell nach draußen auf eine Tasse Kaffee gegangen, bis schließlich wieder gemeinsam am Polsterzipfel des weißen Rauschens geklöppelt und gezurrt wird. Was hier am meisten überzeugt, ist die achselzuckende Vertiefung der Musiker in ihre Materie, die en passant eine Parallelwelt zwischen Impro und Soundtüftelei evoziert.
Improbiest
Apropos Parallelwelt, in eine ebensolche führt uns auch die CD »Aliens in Amazon Jungle« (erschienen auf dem russischen Label ТОПОТ). Das dafür verantwortliche MusikerInnenkollektiv versammelt neben den nur in russischer Schreibweise eruierbaren Künstlerinnen Ðнтон КолоÑов, Алексей БориÑов, ÐšÐ°Ñ‚Ñ Рекк, Алексей БобровÑкий, Федя Фокин und Timo Tuhkanen auch die bestens bekannte österreichische Experimentalviolonistin Mia Zabelka. Auch hier haben wir es mit einem astreinen Zusammenprall von Impro und Elektroakustik zu tun, aber während die Japaner eher die Schlafmützen-, die Schweizer hingegen die Spielzeugvariante präsentiert haben, fahren Zabelka und ihre MitstreiterInnen die virtuosen Vampirszähne aus und liefern eine ebenso atmosphärisch dichte wie zickige Fahrt ins Zentrum eines Elektronensturms über den Dächern von Gotham City, kurz nachdem der Schurke Scarecrow sein verrückt machendes Giftgas versprüht hat. Eine beachtliche Tollerei ist das, ganz besonders in den Passagen, in denen Mia Zabelka mit Karacho gegen das Sphärengewitter ihrer KollegInnen anspielt bzw. man sich in bester Eintracht in einen gemeinsamen Wirbelsturm verwandelt. So wird »Aliens in Amazon Jungle« streckenweise zu einem wahren Improbiest, was Genrefreunden sicher enorm viel Freude bereitet.
Streichresultate
Eine ähnliche Raserei schwebte womöglich auch Boris Hauf, Martin Siewert, Christian Weber und Steve Heather vor, als sie sich für »The Peeled Eye« (Shameless Records) eingefunden haben. In derselben Besetzung ist man nicht zuletzt beim Ulrichsberger Kaleidophon 2015 auf der Bühne gestanden, was ja an sich schon ein kleiner Ritterschlag ist, dennoch … Ich weiß nicht so Recht, woran es liegt, jedenfalls nicht an der außer Zweifel stehenden virtuosen Kompetenz aller Mitstreiter … fehlt der Sache irgendwie der letzte Kick, der unverzichtbare Hauch Originalität. Vielleicht liegt’s am freejazzigen Einschlag mit leicht noisiger Grundierung, denn auch dieses Kalkül bleibt viel zu absehbar. Nicht einmal die Frage, wie intensiv, wie schräg, wie ausufernd ein fetziger Track wie »Diiiiisko« im Laufe seiner 6:43 Minuten noch wird, hält wirklich bei Laune. Schade, aber vermutlich vor allem eine Angelegenheit subjektiver Präferenzen.
Und weil wir schon bei den CDs sind, mit denen man aus irgendeinem Grund nicht wirklich warm wird: Das Linzer Ensemble ohne kane bresln versammelt Andreas Wahl an den Drums und »Scraps«, Florian Graf an Gitarre und »amplified objects« sowie Ingo Eulenhaupt an Bass und Gitarre. Ihr Triodebüt »Cinema della foresta« ist allem Anschein nach Impro mit sehr spezifischen Regeln, immer wieder tauchen kurze Phrasen und Themen aus dem klassischen Rockvokabularium auf, was einerseits hübsch unverbraucht, andererseits auch ein wenig nach Proberaumtollerei klingt. Aber vielleicht missverstehe ich da gerade die glorreiche Zukunft heimischen Improschaffens, also am besten selbst reinhören.
Affenverschwörung
Zum Schluss ein wenig Verweigerungshaltung bzw. zurück zu einem meiner absoluten Lieblingslabels und zur CD (kein Witz jetzt) »Angående omstendigheter som ikke lar seg nedtegne« von Monkeyplot (erschienen auf Hubro Music). Monkeyplot sind Christian Winther an der Gitarre, Magnus Skavhaug Nergaard am Kontrabass und Jan Martin Gismervik an den Drums. Die drei Herren sehen sich selbst als Impromusiker, nennen ihre Musik zugleich Kammermusik, aber vielleicht sollte man eher Fjordhüttenmusik dazu sagen und sich ein ideelles Crossover zwischen Derek Bailey und Neil Young dazu vorstellen. Ähnlich wie bei den Linzern geistert da also ein Rockidiom herum, aber in viel abstrahierterer, verdichteterer Form. Die Impro ist defragmentiert, zerfällt beim Hören in seiner Bestandteile, wirkt mitunter seltsam unfertig, was man je nach Erwartungshaltung entweder als großartig oder unbefriedigend erleben darf. – Und damit sind wir auch wieder beim Einstieg und der Frage nach dem ewig selben Scheiß, den Impromusiker mitunter produzieren. Auf die hier vorgestellten Tonträger trifft dieses Urteil jedenfalls so gut wie gar nicht zu, es sind allesamt brauchbare Visitenkarten dieses Genres.
Alfred 23 Harth, Marcel Daemgen, Jörg Fischer: »Confucius Tarif Reduit« // Spore Print
http://www.joerg-fischer.net/
Wintsch, Weber, Wolfarth: »Thieves Left That Behind« // Veto Records
www.christianwolfarth.ch
Jean-Luc Guionnet, Seijiro Murayama: »Mishima, Day & Night« // Ftarri
Tetuzi Akiyama, Jason Kahn, Toshimaru Nakamura: »Between Two« // Ftarri
http://www.ftarri.com/
ByZero: »Aliens in Amazon Jungle« // ТОПОТ
https://tawpot.bandcamp.com/album/aliens-in-amazon-jungle
Boris Hauf, Martin Siewert, Christian Weber, Steve Heather: »The Peeled Eye« // Shameless Records
http://hauf.klingt.org/bands/thepeeledeye
Ohne kane bresln: »Cinema della foresta« // Shameless Records
http://ohnekanebresln.jimdo.com
Monkeyplot: »Angående omstendigheter som ikke lar seg nedtegne« // Hubro Music
http://hubromusic.com