Also, dass es bereits zwölf ARIK BRAUER-Platten im Dialekt gibt, hat mich überrascht. Da müssen einige vergriffene Stücke dabei sein, die man nie zu Gesicht bekommt. Amazon kennt auch nur sechs verschiedene, aber egal. Wieder aus der Versenkung aufgetaucht ist jedenfalls »Motschkern Is Gsund« (Broken Silence/Sireena), das im Jahr 2000 nur in einer winzigen Privatpressung erschienen ist. Diese jüngste Platte des demnächst 84 Jahre alt werdenden Beinahe-Universalgenies hat alles, was man an Brauer schätzt: Bissig aber nie bösartig, dabei immer humorvoll (»Wadlbeissersenerade«) und poetisch bringt uns Brauer auf den aktuellen Stand seiner Liedproduktion. Mit dabei: Tochter Timna und der israelische Jazzpianist Elias Meiri und jede Menge Geige. Zeitlos im besten Sinn geht es der hinterfotzigen Wiener Seele wieder augenzwinkernd an den Kragen. Für jede Altersgruppe zu empfehlen.
Um vieles jünger, aber auch schon bei der dritten CD angekommen ist das Wiener Neustädter Trio HAUK. Im Stück »A Hund« von der aktuellen Produktion »ned weit weg« (Eiffelbaum) singt Hauk »I solltert mi dran g?wöhnen, weil nur raunzen bringt di um«, und das ist insofern bemerkenswert, als es das genaue Gegenteil vom Titel der Brauer-CD ausdrückt. Sind die Alten die Raunzer und die Jungen die, die alles in sich hineinfressen (oder saufen)? Ist reine Spekulation und sicher ein Frage des Temperaments, aber eine abführende Wirkung wird dem Raunzen, dass dem Motschkern ja sehr nahe ist, schon nachgesagt. Christof Hauk, Sänger und namensgebender Gitarrist der Truppe, dürfte aber dem Gesang nach zu schließen ein eher lakonischer Typ sein. Was nicht negativ ist, nur klingt er für seine geschätzten 30 Jahre ganz schön abgeklärt und schreibt auch gescheite, sehr persönliche Texte. Mit seinen beiden Kumpels Axel Manfredini (Schlagzeug) und Tino Klissenbauer am Akkordeon drechselt Hauk feine, unspektakuläre Songs, in denen die Hauk-Stimme der von Willi Resetarits sehr ähnlich ist. Auch das ist kein Nachteil. In jedem Fall braucht »ned weit weg« Aufmerksamkeit, auch für die ausgefeilten Arrangements. Einen perfekten Abschluss macht das nur mit Klavier begleitete »Liaba Totengrober«, ein berührender Song.
Ebenfalls aus dem Stall von Eiffelbaum kommt das burgenländische Quintett AMERLING. »Fia di und mi« nennt sich ihr erster Tonträger, der gar nicht unfunky daherkommt. Auf der Basis Wienerlied werden hier (wie seit Jahren stark im Kommen) mit einem markanten Bass und einem ausgeschlafenen Trommler Ausflüge nach Reggaeland (»I muass mahn heit«) unternommen, und der Funk und der Jazz blinzeln immer wieder ums Eck. Interessant auch, dass Sänger und Guitarrero Christoph Amelin (schon wieder einer, von dessen Name augenscheinlich der Bandname abgeleitet wurde) in manchen Passagen, vor allem im Live-Video von »I muass mahn heit«, fast wie Hans Söllner klingt. Der Gesang von Jaqueline Leier ist solo auf Songlänge dann doch etwas zu nahe an ihrem Namen angesiedelt. Mein Favorit ist das wunderbar lakonische »Am Fenster«. Dabei wundert mich nur, dass es an keiner Stelle eine Anmerkung dazu gibt, dass die Melodie 1:1 von »Dann bin I allan« vom W. Ambros anno 1972 übernommen wurde. Ist nämlich eines meiner Ambros-Lieblingsstücke. Genauso klingt der Anfang von »Passagier« (mit dem knackigen Bass-Solo) verdächtig nach »Siasse Tschik« von den 5/8erl in Ehren. Das ist nicht dramatisch, nur wäre es redlich solche Entlehnungen auszuweisen. Abgesehen davon ist »Fia di und mi« eine runde Sache mit Schmäh und Poesie.
Ein wenig runder ist im Laufe der Zeit auch Austropop-Urahne WILFRIED geworden, er hat sogar ziemliche Ähnlichkeit mit Steffi Werger angenommen. Da freut es ganz besonders, dass der alte Hase noch immer läuft und läuft. Und das nicht monoton wie das beliebte Duracellhaserl, sondern mit Power, Raffinesse, Ironie, Rotzigkeit und entwaffnender Ehrlichkeit spielt bzw. singt sich Wilfried mit seiner neuen (bis auf Keyboarder Heinz »Jurassic Park« Jiras) von Sohn Hanibal zusammengestoppelten jungen Band durch die zwölf Songs von »Tralalala« (monkey music). Mit seiner einmaligen, kratzigen Stimme demonstriert der Wegbereiter eines österreichischen Volksmusik-Pops gleich im ersten Stück »Wieder da«, dass er in der Gegenwart angekommen ist. In diesem für mich fast berührendsten von durch die Bank prachtvollen Stücken wird mit grandiosem Gesang auch in Andeutungen eine (persönliche) Krise thematisiert, und wie phänomenal es ist, aus einer solchen wieder herauszukommen und aufzutauen. Wilfried – immer schon ein Künstler mit dem Herz am rechten Fleck, also auf der Zunge. Kaufen Sie diese von David Müller von den Strottern abgemischte CD! Besser gleich die limitierte Version mit der Best-Of- Kompilation.
Keine unbedingte Kaufempfehlung hingegen gibt’s für »Im Pfusch« (Pate Records), das neue Opus der ROTZPIPN aus Wien-Simmering. Dass sie heuer den Protest-Songcontest gewonnen haben ist an mir völlig vorbei gegangen, das Siegerstück »Hymne 2.0« hat?s jedenfalls in sich mit seinem gar nicht übel gelungenen Psychogramm des Landes. Wobei natürlich solche Verallgemeinerungen eh ein Blödsinn sind, aber lustig ist es schon. ?berhaupt sind die Herren Fetz N. Schädl, Z. Umpferl sowie die zwei Neuen Lumpazi Fuckabundus und Friedjoff Hotzenplotz ziemlich produktiv: 15 neue musikalische Appetitzügler (in »Bettlägrig« wird auf das Nachtkastl geschissen) plus Hidden Track lassen sie wieder los auf die Welt. Wie man schon an den Künstlernamen erkennen kann im derbsten, sarkastischen Pennälerhumor, aber immer auch selbstironisch und nicht blöd. Auf die Schippe genommen werden deftig die High Society, der Alltagswahnsinn im Gemeindebau, die Faulheit, vom Burnout geplagte Beamte – »Beamtenmikado« ist einer der besten Songs. ?ber die volle Länge ist das einfach viel zu viel Beidlrock vom Fließband, zu viel Gitarrensolo. Aber über solche Einwände werden sich die Brachialgaukler eh nur zerkugeln. Am stärksten ist das Simmeringer Milieuvarieté in den Stücken, in denen die elektrische Penisverlängerung eingefahren wird und sie dem Wienerlied (und auch dem vielgeschmähten Austropop) am nächsten kommen. Würdige Alkbottle-Nachfolger sind sie allemal.