Bernhard Lang © Ramin Mizani
Bernhard Lang © Ramin Mizani

Mundstückchen und Kunststückchen

Ein Wagnis: Wir begeben uns in die Höhle des klassisch geschulten Löwen mit avantgardistischen Avancen - ein kleiner Rundgang durch aktuelle Veröffentlichungen zeitgenössischer Musik mit Erin Gee, dem elole-Klaviertrio, dem Trio Catch, Philip Corner, Peter Ablinger und Richard Reed Parry.

Bei einem Gespräch mit einem umtriebigen Förderer der heimischen Musikkultur kam unlängst die Sprache auf die sogenannte Avantgarde. Ein paar bekanntere Namen fielen (meine Lippen bleiben versiegelt), gefolgt von einem Schmähgewitter sondergleichen. Der Mann tobte: Wer sich da aller immer noch als avantgardistisch oder experimentell geriere, wo doch in Wahrheit nur alter Wein in neue Bierdosen geleert würde! Die wirklich wilden Hunde, die gäbe es kaum noch in der zeitgenössischen Musik! Schon gar nicht unter den altbekannten Namen! Naja, gut, das mag schon sein, aber ist das nicht ebenso ein überkommener Begriff von Avantgarde, dass es immer noch die Bildungsbürger von ihren Vorzugsabokonzerthausstühlen reißen muss? Die tun sich das ja sowieso nicht mehr an – und umgekehrt wollen viele zeitgenössische Künstler doch lieber das machen, was ihnen – und ihrer Kunst – entspricht.

gee.jpgDas ist bei den »Mouthpieces« von Erin Gee eher traditionell – natürlich in entsprechend zeitgenössischem Kontext verstanden. Die sechs Stücke, eingespielt mit dem Klangforum Wien, dem ORF Radiosymphonieorchester und dem Ensemble PHACE, bieten hübsch ziselierte orchestrale Rahmen für die vokalen Figuren der amerikanischen Komponistin und Vokalartistin. Für sich genommen sind derartige Mundkunststückchen zwar nicht unbedingt neu, von Meredith Monk bis Lauren Newton war hier schon ähnlich Virtuoses (und Schrilles) zu hören, aber selten mit einer derart maßgeschneiderten orchestralen Einpassung. Erfreulich wendig und einfallsreich wird die alle Register ziehende Leadstimme (Klicken, Plappern, Singen, Tirilieren …) hier umbrandet, allerdings bleibt das Orchester (bzw. das Ensemble) durchwegs in der Rolle des Sekundanten, was auf Dauer fast ein wenig monoton wird. Spannender wäre es vielleicht gewesen, wenn die Komponistin in Frau Gee die Vokalartistin mehr herausgefordert hätte, als umgekehrt ausschließlich der Vokalistin eine orchestrale Bühne zu zimmern.

Vitale Monade und clevere Werkauswahl

elole.jpgNoch mehr zeitgenössische Musik in traditionellem Kontext bietet das elole-Klaviertrio mit seiner neuen CD »beziehungsWeise«. So arbeiten sich etwa zwei der vier versammelten Kompositionen kunstgerecht an Vorgängern ab, Bernhard Lang an Franz Schubert und Chris Newman an Beethoven. Wobei es sich bei Bernhard Lang um Kapitel XX seiner mittlerweile 25-teiligen »Monadologie« handelt, die auf maschinellen Bearbeitungen vorhandener Partituren beruht. Witzigerweise wirkt gerade dieses Stück äußerst vital und unverbraucht, was womöglich am Spiel mit dem minimalistischen Gestus liegt. Benjamin Schweitzer wiederum versuchte den Sprachgestus Robert Walsers im Sinne eines »extensiven« Werktypus in seine Komposition einfließen zu lassen. Michael Maierhofs Klangverfremdungen weisen dagegen in eher jüngere Kapitel der zeitgenössischen Musik. Alle Stücke wurden – mit Ausnahme von Benjamin Schweitzers »Marraskuu« – speziell für das elole-Klaviertrio komponiert und werden von diesem entsprechend kompetent umgesetzt.

triocatch.jpgEbenso kompetent ist auch das Trio Catch, erneut ein Klaviertrio, nur dass anstelle der Violine eine Klarinette tritt. Auch eine klassische Besetzung in der Kammermusik, hier jedoch ausschließlich mit zeitgenössischen Komponisten umgesetzt. Bei einem inoffiziellen Virtuositätswettbewerb fiele es schwer, den Grand Prix dem einen oder anderen Trio zu überreichen, dennoch ist es so, dass die drei Damen vom Trio Catch ihr Debut »In Between« auf dem sehr renommierten Label Col Legno feiern. Woran das liegt? Vermutlich an der cleveren Werkauswahl, die all jene bestens bedient, die mit dem Kosmos der zeitgenössischen Musik ein wenig vertraut sind. Es gibt Ziseliertes von Beat Furrer, Dramatisches von Georges Asperghis, Meditatives von Morton Feldman, Temperamentvolles vom Ungar Márton Illés, Beschauliches vom Neoklassizisten John Bull und Postapokalyptisches von Mark Andre. Zwei Miniaturen von Frank Donati und ein fernöstlicher Brückenschlag von Younghi Pagh-Paan runden die Sache kompetent ab. Ja, so stellt sich der Konzerthaus-Connaisseur sein zeitgenössisches Potpourri vor.

