Oren Ambarchi & Jim o'Rourke © Ujin Matsuo
Oren Ambarchi & Jim o'Rourke © Ujin Matsuo

Renegades of Ambient

Willkommen in der Herberge zur fröhlichen Erstarrung: Ein Rundgang durch aktuelle Tonträger aus dem freiwilligen und unfreiwilligen Ambientsektor. Mit CDs von Celer, Marsen Jules, Aidan Baker, Ryuichi Sakamoto, Illuha, Taylor Deupree, Oren Ambarchi, Jim O'Rourke, Sigtryggur Berg Sigmarrson, Lucio Capece, Baron Oufo, Luigi Archetti, Monty Adkins & Gruenewald

Ambient, das ist fröhliche Stagnation im Niemandsland, eine musikalische Welt, die sich zwischen vertontem Drogenrausch und widerborstiger Verweigerung immer wieder neu in ihrer Monotonie neu erfindet. Vorbei die Zeiten, als Brian Eno betörend zurückhaltende Klangteppiche erstmals webte, vorbei die Zeiten, als man noch mit einem Popinstrumentarium (& Popappeal) den Klangflächen eines György Ligeti nachstellte. Irgendwann in der Ära des Laptops wurde die Verdichtung zur Klangwolke (oder die Kapitulation vor kompositorischer Neu(er)findung, je nachdem) zum notorischen Verhaltensmuster. In der britischen Musikzeitschrift Wire (No. 371) trägt David Keenan die »underground music« grundsätzlich zu Grabe. Sie sei zum Fetisch verkommen, der formelhaftes Epigonentum am Fließband produziere. »Even Industrial has become nothing more than ambient, beat driven wallpaper«, sagt Keenan, für den Industrial die Musik der Revolte, die ultimative Ohrfeige ins Gesicht aller Harmoniejunkies ist.

Schwäne in Zeitlupe

Aber wen kümmert’s, ob die Industrial zahnlos geworden ist, mittlerweile kommen Tonträger mit schwebenden Soundscapes aus allen Genres, vom Pop bis zur Electronic, von Industrial bis zur Impro-Musik. Keine zwei Monate vergehen, schon liegt wieder ein Stapel von CDs auf der Rezensententheke – und verursacht wie üblich die peinliche Frage, mit welchen Worten hier noch Differenzen gezogen werden sollen, wenn sich die Hörerlebnisse so sehr ähneln. Ganz egal, wo wir da beginnen. Die aktuelle CD von Celer (aka Will Long) namens »Sky Limits« (erschienen auf Baskaru) etwa ist poppiger Ambient in Reinkultur, sehr hübsch, sehr getragen, stets durch kurze Soundschnipsel wie z. B. gedämpfte Gesprächsgeräusche unterbrochen. Man könnte auch eine Meerestierdoku oder einen Aufzug zu den Sternen damit hervorragend beschallen. cd_amb1.jpgEin praktisch identes Hörerlebnis bietet der deutsche Ambienttüftler Marsen Jules mit »Empire of Silence« (erschienen auf Oktaf), nur dass er die Tracks in kleine Häppchen aufteilt, sie dementsprechend mehr wie Miniaturen wirken, die zu in Zeitlupe vorbeischwimmenden Schwänen hervorragend passen würden. Ein einschlägiges Beispiel liefert auch der Kanadier Aidan Baker mit seinem Doppelalbum »The Sea Swells A Bit« (erschienen auf Ici, d’ailleurs). Wir hören einen minimalistischen Groove, ganz dezent, gerade so zum reinkippen in den Halbschlaf. Sonst geschieht praktisch nichts außer einer allmählichen Intensivierung der Lautstärke und einem sphärischen Wabern, das allmählich energischer wird. So geht das viermal knappe 20 Minuten lang dahin. Hat jemand ein Ikea-Regal zu montieren, wo dutzende Male dieselbe Schraube in dasselbe Fach gedreht werden muss? Diese CD ist der perfekte Begleiter dafür.

