Harold Budd © Masao Nakagami/Flickr, CC BY SA 2.0
Harold Budd © Masao Nakagami/Flickr, CC BY SA 2.0

Harold Budd †

Einer der ganz großen Musiker unserer Zeit ist von uns gegangen. Dies droht im aktuellen Pandemie-Tohuwabohu leider, wie so vieles, unterzugehen. skug würdigt den Meister des Ambient deshalb mit Atmosphäre und Aberwitz.

Wer durch die Wüste geht, misst die Entfernung mit den eigenen Atemzügen. Die umgebende Landschaft ändert sich auf Meilen nur unwesentlich, folglich lohnt es kaum, sich an den Landmarks zu orientieren. Wer so wandert, hört in sich hinein. Darin liegt etwas, das als Gnade bezeichnet werden darf. Die heutige motorisierte Weltwahrnehmung ist von Entfernungen genervt. Es kann nie schnell genug gehen. Von jedem Punkt aus würde man sich gerne aus der Karte herauszoomen und schauen, wie weit es denn noch ist. Der nächste Punkt kann niemals schnell genug erreicht werden. Ruhe lässt sich so nirgends finden. Die Musik von Harold Budd konnte diese besondere Gnade der Ruhe einer Wanderung durch die Wüste vermitteln. Es gibt in dieser Musik nicht den nächsten Höhepunkt, dem entgegengehechelt wird, sondern ein langsames Durchschreiten einer kaum bemerkenswerten Landschaft. Allmählich beginnen die Wandernden, ihrem Atem zu lauschen, und dann entfaltet sich die volle Schönheit dieser besonderen Musik.

Mojave-Wüste © Silencetheshadows/Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Ein Meister der »guten Leere«
Die Größe vieler Kompositionen von Budd liegt darin, augenblicklich ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass mit keinen Knalleffekten gerechnet werden muss. Faszinierend ist, dass bei ihm das ganze Sammelsurium der Ambient-Klänge auftaucht, aber niemals dieses gelangweilte Konsument*innengefühl bedient wird, das im Halbschlaf Pinguinen beim Tauchen zusieht. Diese typische und immer etwas dümmliche Ambition, Ambient-Sounds und Aufnahmen von Naturschönem zu kombinieren, belegt deutlich, dass es eine gute und schlechte innere Leere gibt. Die eine bringt zum Glotzen und langweilt sich an allem. David Attenborough kann mit der Kamera noch dem letzten Rhinozeros in den Darmausgang reinfahren, das ist auch schon alles egal. Alles ist sensationell und damit nichts mehr. Dem dösenden Weltblick ist jede Sensation unerheblich und irgendwie nervig. Innerlich tritt man aufs Gas und möchte endlich »da« sein. Das Warten auf nichts wird nur noch unerträglicher durch diese »schlechte Leere«.

Harold Budd hingegen war ein Meister der »guten Leere«. Er beherrschte das Instrumentieren und Ausformen von langen, gleichmäßigen Wüstenlandschaften, die anregen und gefangen nehmen. Sie laden ein zu einer ruhigen Wanderung, die in schönstem Sinn nur mehr um ihrer selbst willen geschieht. Schritt für Schritt näher zum Nirgendwo, ohne Bedauern darüber, dass ein Irgendwo übersehen wurde. Wer braucht das Irgendwo schon? Harold Budds Musik war nie so intellektuell und konzeptuell wie die von Morton Feldman, bei dem Budd sich zeitweilig die grafische Notation abgeschaut hatte. Budd ist sicherlich nicht so mitreißend wie Steve Reich oder Philipp Glass und nicht so Kaffeehaus-elegant wie Satie und das war gut so. Er teilt gewisse Klangwelten mit diesen Superstars, aber er hatte sich in bemerkenswerter Weise konsequenter freigemacht als diese. Budds dronige Electronics wirkten auch in die mainstreamigere Popmusik, wenn das, ohne Gefahr zu laufen, Drohbriefe zu erhalten, von Dreampoppern wie den Cocteau Twins gesagt werden darf.

Musik in Gottes Ohr
Fand Harold Budd auf Erden die ihm gebührende Würdigung? Vielleicht nicht, aber es gibt ein altes Interview mit Gott (aka »Unbewegter Beweger«, aka »Urgrund«), wo dieser, zu seinen liebsten Ambient-Alben befragt, gleich drei unter den ersten drei von bzw. mit Harold Budd aufzählt: »›Lovely Thunder‹ von 1994 gehört für mich zu den Höhepunkten der Ambient-Musik überhaupt. Der Sound ist, wie bei allen seinen Alben, zwar soft und atmosphärisch, doch schleicht sich hier etwas Bedrohlich-Ominöses in seine Musik. Verloren in einer Wüste aus Nichts … Budd beherrschte die Immersion, bevor ich den Begriff ›Immersion‹ überhaupt in die Welt brachte. Ganz besonders immersierte er gemeinsam mit den drei Freunden der besagten Dreampopper Cocteau Twins, Elizabeth Fraser, Robin Guthrie und Simon Raymonde. ›The Moon and the Melodies‹ (1986) ist einer dieser Momente, wo die richtigsten Menschen, die dieselben Sterne anstarren, aufeinander treffen und Kunst schaffen. Elektrisierend, und das bringt selbst mich, der ja eigentlich meint, schon alles gesehen und gehört zu haben, doch noch zum Staunen – und eben auch zum Träumen. Im Jahr 2000 brachte er das Album ›The Room‹ heraus, das von allen Alben das vielleicht kühlste, leerste war. Wie ein Blatt Papier, auf das man schaut und dessen fasernden Struktur irgendwann verschwimmt. Man beginnt abzudriften und sieht Bilder entstehen, die irgendwie schon immer da waren. Irgendwie sind diese ganz archaisch, spirituell, aber ohne jedwede Esoterik.«1

Irgendwann hatte es Budd dann mal gereicht und er reihte sich ein in die Riege der Künstler*innen, die ihr Metier niederlegten. Seine geheimnisvollen Konzeptionen erschienen ihm selbst erschöpft zu sein und er gab das Komponieren lieber auf. Anfang Dezember 2020 wurde er dann das nächste der unzähligen Opfer des Coronavirus. Es wäre ihm zu wünschen gewesen, dass diese freien, reizvoll reizlosen Klänge, die er hinterlassen hat, ihn sanft hinübergeleitet haben. Leider ist dies wohl ein frommer Wunsch. Das Virus erzeugt das Gefühl eines Ertrinkens an der Luft. Die letzten Klänge werden für Harold Budd wohl Beatmungsapparate gewesen sein. Möge er jetzt in jenem Frieden ruhen, den seine Musik im Leben zu schenken vermag.

[1] Das komplette Interview mit Gott veröffentlicht skug wenige Stunden vor Beginn des »Jüngsten Gerichts«, wir sind leider vertraglich dazu verpflichtet bis dahin zu warten.

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