Southern Soul mit einer Menge Blues und Country im Timbre der Stimme, für die sich schwer ein Vergleich finden lässt, allein schon wegen ihrer Breite: JEAN WELLS hatte Ende der 1960er Songs eingespielt, die sie eigentlich zu einer der ganz großen Soul-Divas hätten machen müssen. Warum daraus schließlich doch nichts wurde, bleibt eines der Rätsel, an denen die Geschichte des Soul (tragischerweise) so reich ist. Den Soul-Aficionados hatte es ihre kräftige Stimme, die alle Nuancen zwischen tiefem Soul, R&B und rauchigem Blues auslotet, immer schon angetan. Diverse Songs von Wells tauchten immer wieder einmal auf Compilations von Kent auf. Nun kann man auf »Soul on Soul« (bbe/Hoanzl) 25 im Stück hören. Dieses Reissue gehört eindeutig zu den Top Ten des Jahres.
Ein Teil der Songs der 2004 erstmals erschienenen und nun wiederaufgelegten Compilation »Chicago Soul – Electric Blues Funk & Soul« (Soul Jazz) sind nicht unbedingt das, was man als typischen Soul bezeichnen kann. »Electric Blues Funk«, R&B – Namen wie Howlin‘ Wolf, Bo Diddley, Buddy Guy oder Muddy Waters mit dem Willy-Dixon-Song »I Wanna Make Love to You«, den eine Reihe Rock’n’Roller gecovert haben, sprechen für sich. Deshalb lieben auch die Rockfans unter meinen Freunden dieses Album. Wegen »You Got It« von Etta James oder »Why Am I Treated so Bad« von den Soul Stirrers. Hier verschwimmen also die Grenzen. Glücklicherweise nicht nur in diese eine Richtung. Die Compilation ist eine Hommage an die breite Soundpalette des Chicagoer Chess-Labels, von dem (und Sublabels) die 20 Tracks stammen. Klassischer Soul und Funk wie Eve Barnums »Please Newsboy« oder Little Miltons »More and More« reihen sich neben das jazzig-funkige »Soul Vibrations« von Dorothy Ashby und das eher im Jazz ressortierende »Baltimore Oriole« von Lorez Alexandria. Breit und tief zugleich – mit 40-seitigem Booklet!
Das vergangene Jahr sah viele Compilations, die den Unergegangenen der Soul-, Funk- und Disco-Geschichte späte Ehre zuteil werden lassen: »The Real Sound of Chicago & Beyond – Underground Disco & Boogie compiled by Mr Peabody Records« (bbe/Hoanzl) gehört dazu. CD eins, die eher das soulig-poppige Spektrum abdeckt, wird sich dem Hörer sofort erschließen, einzelne Songs hätten eigentlich die Hitparaden okkupieren müssen – aber diese Welt ist eine ungerechte. Lady Gwendolyns »Shout II« hätte das verdient. CD zwei, eher dem Disco-Mix zuzuordnen, erschließt sich nicht so rasch, lässt einen dafür aber so schnell nicht mehr los, die Hooks sind gut ausgelegt. Im Wesentlichen wird die Sound-Palette von den Mittsiebzigern bis zu den Mittachtzigern abgedeckt, was auch Exkursionen in den Afro-Latin-Funk beinhaltet wie im Fall von Dan Boadi And The Africa Internationals.
Durchwegs mit bekannten Namen bestückt ist »Superfly Vol. 2 – Soulful Tunes from the Past, Present and Future« (Sunshine/Superfly), die einen weiten Bogen von wenig kompilierten Tunes aus knapp vier Jahrzehnten spannt. Erstaunliche Zeitsprünge – zum Beispiel vom Vorjahres-Retro-Projekt von John Legend & The Roots (»Wake Up Everybody«) zurück zum klassischen Soul der Detroit Emeralds mit »Set It Out« (1977) – funktionieren im Konnex funky Grooves erstaunlich glatt. Die Zusammenstellung von Uptown Empire, Barry White, Mayer Hawthorne, Stereo MC’s oder Latimore ist naturgemÃ¤ß etwas austauschbar, dennoch tanzt kein Song aus der Reihe.
Universal veröffentlicht Meilensteine des Stax/Volt-Katalogs neu – und ergänzt die ursprünglichen Longplayer mit diversem anderem Material. Im Fall des erstem Albums (1972) der DRAMATICS, »Whatcha See Is Whatcha Get« (Stax Remasters/ConcordMusic), gibt’s hintendran gleich noch das zweite Album des Vokal-Quintetts aus Detroit, das mancher dem ersten vorziehen mag. Dicht arrangierte, stimmlich und musikalisch packende Kompositionen wie »Get Up And Get Down«, »The Devil Is Dope« oder das damals (wie heute) avantgardistische »In the Rain« stehen neben Love- und Reality-Songs, die allesamt Geschichte geschrieben haben. Während die Dramatics selbst bei Stax ihrem Stil, der sich auf die Temptations und die Four Tops bezog, treu blieben, klingen die anderen »Stax Remasters«-CDs nach Southern Soul: SHIRLEY BROWN hatte mit »Woman to Woman« 1975 einen Riesenerfolg, den sie nie mehr wiederholen konnte. Es ist eines jener Alben, das man haben muss. Horns und Arrangements erinnern gelegentlich an Hi, der Drummer war Al Jackson, der auch wesentlich für den Sound und Durchbruch Al Greens verantwortlich war. Leider war man bei der Auswahl der Bonus-Tracks etwas unsensibel.
RUFUS THOMAS, Ahnherr des Funk, lieferte mit seiner Tochter Carla Anfang der Sechziger die ersten großen Hits für Stax, kam dann etwas aus der Mode und aufs Abstellgleis. Zu Unrecht, wie er dann mit Album »Do the Funky Chicken« 1970 und Klassikern wie dem unzweideutigen »Sixty Minute Man« bewies. Erfreulich alle acht Bonus-Tracks: »Boogie Ain’t Nuttin« (Part 1 & 2) mit den dominanten South Memphis Horns erinnert an Defunkt in seinen besten Momenten – bloß dass das hier ein paar Jahre früher war. Weiters in der Stax-Remasters-Serie erschienen: JOHNNY TAYLOR mit »Taylored in Silk« und THE STAPLE SINGERS mit ihrem wohl bekanntesten Stax-Album »Be Altitude. Respect Yourself«.
Contemporary Soul – R’n’B geschrieben:
LEDISI, US-amerikanische Sängerin, bringt mit ihrem neuen, sechsten Album »Pieces of Me« (Verve/Universal) die von »Lost & Found« (2007) und »Turn Me Loose« (2009) gewohnte Qualität. Feminine, aus dem Soul der späten 1980er und 1990er schöpfende, gefühlvolle Lieder, die Generation nach Anita Baker sozusagen. Ich bin mit jenen Songs, die Bläser-Arrangements haben, glücklicher; hätte man einen richtigen Drummer engagiert, wäre ich vollends glücklich mit diesem zeitgenössischen Soul-Album.