Die EP ist ein armer Hund. Fast ärmer als die Single, denn die erhält wenigstens hin und wieder ein wenig mediale Aufmerksamkeit. Wenn das dazugehörige Video etwa 938-millionenmal angeklickt wurde. Dann weiß man, es gibt da eine Single bzw. eine singuläre mp4-Datei im Ozean des Datenmülls, die man unbedingt gehört haben muss. Ganz anders hingegen das ganze Album bzw. der Longplayer, die LP. Hier scheidet sich der Hitparadenkonsument vom Aficionado. Der eine will nur den Hit-Kick, der andere folgt dem Künstler ein ganzes Werk lang – sogar auf schwächere Tracks, auf Irrwege, auf Schaffenskrisen … und liebt ihn umso mehr dafür. Aber was fängt man an mit einer EP? Dem einen ist sie zu kurz, dem anderen erst recht zu lange. Auch als Musikjournalist fängt man bei einer EP gar nicht erst an, den Bleistift zu spitzen. Aber für diese Sammelkolumne machen wir eine Ausnahme – und werfen der armen, ungeliebten EP einen Rezensionsknochen hin …
Erik Friedlander/Scott Solter: »No Compass« – SkipStone Records
Eine wunderschön gestaltete EP mit sperrig-verquerem Experimentaljazz, dem man sein Genre aber gar nicht recht anhört. Ebenso wenig hört man, dass hier ein Trio am Werken ist, mit Erik Friedlander am Cello, Michael Sarin an den Drums und Trevor Dunn am Bass. Zumindest zwei der Herren kennen sich über John Zorns Tzadik-Label, Trevor Dunn hat auch bei Fantomas mitgewirkt. Aber wie gesagt, man hört nur wenig von ihrer Originaltrio-Arbeit, denn alle fünf Tracks wurden vom vielbeschäftigten Producer und Remixer Scott Solter bearbeitet, um nicht zu sagen malträtiert. Das Branchenblatt »de:bug« bezeichnet das Resultat als transmogrifizierte (Aha?) Klangskulpturen. Wer sich darunter eine Art elektroakustischen Marmor vorstellt, liegt aber falsch. Es wuselt und grammelt hier im Mikrotonalen, mitunter so, als würden zu Klang gewordene Glassplitter in den Ohren wirbeln. Für Genrekenner eine beeindruckende Fingerübung, Genrefremde freuen sich auf eine schrille Hörerfahrung.
Amiina: »The Lighthouse Project« – Indigo/MorrMusic
Wir wechseln die Baustelle, und zwar komplett. Das 1998 in Reykjavík gegründete Streichquartett Amiina besteht aus vier Damen, die bislang mehr EPs als LPs veröffentlicht haben. »The Lighthouse Project« hat seinen Namen von einer Performance der Mädels in, genau, einem Leuchtturm, die sie offenbar mit besonderer Ergriffenheit erfüllte. Um diese Ergriffenheit gewissermaßen zu konservieren wurden fünf Songs (und ein Leuchtturmsignal) unter Livebedingungen im Studio aufgenommen, wobei sich die simplen Arrangements inklusive dem Einsatz einer Singenden Säge zum Eindruck einer irgendwie niedlichen Meditation verdichten. Etwas böswillig könnte man die EP auch als Instrumental-Outtakes einer Joanna Newsom-CD abqualifizieren. Richtig, das wäre sehr böse. Dennoch ein liebenswertes Kleinod für Fans, auch wegen seiner aufwändigen Ausstattung.
Tschok: »Tschok EP« – Konkord
Wieder eine andere Baustelle. Herr Tschok ist in Wahrheit Herr Michael Lahner, der sich Drummer & Bassist Manuel Riegler als sinnesverwandten Kompagnon auserwählt hat, um vier Tracks ganz im Zeichen der Electro-Wave der 1980er einzuspielen. Eher frühe Human League als Depeche Mode allerdings. Obwohl, auf »Fingers« blitzen dann doch ein paar poppigere Einschübe auf, aber ob das so beabsichtigt war? Die »Tschok EP« klingt tatsächlich ein wenig aus der Zeit gefallen, was man ebenso abohrfeigen wie innig mögen kann – je nachdem, ob man sich heute noch freiwillig eine Gary Numan-CD anhören würde oder nicht. Ein paar Ohrfeigen gibt es auf jeden Fall für den hanebüchenen Pressetext.
Marcus Fjellström: »Epilog M EP« – Aagoo Records/Rev Laboratories
Zurück zum elektronischen Gefitzel. Marcus Fjellström ist ein schwedischer Komponist slash Multimediaartist mit Hang zur elektroakustischen Sphärik, der sich seine Inspiration von Aphex Twin ebenso holt wie von Bernard Herrmann. Dagegen ist in beiden Fällen nichts zu sagen, das Resultat ist trotzdem nur jeweils das Weiße vom Ei. Dabei fängt Track 1 mit dem frostigen Antititel »Dance Music 3« durchaus charmant an, ein wenig nach einer Tiefseetanzparty mit radioaktiv verseuchten Marimbas klingend. Aber je mehr Fjellström den Beschwingtheitsgrad reduziert, desto blasser bzw. maschinengebleichter werden die Stücke. Auch hier werden am ehesten Genrefans glücklich.
FKA twigs: »EP2« – Young Turks
Und wieder eine andere Baustelle. Hinter dem etwas kryptischen Namen FKA twigs (der auch wegen eines Rechtsstreits so klingt) verbirgt sich eine 25-jährige Jamaikanerin mit spanischen Wurzeln, die ihre Kindheit in der englischen Provinz verbrachte, seit Jahren aber in London lebt. »EP2« setzt wie die 2012 erschienene, ebenso spartanisch betitelte »EP1« auf eine Art Trip Hop-Update, also schaumgebremste Tanzmusik, die sich allzu gerne in ihren eigenen Sound verliebt. Man ist ein wenig hin und her gerissen: die Soundspielereien sind teilweise großartig, fast avantgardistisch, der Gesang franst viel zu sehr in den Mainstream aus. Womöglich ist diese EP nur ein Fingerknacken vor dem großen (Hitparaden-)Wurf, womöglich aber geht es von nun an noch tiefer in den Kristallwald. Das ist durchaus spannend.
Camilla Sparksss: »Europe« – african tape
Zum Abschluss schummeln wir ein wenig. »Europe« von Camilla Sparksss ist eigentlich nur eine Single, aber da Frau Sparksss bislang nichts anderes veröffentlicht hat (zumindest unter diesem Pseudonym), machen wir eine Ausnahme. Und weil die beiden famosen Artpunk-Tracks auf diesem Tonträger gar so knackig daher kommen. Wir hören herzerwärmend kratzbürstige Tracks, einen metallurgisch abgeschrägten Postpunk, der sich das Mäntelchen der freundlichen Hysterikerin umhängt. Großartig. Man weiß auf Anhieb, ob man diese schrille Kanadierin liebt oder für immer hasst. Hinter Camilla Sparks verbirgt sich übrigens die Bassistin & Sängerin Barbara Lehnhoff, die wiederum bei den schweizerisch-kanadischen Artpunkern Peter Kernel werkt. Diese Band gibt es ebenso wie »Europe« beim wunderbar eigensinnigen Label African Tape zu hören – und zwar als LP. So! Und jetzt … sitz, EP, sitz!