Europa unter dem Ozean

Eine Rundschau durch Neuerscheinungen aus dem (Dark) Ambient Sektor und schräg dahinter. Von  Hybrids bis Sabine Vogel/Chris Abrahams.

Ambient nennt man die Musik, die wir einem gewissen Brian Eno zu verdanken haben, weil er einst streichelweiche Stücke für Flughafenwartehallen komponierte. In seiner poppigen Variante ist Ambient knapp dran am Muzak, der Kaufhausmusik, aber es gibt ihn auch als hohe Kunst, spätestens nachdem György Ligeti jene mikrotonalen Klangflächen erzeugte, die ihn berühmt und zum unfreiwilligen Filmkomponisten für Stanley Kubrick machten. Es ist zwar kaum zulässig, das als Ambient zu diskreditieren, aber in der Ära der Laptops und damit der Elektroakustik hat sich Ambient ohnehin längst zu einer Art Pilzbefall ausgeweitet. Es gibt ihn in verschiedensten Ausformungen, von verschiedensten Genres aus startend, mit verschiedensten Sound-Erzeugungsmitteln umgesetzt. Stets ist das Resultat ein sphärisch-monolithischer Klangkörper, durch den die HörerIn wie durch eine Wolke oder einen Ozean gleiten darf.
hybrydszoo_455x400.jpgNehmen wir etwa den »Soundtrack For The Antwerpen Zoo« von HYBRIDS, erschienen auf dem polnischen Label Zoharum. Hier befinden wir uns im sinnfälligen Zentrum des Genres, ohne jegliche Abstraktion. Kein Wunder, diese CD wurde ursprünglich 1995 von den belgischen Dark Ambient-Pionieren Ah-Cama Sotz eingespielt. Wir hören Delphine, Wale und diverse Unterwassereffekte, nicht zu vergessen eine Schiffsglocke und ein weichgespültes Saxophon. Alles mit nahezu rührend analogem Charme eingespielt.
Das polnische Label liebt diesen Stuff offensichtlich, ein vorzügliches Beispiel dafür ist »Puppets Of The Divine Coroner« von HOARFROST aus dem Jahr 2011, wo mit verklärten Frauenstimmen und Industrial Sounds eine beinahe zuckersü&szlige Dark Ambient-Variante geschaffen wird. Oder »Clouds«, das neueste Stück des flei&szligigen Polen MACIEK SZYMCZUK, wo auch sehr stimmig und sinnfällig am einschlägigen Soundteppich gewebt wird. Aber das sagt ja auch der CD-Titel, Wolkenmusik eben (zu Szymczuk siehe übrigens auch hier).
Wir springen kurz in die Slowakei, zum blutjungen Label Lom, das sich der Veröffentlichungspflege von »unknown or forgotten experimental artists« verschrieben hat. Die allererste CD-Erscheinung in dieser Richtung nennt sich »MRKVA/BOLKA«. Dahinter verbergen sich die Herren Jonas Gruska und Matus Kobolka, die sich tief in den Dschungel der Elektroakustik wagen, dabei aber trotz Drones und Clicks und »nanotech insects« einer dunklen Erstarrung sehr nahe sind. Streng genommen ist das nicht Ambient, es rieselt trotzdem mehr beim Hören als dass es aneckt.

Zum Trost fahren wir tief nach Russland, wo das »anonyme« Ensemble POVAROVO mit »Tchernovik« (Denovali) ein astreines Ambient-Album veröffentlichten. Sehr gefällig der Hang zum Grand Piano und lange ausklingenden Akkorden. Dazwischen Geknister aller Art und »a flickering dot in a nonexistence«.

lata.jpegWir springen weiter nach London, wo Jacob Burns unter dem Namen LATA seine CD »Starlings« auf Exotic Pylon Records veröffentlichte. Ein Auszug aus diesem 44-Minüter war auf der »Wire«-»Tapper«-CD zu hören, die Einschätzung »postindustrielles Meisterwerk« muss man nicht teilen, dazu besteht diese soundsphärische Fahrt durch den Londoner Underground (gemeint ist das U-Bahnnetz) aus all zu bekannten Ingredienzien. Aber zugegeben, so kurzweilig und gefällig hört man das selten, es stellt sich tatsächlich das Feeling einer abstrahierten U-Bahnfahrt ein. In jedem Fall eine feine Sache.

Nicht ganz so ausgefeilt ist (ebenfalls auf Exotic Pylon Records erschienen) »The Long Rain« von SLOW LISTENER. (Der Mann dahinter hei&szligt übrigens Robin Dickinson, liebe Leute vom »De:Bug«, nicht Dickson.) Dieser »lange Regen« wurde angeblich von einem Gemälde von Kim Gordon (Sonic Youth) inspiriert. Mag sein. Wir hören eine sinistre Soundreise, compiliert aus komponierten Tönen und field recordings, aus statischen Signalen und Zufallsnoises, woraus für einen Rezensenten der Beinahe-Pleonasmus »murky ambient« resultiert.

Weiter geht’s nach Schweden, wo sich das krachige Ambient-Duo VRAKETS POSITION mit der CD »Spår« (Galerie 21 Recordings), zum zweiten Mal back from the grave meldet. Göran Green und Tommy Lindholm sind tatsächlich beide 60+ und haben erst vor wenigen Jahren wieder angefangen, ihren Industrial Ambient zu hegen und zu pflegen. Das späte Debüt im Jahr 2011 hatte allerdings eine augenzwinkernde Qualität, die »Spår« ein wenig fehlt. Monolithisch ist für diese CD gar kein Ausdruck.

kopf_cover.jpgZu guter Letzt fahren wir nach Deutschland, in die St. Annenkirche in Zepernick. Dort experimentieren Flötistin SABINE VOGEL und Organist CHRIS ABRAHAMS (gemastered von Werner Dafeldecker, erschienen auf Absynth Records) mit dem sich überlagernden Schwingen von angeblasenen Obertönen. Die CD nennt sich »Kopfüberwellen« und hat natürlich mit dem Genre Ambient nur wenig zu tun, dazu sind die mikrotonalen Verfugungen viel zu konzentriert, das Hörerlebnis ist viel zu fordernd. Dennoch ist auch den »Kopfüberwellen« eine gewisse monolithische Qualität nicht absprechbar.

Wer seinen Ambient aber lieber zuckrig und entspannend hat, der ist mit der in Chicago gegründeten Band MOUNTAINS besser bedient. Aber mit der aktuellen CD »Centralia« (Thrill Jockey Records) würden wir die ozeanischen Fluten von Europa verlassen. Uns bleibt darum nur ein »Happy Drowning« zu wünschen.

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