stuermer_2.jpg
F.S.K.

»Stürmer«

A-Musik

Vor der letzten Veröffentlichung »Freiwillige Selbstkontrolle« (2008) war man schon sehr lange gewohnt das bayrische Quartett nur noch F.S.K. zu nennen. Mit der Wiederveröffentlichung ihrer ersten Platte in LP-Länge, »Stürmer« (1981), tritt der ursprüngliche Bandname schon wieder ins Bewusstsein. Verstärkt wird das noch durch eine unlängst zum 30-jährigen Bandjubiläum erschienene, ausgezeichnete (auf 1.000 Stk. limitierte) Best of-3CD-Box mit dem Titel »Freiwillige Selbstkontrolle ist ein Mode & Verzweiflung Produkt«. Eine Besonderheit bei diesen Releases ist, dass sowohl bei der Neuauflage von »Stürmer«, als auch bei der Box ein skug-Kollege seinen Senf dazugegeben hat: NDW-Experte Frank Apunkt Schneider liefert auf acht DIN A4-Seiten die elaborierten Liner Notes zu »Stürmer«, Chefredakteur Didi Neidhardt unterzieht in einem fetten Booklet mit genau 23.303 Zeichen den Gesamtwerk-?berblick einer (nicht nur) philosophischen Analyse. Aber zurück zu »Stürmer«, einer Platte die ihren Titel einem (nie erschienen) Roman von Berg Lauchstaedt verdankt, die ursprünglich auf Alfred Hilsbergs ZickZack-Label erschienen ist, und in der damaligen Rezeption bestenfalls an ihren äu&szligersten Rändern der NDW zugerechnet wurde. NDW-Bands begannen nämlich zu dieser Zeit textlich in immer hohlere Phrasen abzudriften, diesen wollte das Quartett um Thomas Meinecke und Michaela Melián einen elitären Popentwurf entgegensetzen, der sich vor allem durch eines auszeichnet(e): maximale Distanz, oder, besser ausgedrückt, teilnehmende Beobachtung, so auch der Titel einer vor »Stürmer« veröffentlichten EP, das zugleich den Arbeitsprozess des musikalischen Arms der seit 1978 bestehenden sektiererischen Zeitschrift »Mode & Verzweiflung« bezeichnet(e). Die vier Multiinstrumentalisten wollten also das genaue Gegenteil einer im Popbetrieb gern eingeforderten scheinbaren Authentizität. Materialästhetisch ist die Differenz zur NDW noch gar nichts so gro&szlig (wie sie im Laufe der Bandgeschichte noch werden sollte), aus ästhetischen Gründen (Meinecke) verweigerten sie sich einem echten Schlagzeug und vertrauten lieber der unbestechlichen Rhythmusbox, deren Gleichförmigkeit den verordneten Spa&szlig der frühen 1980er-Jahre konterkarierte. In 19 kurzen Stücken mit wechselndem Gesang trifft dann etwa ein liebliches »Hallo wie geht’s« im Refrain des gleichnamigen Stücks auf Zeilen wie »Dies ist der aufrechte Gang / Fröhliche Menschen im Herzschlag der Zeit / Bringen auch dir neue Frömmigkeit / Lebenslang voll Tatendrang ??«. Andere Songtitel sind »Otto Hahn in Stahlgewittern», »Ostblock Girl«, »Ab nach Indien«, »Mogadischu« oder – als letztes Stück »Ein Kind für Helmuth« (»Komm / Wir machen Liebe / Und schenken dem Kanzler ein Kind ??«). Ein Song, den ich mir auch in der Plattensammlung von Thilo Sarrazin gut vorstellen könnte, wenn es auch heute »Ein Kind für Angela« hei&szligen würde. Da kann schon mal Verwirrung entstehen. Meinen die das ironisch? Das ist ob einer verbalen Doppeldeutigkeit in vielen Passagen gar nicht eindeutig zu entwirren, und ist zu einem nicht geringen Teil für die Spannung in den Stücken verantwortlich. Aus heutiger Sicht ist »Stürmer« ein noch immer aufregendes Dokument aus der Zeit des auslaufenden Kalten Krieges, das bis heute nichts an Relevanz eingebü&szligt hat.

Home / Rezensionen

Text
Stefan Koroschetz

Veröffentlichung
30.12.2011

Schlagwörter


favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Nach oben scrollen