Eleganz & Coolness
cd_amb1.jpgApropos perfekt: Dass der japanische Großmeister der elegant-kitschigen Loungemusic, Ryuichi Sakamoto, in der Ambient-Ecke landen musste, war nur eine Frage der Zeit. Mittlerweile klingt das bei ihm aber so, als hätte er nie etwas anderes gemacht. »Perpetual«, eingespielt mit Taylor Deupree und Corey Fuller & Tomoyoshi Date aka Illuha, ist näher an der Elektroakustik als am Pop (reichlich Live-Elektronik, Synthesizer und ein präpariertes Piano kommen zum Einsatz), aber in seinem Klangerlebnis ganz im flauscheweichen Herzen von Ambient Zuhause. Dennoch steckt in »Perpetual« viel mehr Liebe zum Detail als bei den bisher erwähnten Tonträgern, was umso beachtlicher ist, da das dreiteilige Stück auf einer Live-Performance beruht. Doch auch hier stirbt die knisternde, wabernde, zittrige Ambientgrandezza irgendwann ab Minute 27 mit einem langanhaltenden Gähnen.

Mehr Spannung steckt in »Behold« von Oren Ambarchi und Jim O’Rourke (erschienen auf Edition Mego). Beide Herren muss man ja kaum vorstellen, der Australier mit den irakischen Roots und der aus Chicago stammende O’Rourke sind ja Arbeitstierchen, die mit fast jedem halbwegs bekannten Namen in der an den Pop angrenzenden Experimentalszene gearbeitet haben. Aus diesem Erfahrungsfundus heraus bringen sie eine wohltuende Coolness und Abgeklärtheit in »Behold« ein, die unbedingt hörenswert ist, aber selbst wenn O’Rourkes Gitarre noch so lässig schwebend vibriert und Ambarchi mit seinem Synthesizer den UFO-Anflug aufs Outback simuliert, bis schließlich das Schlagzeug dezent einsetzt, um die sphärische Verdichtung perfekt zu machen – viel mehr als schicke Designermusik für Experimentalhipster ist das im Grunde nicht (eine Zielgruppe, die es übrigens so vermutlich gar nicht gibt).

Weniger ist Weniger

cd_amb1.jpg»Behold« ist dennoch weitaus hörenswerter als »So long« von Sigtryggur Berg Sigmarrson. Das Werk des Isländers (bekannt vielleicht von Experimentaltrio Stilluppsteypa, das einst auf dem einst so umhypten Label Mille Plateaux verlegt wurde. Stichwort: Mille Plateaux. Kann sich noch jemand an die Zeit erinnern, als die Musikzeitschriften noch voll mit dekorativen Deleuze-Zitaten waren!?) versteht sich als »elektro-surrealistischer Krypto-Minimalismus«. Das ist eine perfekte Umschreibung für Experimentalmusik, die in ihrer betulichen Verweigerung zu schlaftrunkener Belanglosigkeit implodiert. »So long« ist ungewollte Ambientmusik, ein Betriebsunfall, eben jenes »wallpaper« von dem David Keenan spricht, Motorengeräusche hoch über den Wolken, blubbernde Soundschnipsel, ein synthetisches Flattern. Du meine Güte! Aber vielleicht ist dieses Urteil unfair. Nehmen wir »Less is less« von dem in Berlin lebenden Argentinier Lucio Capece (erschienen auf Intonema). Der Untertitel verspricht »Music for flying and pendulation speakers«. Wir ahnen bereits Böses, denn das ist wörtlich gemeint. Capece hängt Lautsprecher auf Heliumballons auf oder lässt sie pendeln, etwa wie auf Track 1 im Berner Münster (»Das temperierte Berner Münster«). Die Ursprungssounds sind via Mikrophon aufgenommene Resonanzen, die Capece filtert und in Sinustöne transformiert – und dann eben im Raum verteilt abspielt. In diesem Fall ist das Resultat aber überraschend hörenswert. »Less is less« erzeugt beim Hören auf der Konserve einen angenehmen Sog und provoziert diese eine Frage, die längst zum Fetisch in der Experimentalmusik geworden ist: »Wie macht er das? Wie entsteht diese Musik?« Die Relevanz der entsprechenden Antwort wurde immer schon ein wenig überbewertet, aber was immer man auch von Capeces Installation halten mag, das daraus gewonnene Klangdestillat ist trotzdem hörenswert, wenn auch eben in Form eines stattlichen Ambient-Albums.

