Foto: Kevin Drew
Foto: Kevin Drew

Paperlapop oder Vom Lob des ewig Gleichen

Alles wie gehabt am Planeten Pop - und das ist gut so. Neuerscheinungen von Kevin Drew, Midlake, Maximo Park, Broken Bells & Wild Beasts

Ich wurde in den 1980er Jahren musiksozialisiert, darum gibt es für mich eine klare Demarkationslinie: Keyboards und Synthesizer sind Pop, Gitarre ist Rock. Klingt die Gitarre wie ein Synth, ist es auch Pop. Ein Dazwischen gibt es nicht. Nicht im Pop zumindest, denn Pop ist die Wiederkehr des ewig Gleichen, darum ja auch so hübsch massentauglich. Trotzdem wird immer wieder gejammert, dass es spannenden Pop vielleicht früher mal gegeben habe, dass Pop heute aber eine Art Mainstreamerzeugungsmaschine sei, zugrunde gerichtet von Castingshows, Marketingkonzepten und Zielgruppensegmentüberlegungen. Zugleich gehört es natürlich zu jedem Kulturphänomen dazu, dass man alle paar Jahre herummeckert und sich fragt, wie denn die Dinge nun stehen. »SZ«-Autor Karl Bruckmaier hat es mit seinem Buch »The Story of Pop« auch gerade versucht, wobei er aber Pop und Rock zusammenmanscht und alles für kreativ hält, was irgendwo an den weltkulturellen Rändern von Pop aus- und herumfranst. Das ist auch so, hier ereignen sich die spannendsten Entwicklungen, aber ist das dann nicht viel eher »The Story of the Borderlands of Pop«? Denn Pop ist Pop. Pop muss nichts können. Pop ist solange in Ordnung und gesund, so lange es hin und wieder Songs gibt, die nichts besser machen als ihre Vorgänger und die man trotzdem dafür liebt. Weiß der Kuckuck warum. (Im Ûbrigen wollen wir nicht zu sehr auf Bruckmaier hinpieksen, dem armen Mann hat der Verlag nicht verraten, dass Diedrich Diederichsen (der Diedrich Diederichsen) auch gerade ein einschlägiges Buch veröffentlich hat. »Ûber Pop-Musik« heißt das Teil, aber dazu sei hier wohlfeil geschwiegen, darüber wird sicher demnächst ein anderer skug-Autor weise Worte zu verlieren wissen.)

The Mexican-Aftershow-Party
kevin drew.jpgBack to the heart of pop. Nehmen wir die neue CD von Kevin Drew, »Darlings«. Kevin Drew ist neben Brendan Canning Gründungsmitglied der kanadischen Band Broken Social Scene. Nach einem eher mauen Debut als Instrumentalband hatte man die großartige Idee, die Band als großes Happening anzulegen und möglichst viele Freunde dazu einzuladen. Diversität in seiner lässigen Fassung also, was denn auch herrlich bunte Alben erzeugte, die in alle möglichen Richtungen ausfransten. Manchmal zickig und verspielt, viel öfter aber mit einem eingängigen melodiösen Trick, der das ganze Ensemble glücklich vereinte (vor allem die ewig hinausgezögerte Kadenz). Dieser Trick war, wie sich bereits beim 2007 erschienen Beinahe-Solo-Album »Spirit if« herausstellte, ein Kevin-Drew-Trick. Brendan Cannings Beinahe-Solo-Ausflug von 2008 (»Something for all of us«) präsentierte sich viel mehr als scheppernde Ensembleleistung. Auf »Darlings« nun ist der experimentelle Ballast komplett weg, ebenso der flirrende Soundteppich, den das Ensemble ins Spiel brachte. »Darlings« ist lupenreiner Pop, ein wenig verträumt, ein wenig verspielt, ein wenig zu glatt gebügelt. Fans der Band werden die Nase rümpfen, aber es hat auch sein Gutes. So lassen sich vielleicht auch neue Fans anjunken. Und den alten Fans sei gesagt: es klingt immer noch ein bisschen nach Broken Social Scene. Hallelujah!

