zement_rohstoff
Zement

»Rohstoff«

Crazysane Records

Das Würzburger Neo-Kraut-Duo Zement, bestehend aus Philipp Hager und Christian Büdel, legt mit »Rohstoff« sein mittlerweile drittes reguläres Studioalbum vor und erweitert damit abermals sein Repertoire an hypnotisierenden Grooves und Melodien. Bisher erschienen die Alben »Zement:Werk« und »Klinker«, dazwischen gab es noch einige Tapes, auf denen Zement ihren experimentelleren Tendenzen nachgingen, sowie das Live-Album »Schleifen«. Wie das Artwork der drei Studioalben wurde auch die Musik selbst von Album zu Album immer bunter. Motorische Kraut-Beats, flächige Synths und darüber perlende Gitarrenakkorde stellen zwar nach wie vor das Grundrezept für die meisten Tracks dar, Zement schaffen es aber, stets abwechslungsreich und interessant zu bleiben, sei es durch variierende Tempi oder neu hinzukommende Klangfarben.

Auf »Rohstoff« macht sich auch so deutlich wie nie zuvor (bis auf vielleicht das Remix-Tape »Klinker auf XLR«) ein Einfluss elektronischer Musik bemerkbar. Die Tracks funktionieren zwar einwandfrei in einem Rock-Kontext, würden aber in einem Club oder auf einem Rave keineswegs fehl am Platz wirken. Der erste Song »Goa« stellt diese Beziehung auch gleich im Titel her, klassischen Psytrance darf man sich hier zwar nicht erwarten, aber das Vocoder-Sprachsample, die Gated Synths und der Mid-Tempo-Groove des Stückes legen nahe, dass es sich nicht um eine bloße augenzwinkernde Titelgebung handelt. »Soil« fährt das Tempo hinauf und hinterlässt die Hörer*innen nach einer wilden Fahrt schon etwas mehr als drei Minuten später wieder im langsamen Groove von »Seine« verschnaufen. Schlagzeug und Bass-Synth beschwören hier einen klebrigen Morast herauf, aus dem sich langsam ein Synth-Drone und eine verzerrte Gitarre herausschälen. »Kleiner 3« beschließt die erste Seite des Albums, blubbernde Sequencer-Lines bieten hier einen Kontrast zum frei agierenden Schlagzeug und der Gitarre sowie dem von Gast Martin Pirner gespielten Tenorsaxofon.

Die zweite Seite startet mit dem flotten und passenden »Zunder«. Auch hier kommt wieder Pirners Tenorsaxofon zum Einsatz und erzeugt zusammen mit dem sehr groovigen Schlagzeugbeat einen treibenden Klangstrom. »Entzücken« ist mit etwas über zehn Minuten der längste Track des Albums und bietet all das, was Live-Auftritte der Band so mitreißend macht. Hier zeigen die beiden, dass sie Meister im langsamen Aufbauen von Jams sind. Auch hier ist ein eindeutiger Einfluss elektronischer (Club-)Musik spürbar, vor allem darin, wie die Band mit dem Hinzufügen und Wegnehmen rhythmischer Elemente umgeht. Der Titel scheint ebenfalls wieder sehr passend gewählt: eine perfekte Nummer, um um zehn Uhr morgens mit einem verklärten Lächeln auf einer Afterhour-Tanzfläche vor sich hin zu grooven. »Ecke 54« bringt mit seinen ungeraden Rhythmen wieder die experimentelle Seite Zements zum Vorschein. Der abschließende Track »Atem« ist nicht nur eine mögliche Referenz an Tangerine Dream, sondern stellt mit seiner grandiosen Steigerung auch einen würdigen Abschluss des Albums dar. Ausgehend von einem Zement-typischen Mid-Tempo-Motorik-Beat windet sich das Duo zu einem Sound-Exzess empor, der in seiner Klanggebung eine Vielzahl an Assoziationen von Free Jazz bis hin zu Jam-Bands aufmacht und letztendlich einfach eindeutig nach Zement klingt. Moderne, tanzbare, handgemachte psychedelische Musik der allerbesten Sorte!

Home / Rezensionen

Text
Ulrich Musa-Rois

Veröffentlichung
11.12.2021

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