Ebenfalls aus einer einschlägigen Ecke der Elektroakustik kommen die zwei Franzosen Jerome Alban und Eddie Ladoire. Unter den Namen Baron Oufo bieten sie auf »Dar al-Hikma« (erschienen auf Quadrilab) sehr stimmige Soundclusterpäckchen, die auf dem ersten Track (»Depth of the Prophecy«) durch die Einbeziehung von exotischen Einsprengsel noch Hoffnung auf mehr machen, doch dann weitgehend im Rahmen des Vorhersehbaren blieben (nur am Ende des vierten Tracks wird es nochmals hübsch eigenwillig). Dabei wäre der Titel »Dar al-Hikma«, der sich auf das irakische Haus der Weisheit bezieht, so hoffnungsfroh gewesen. Ambientmusik als kultureller Türöffner jenseits jeglichen Ethnokitsches, wäre das nicht eine großartige Herausforderung?

Fein gedrechselt

cd_amb1.jpgEin weiterer Herr, der sich in erster Linie als elektroakustischer Komponist versteht, mit Vorliebe aber »Soundscapes« erschafft, ist der Schweizer Luigi Archetti. Seinem Tonträger »There« (erschienen auf Domizil) ist in dieser Hinsicht nichts vorzuwerfen. Archetti ist ein düsteres, wummerndes Stück Ambient gelungen (drei Stücke, um genau zu sein), das sich aus erstaunlich reichhaltigen Soundquellen speist. Viel Akribie und Tüftelei ist hier herauszuhören, was »There« zu einem überwiegend feinen Hörgenuss werden lässt. Man verweilt als Hörer gerne, lässt sich in ein Meer der Diffusität führen, vorbei an sich öffnenden und wieder schließenden Soundinseln, eine echte Soundreise beginnt. Unter den hier vorgestellten Tonträgern ist »There« sicher am feinsten gedrechselt, die coolste Sau hingegen bleibt »Behold« von Ambarchi & O’Rourke. Ebenfalls komponierten Ambient vom Feinsten bietet »Unfurling Streams« vom Briten Monty Adkins (erschienen auf Crónica), doch Adkins schließt ein bisschen die Lücke zwischen dem poppigen Ambient von Celer oder Marsen Jules und der anspruchsvollen Tüftelei von Archetti. Auch sehr hübsch, auch sehr austauschbar.

Mit Kawumms
Und wer bis hierher gelesen hat, kriegt zum Abschluss noch einen Geheimtipp mit auf den Weg. Unter dem Namen Gruenewald hat der deutsche Metal-Egozentriker sein drittes Album mit dem schlichten, zugleich ein wenig prätentiösen Titel »III« (erscheinen auf Zeitkratzer) veröffentlicht. »Gruenewald III« ist poppiger Ambient mit einem gewaltigen Säbelrasseln (vor allem auf dem ersten Track), der sich streckenweise in eine Art minimalistischen Postjazzrock verwandelt. Dieses Crossover funktioniert stellenweise ganz prächtig und tut dem festgefahrenen Genre durchaus gut. Nach all der schimmernden Klangschönheit, die hier beschworen wurde, ist das fast wie eine kalte Dusche. Und die hat ja auch was monoton Prickelndes.


Celer: »Sky Limits« / Baskaru
Marsen Jules: »Empire of Silence« / Oktaf (Kompakt)
Aidan Baker: »The Sea Swells A Bit« / Ici, d’ailleurs
Ryuichi Sakamoto, Illuha, Taylor Deupree: »Perpetual« / 12k
Oren Ambarchi, Jim O’Rourke: »Behold« / Edition Mego
Sigtryggur Berg Sigmarrson / »So long« / The Helen Scarsdale Agency
Lucio Capece: »Less is less« / Intonema
Baron Oufo: »Dar al-Hkma« / Quadrilab
Luigi Archetti: »There« / Domizil
Monty Adkins: »Unfurling Streams« / Crónica
Gruenewald: »III« / Zeitgeister

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