Into the woods and beyond
midlake.jpgOder nehmen wir »Antiphon« von Midlake. Midlake ist eine Band nordtexanischer Studenten, die nach eher holprigen Gehversuchen mit sperrigem Alternative-Pop die glorreiche Idee hatte, es mit einstimmigen Gesang und einer folkloristisch anmutenden Instrumentierung zu versuchen. Das Resultat, »The Trials of Van Occupanther«, klang (und klingt) ein bisschen so, als hätte man im 14. Jahrhundert schon Synthesizer und Gitarren gehabt. Eine Art paramittelalterlicher Folkpop also, bei dem auch die Melodieseligkeit nicht zu kurz kommz. Zum Glück nicht ganz so hemmungslos erweckungshysterisch wie bei Mumford & Sons, sondern mit einem leicht psychedelischen Einschlag. Das Resultat war in der Tat großartig. Der Nachfolger (»The Courage Of Others«) scherte ein bisschen mehr ins Psychedelische aus (während man sich zugleich am Cover zur fröhlichen Zeitreise bekannte), aber es klappte mit der Melodieseligkeit nicht so recht. Das aktuelle Album »Antiphon« ist, obwohl der eigentliche Bandleader Tim Smith während der Produktion des Albums ausgestiegen ist, eine Rückbesinnung zum hochgejubelten »Van Occupanther«. Man gibt sich wieder schlichter in der Instrumentierung, hat zwischendurch ein paar psychedelische Ausrutscher (die irgendwie unterkühlt wirken), aber en gros ist erneut ein hervorragendes Album gelungen, dessen eigenwillige Klangwelt die Hörerin sofort einhüllt. So simpel kann Pop sein, wenn er, nach einer Phase der Läuterung allerdings, wieder ganz bei sich ist. Aber wer weiß, vielleicht hat sich die Band genau deswegen zerfranst?

Irdische Genüsse, revisited
maximo.jpgNoch so ein Fall: Die britische Band Maximo Park um Sänger Paul Smith legte im Jahr 2004 (als Gitarrenpop, der sich selbst für Rock hielt, insgesamt ein kräftiges Lebenszeichen von sich gab) mit »A Certain Trigger« einen Traumstart hin, melodienseliger, kraftvoller Poprock, den man unter der Dusche mitsang, im Autoradio laut drehte und der trotzdem keine Mainstreamanbiederung bedeutete. Dass gleich noch eine üppige, ebenso tolle EP mit »Missing Songs« nachgelegt wurde, machte Hoffnung auf mehr. Dieses Mehr kam aber nicht wirklich. Der Nachfolger »Our Earthly Pleasures« war noch passabel, auf den beiden CDs danach dünnten Kraft und Elan noch mehr aus, ein Niedergang. Es folgte ein Soloalbum von Paul Smith und eine Schaffenspause, die nun mit »Too Much Information« (großartig hässliches Cover) ad acta gelegt wurde. Gleich beim ersten Track ist das Feeling des Debuts wieder da, dann verfranst sich die Sache, ist aber nicht annähernd so monoton und verkrampft um eine Bestform bemüht wie auf den Vorgängern. Die Songs, die auf »Too Much Information« nicht ins Schema passen, lockern die Sache auf, der Rest ist ein Fest für die Fans der ersten Stunde. Faszinierend, dass es im Pop manchmal so schwer ist, nochmal genauso lässig und energetisch zu klingen wie in der ersten Stunde. Dabei müsste man doch nur dasselbe Rezept erneut kochen. Ist aber nicht so und klappt auch nicht (und darum, huuhuu, ist Pop eben doch nicht nur trivial).

