Foxygen © Eric Luyten
Foxygen © Eric Luyten

Mit voller Sternenkraft ins Gestern

Ein kurzer Streifzug durch aktuelle Neuerscheinungen im Pop mit Tonträgern von Peaking Lights, Golden Diskó Ship, Mazes, Foxygen, We Were Promised Jetpacks, Bernholz.

ccstern1.jpgOffenbar gibt es auch im mainstreamfernen Popzirkus so etwas wie eine Vorweihnachtszeit, in der am Hungertuch nagende Labels auf erhöhte Kaufbereitschaft hoffen und darum eifrig CDs in die Welt setzen. Ganz schön entzückend ist zum Beispiel »Cosmic Logic« von Peaking Lights (Weird World), einem aus San Francisco stammenden Ehepaar namens Aaron Coyes und Indra Dunis. Mit »Telephone Call« hat man sogar einen netten kleinen Hitkandidaten auf Lager, das Album ist trotzdem nur in kleinen Dosen genießbar, denn der charmant blecherne Gesang von Frau Dundis ist immer ganz bei sich selbst, sprich: er gleicht wie ein Chamäleon dem anderen. Sogar die Melodien schrammen an der Austauschbarkeit vorbei. Reinhören sollte, wer auf Retroplastikpop steht, der irgendwo zwischen Tears for Fears und Depeche Mode herumplantscht.
Eine ähnliche Soundsprache finden wir bei »Invisible Bonfire« von Golden Diskó Ship (Spezialmaterial), ccstern11.jpg aber viel weniger handgeschnitzt und in der Gestik wesentlich freier, epischer, verspielter. Golden Diskó Ship ist die Berlinerin Theresa Stroetges, die offenbar jenen Pfad zwischen Pop, Dance und Experiment betritt, der in letzter Zeit immer öfter ausgetrampelt wird – zuletzt etwa von FKA Twigs. Stroetges ist aber erdiger, kräftiger, mehr im Folk als im Soul zu Hause. Zwischendurch flackern psychedelisch anmutende Synthiesolos hervor, es sind also auch hier alle Grenzbalken zwischen den Epochen hochgezogen, außer vielleicht der Grenzbalken, der das Vertrauen Stroetges in die eigene Stimme bewacht. Die wird nämlich auffallend oft bis zum Unkenntlichkeit verzerrt. Ansonsten aber ein hübsch verspieltes, ein irrlichterndes Album.

Von den Holzfischen zu den Masters of Cool

ccstern3.jpgApropos vergangene Epochen. Ebenfalls ein fröhliches Retroabenteuer ist das Album »Wooden Aquarium« der britisch-amerikanischen Indiepopper Mazes. Wir hören einen etwas aus der Zeit gefallenen Stoner Rock, mit ätherisch-poppigen Allüren – als wäre Josh Homme (Queens of the stone age) bei Sea & the Cake eingestiegen. Aber die Referenzliste hier ist lange, was einerseits an den hübsch verspielten Einschüben von Gitarrist Jack Cooper liegt, andererseits am Gesang desselben Mannes, der an manchen Passagen ganz entfernt nach Paul McCartney klingt. Und als wäre das nicht genug, klingt die Gitarre auf »Explode Into Colo(U)Rs« astrein nach Isaak Brook, was die eine hübsch schrille Kombination ergibt: The Beatles meet Modest Mouse! Ein eigenwilliges, nettes Album, in das man sich einkuscheln kann wie in eine Bettdecke, die mit lauter Retromotiven bedruckt ist.

foxygen.jpg Was Mazes zur rund-um-beschallten Coolness fehlt, das findet sich bei den Herren Jonathan Rado und Sam France alias Foxygen. Auch hier dümpeln wir knietief durch den Retrosumpf, aber mit herrlicher Achselzuckattitüde, die vor einer schamlosen Mick Jagger-Gesangsreinkarnation ebenso wenig zurück schreckt, wie vor hingerotzten LoFi-Sounds, psychedelischen Exzessen und Holzhammerexperimentalpop. Das Geheimnis ist, dass Foxygen ihren 1970er-Jahre- Rock nicht akademisch nachbasteln wie so viele zu spät gekommene Musikstudenten, sondern ihn tatsächlich zelebrieren (ihn »leben« würde dann doch ein wenig kitschig klingen). Die Attitüde zählt, nicht das klinisch saubere Klangdestillat. Dementsprechend rotzfrech spucken sie ihren Retrorock der geneigten Hörerin regelrecht ins Gesicht. Ergo ist das Resultat auch dann noch cool, wenn es wie auf dem neuen Doppelalbum »… and Starpower« (Jagjaguwar/Trost) erst eine Platte lang fast zurückhaltend und eher verzopft daher kommt, um dann auf der zweiten Platte in die heimgeschnitzte Psychedelik abzubiegen. Dazu posieren France und Rado mit Dollarbündeln am Hosengürtel (über nackter Haut natürlich) und betiteln ihre Songs mit »Cannibal Holocaust«. Das gibt absolute Höchstwerte bei den Haltungsnoten, die Qualität der Songs fiel freilich schon mal üppiger aus.

Und ganz unten im Keller …
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Nicht ganz in diesen Reigen passen die Schotten We Were Promised Jetpacks, die erst vor fünf Jahren siegreich aus dem Bandwettbewerb ihrer Schule hervorgegangen sind und nun mit »Unraveling« (Fat Cat Records) doch immerhin die zweiten Longplayer (neben einer EP) vorlegen. »Unraveling« ist nur insofern Retro, als hier souverän und kompakt auf einen mittlerweile fast schon zeitlos postpunkigen Indierock verwiesen wird, der sich mal anbiedernder, mal ruppiger dem Mainstream andient. Bands wie Savages, Editors, Maximo Park lassen hier das Reverenzglöckchen klingeln. Bonuspunkte gibt’s fürs geniale Cover.

Und da wir schon auf Abwegen sind, können wir auch gleich den Briten Jez Bernholz mit an Bord lassen, der mit »How things are made« (Anti-Ghost Moonray) ccstern5.jpgeine angebliche Synthese aus Kate Bush, Laurie Anderson und David Bowie aus dem Hut zaubert. An diesem Zitat ist nur wahr, dass Frau Bush seit ihrem Comeback wieder ununterbrochen als Referenzgröße herangezogen wird, was zwar verständlich, aber nicht immer zutreffend ist. Viel eher haben wir es hier mit tanzbarem Artpop zu tun, der in Richtung Hitparade gebürstet wurde, also z. B. Kraftwerk mit einem leichten Godley & Creme-Dachschaden – und dazu ganz viele Zuckerstangen, die es vom Himmel regnet. Die Single »Austerity Boy« zitiert Madonnas »Material Girl« in einer Micky-Maus-Variation, auf »Animals« klingt tatsächlich eine Reminiszenz an »Oh Superman« von Laurie Anderson durch. Das alles ist fast ein wenig zu offensichtlich, hat aber andererseits einen eigenwilligen Witz. Jez Bernholz geht das in der Haltung ähnlich wie Mazes oder Foxygen an: das Retro-Ettikett passt zwar, ist aber dennoch nicht das Ziel, sondern bloß ein schickes Mäntelchen, das man mal eben so ausprobiert. Und dieser Zugang ist natürlich dann wieder purer Pop.

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