Ein Lebenswerk in Phasen
corner.jpgEinen komplett anderen Leckerbissen bietet die CD »Lifework: A Unity«. Das Ensemble Hodos spielt Kompositionen des aus dem Fluxus-Umfeld stammenden Amerikaners Philip Corner. Corners Output reicht zurück bis in die späten 1950er und ist fast unüberschaubar. Das Ensemble Hodos fokussiert sich auf vier Stücke aus den Jahren 1960 bis 1975, eine Phase, die Corner selbst als »World« bezeichnet hat (nebst »Culture«, »Mind«, »Body«, »Spirit«). Auch wenn das jetzt nach ganzheitlicher Selbstverklärung klingen mag, das Reizvolle an Corners Kompositionen ist, dass sie bereits zum Zeitpunkt ihres Entstehens nur selten in den Rahmen gepasst haben (im Booklet zählt der Komponist eine ganze Suada an Schmähungen auf, die ihm im Laufe der Jahre nachgeworfen wurden), was in der Retrospektive eine eigenwillige Zurechtrückung ergibt. Corner, so scheint es, hat immer schon alles Mögliche ausprobiert, ohne sich dabei einer gerade angesagten Strömung anzuschließen – und gibt sich auch in der Erläuterung seiner Werke eher achselzuckend als hochtrabend.  Eben darum klingt »Lifework: A Unity« streckenweise wie ein repräsentativer Rückblick in die zeitgenössische Musik Mitte des 20. Jahrhunderts, mit starkem Fokus auf die meditative Ausrichtung. Und selbst dort, wo methodische Patina zu hören ist, klingt »Lifework: A Unity« hörenswert, weil eben doch eine Spur anders gestrickt. Was entweder ein Beleg für die bislang zu wenig beachtete Güte des Komponisten ist oder dafür, dass auch in der zeitgenössischen Musik heißer gekocht als im historischen Rückblick gegessen wird.

ablinger.jpgBesonders arg wird es mit den »Augmented Studies« von Peter Ablinger. Der steirische Komponist hat sich schon mehrfach als bedingungsloser Freund der Redundanz erwiesen, zuletzt etwa in seinen durchaus eingängigen »Regenstücken« für Klavier (erschienen auf God Records). Die »Augmented Studies« sind jedoch Stücke für 1, 3, 16 und 22 Flöten, gespielt allerdings nur von einem einzigen Flötisten, dem in Berlin ansässigen Erik Drescher. Auf jedem Stück wird eine andere Variante des Zusammenspiels von Redundanz und Vervielfältigung erprobt, um damit jeweils eine völlige Eigenständigkeit zu erreichen. Schickt das letzte Stück etwa 22 Flötenstimmen in einen diatonischen Cluster, so versucht sich das erste Stück an einer Art mikrotonalem Kanon. Das ist ebenso stringent wie mitunter an die Grenzen des Erträglichen gehend umgesetzt. Besonders das titellose dritte Stück, eine konsequent durchexerzierte Tempiverschiebung (wie man das auch von Steve Reich kennt), begibt sich im Laufe seiner 22 Minuten in die Niederungen des angewandten Hörterrors.

Endlich Mainstream!
parry.jpgNach so durchgeschüttelten Ohren retten wir uns lieber in den wohlgefälligen Klassikmainstream. Nachdem bereits Bryce Dessner und Jonny Greenwood ihr Komponistendebut bei Deutsche Grammophon feiern durften, ist nun Richard Reed Parry von Arcade Fire dran. Aber während Dessners und Greenwoods Ausflüge eher mager ausfielen, gelingt Parry ein großartig eklektizistisches Werk.  »Musik for Heart and Breath« versteht sich wortwörtlich als Musik für die inneren Organe. Die Musiker tragen Stethoskope und lauschen mit diesem der eigenen Herzfrequenz der Musiker, die den Rhythmus angibt. Dasselbe Spiel übrigens auch mit dem Ein- und Ausatmen. So gegenständlich dieser Zugang ist, so gegenständlich ist auch die Musik, die Parry dafür komponiert. Stellenweise darf man sich an den 20 Jahre betagteren Klassikausflug eines gewissen Joe Jackson (»Will Power«) erinnern, aber das hier ist eben doch um einiges konziser konzipiert und umgesetzt.

Alles in allem also dominiert in der zeitgenössischen Moderne … nichts eigentlich. Es herrscht Stilpluralität und ein Karneval der Zugänge. Und warum auch nicht? Es behauptet ja heutzutage kaum noch ein Komponist, er hätte die zeitgenössische Musik neu erfunden. Dieses Privileg käme doch eher partizipativen Zugängen zu und nicht diesem alten Spiel von Autorenkunst und geflissentlicher Interpretation. 


Erin Gee: »Mouthpieces« / Col Legno
Trio Catch: »In Between« / Col Legno
Elole Klaviertrio: »Beziehungsweise« / Querstano
Ensemble Hodos/Philip Corner: »Lifework: A Unity« / Umlaut Records
Peter Ablinger: »Augmented Studies« / World Edition

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