Glockenhell & Glockenhose
brokenbells.jpgWir dringen noch tiefer in die schillernde Welt des Pop. Broken Bells ist eine Kollaboration der Herren James Mercer und Danger Mouse. Beide Herren sind durchaus bekannt. Mercer hat mit The Shins sehr unterschiedliche Alben aufgenommen, entweder herrlich verspielt und von seiner glockenhellen Stimme angenehm dominiert oder irgendwie zickig und von seiner glockenhellen Stimme nerventötend dominiert. Danger Mouse hingegen wurde durch sein »The Grey Album« bekannt, das die Beatles mit Jay-Z mixte bzw. mash-upte (übrigens immer noch komplett online abrufbar und immer noch extrem hörenswert). Danach schnappte sich Herr Mouse einen unbekannten Rapper namens Cee-Lo Green und spielte mit ihm unter dem Bandnamen Gnarls Barkley »Crazy« ein, einen jener ultimativen Sommerhits, den man danach Jahrzehnte lang nicht mehr hören kann. Das zweite Album der beiden Herren versank ohne Sommerhit im Nirwana, doch in James Mercer fand Danger Mouse ohnehin einen viel besseren Partner, wie sich schon auf dem Debüt von 2010 zeigte. Dieses klang (und klingt), als hätten die Beiden nie etwas anderes getan, als melodiesatten, dezent tanzbaren Elektropop zu machen, der immer eine Spur zu selbstverliebt klingt, um wirklich mainstreamtauglich zu sein. Der neue Streich »After the Disco« präsentiert sich sogar noch eine Spur stimmiger, dass im Grunde nur noch der Sommerhit fehlt, um diese Kollaboration in die Hitparaden zu hieven. Das ist auch ein bisschen der Fluch an der Sache, nicht von ungefähr fielen einem anderen Rezensenten die BeeGees als Referenz ein. Das ist zwar ein bisschen gemein, aber nicht ganz daneben.

Let’s schunkel again
wildbeasts.jpgUnd da wir schon im Reich des tanzbaren Elektropop mit einem Faible für glockenhelle, fast ins Falsett abdriftende Stimmen sind (bei den Kindern von Jimmy Summerville und Klaus Nomi also), dann können wir auch gleich noch die Wild Beasts und ihr neues Album »Present Tense« ins Boot holen. Auch diese wilden Biester begannen mit »Limbo, Panto« eher durchwachsen, irgendwo zwischen Hysterie, Dance und Elektropop oszillierend. Auf »Two Dancers« war die Hysterie plötzlich weg, stattdessen rauschte ein Hauch der Gelassenheit durch das Album. Man nahm sich Zeit, ließ die Songs wachsen und knüpfte eine fruchtvolle Synthese aus Popmeditation und waberndem Groove. Ein wirklich hervorragendes Album, stimmiger als das damals so gehypte Gastspiel von Antony Hegarty bei Hercules and Love Affair. Das darauffolgende Album »Smother« versuchte an diese Grandezza anzuknüpfen, verpasste aber das Wesentliche, eben den gelassenen Zugang. Stattdessen klangen die Songs ein wenig aufgeräumt und zurechtgezimmert, bemüht eben. Das neue Album »Present Tense« ist dort großartig, wo die Burschen einen halben Schritt zurückgehen (etwa auf »Nature Boy« oder »New Life«) und die Qualität ihres Sängers Hayden Thorpe würdigen, nämlich mit seiner großartigen, mit Timbre vollgesogenen Stimme einen Song gravitätisch zu tragen. An den anderen Stellen wird leider immer noch eher gebastelt als geschwelgt. Dennoch ein hörenswertes Album. Wenn man, wie eingangs skizziert, Pop als die glorreiche Wiederkehr des ewig Gleichen versteht. Nicht nur an den innovativen Rändern, auch im Herzen von Pop geht manchmal die Sonne auf.

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Karl Bruckmaier
»The Story of Pop«
März 2014, Leinen, gebunden, 352 Seiten
ISBN: 978-3-86774-338-9
Preis: EUR 29,99

Kevin Drew: »Darlings« / City Slang

Midlake: »Antiphon« / Bella Union

Maximo Park: »Too Much Information« / Universal

Broken Bells: »After the Disco« / Columbia/Sony

The Wild Beasts: »Present Tense« / Domino

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