John Butcher / Fred Frith
John Butcher / Fred Frith

Du holde Improvisation

Zwischen Free Jazz, freier Impro und sonstigen Virtuositätsexzessen: Neuerscheinungen von Uneven Eleven, Bryan Eubanks/Jason Kahn, John Butcher, Frith/Weber/Studer u. a. 

Fangen wir mit der gemähten Wiese an. Die Pressemitteilung vermerkt zu Uneven Eleven: »Live at Café Oto« lapidar: »Supergroup featuring Charles Hayward (This Heat), Guy Segers (Univers Zeró) & Kawabare Makoto (Acid Mothers Temple) caught in wild act at Café Oto, London in 2013«. Ende der Durchsage. Das klingt fast ein wenig keck, aber nur solange man noch nicht in die Doppel-CD/LP hineingehört hat. Danach bleibt dem geneigten cdimpro_1.jpgJazzrockfan nur noch ein anerkennendes Schütteln der Spät-68er-Mähne übrig, denn wir haben es mit einer kompromisslosen Live-Session zu tun, in der das Schlagzeug unermüdlich vorwärts treibt, die Gitarre presst, quietscht und gniedelt, ohne dass (allzu) unerträgliche Soloexzesse daraus werden, weil dem Herrn Makoto angeschrägte Riffs und minimalistische Schubumkehr offenbar wichtiger sind, und schließlich rahmt der Bass flüssig und wummernd, oft fast swingend, das Geschehen ein.

Natürlich könnte man hier auch mehr erwarten, schließlich sind die Herkunftsbands der drei Herren fast ausschließlich Legenden der mainstream- abgewandten Rockgeschichte. This Heat als UK- Experimentalband zwischen Prog- und Postrock, Univers Zeró als düstere belgische Antirockcombo und Acid Mothers Temple als japanisches Psychedelic Rock Kollektiv: zählt man das zusammen, müsste eigentlich mehr herauskommen als ein nahezu astreiner Jazzrockexzess. Okay, eine gewisse Psycho-Schrulligkeit ist dank Kawabare Makoto stets mit im Spiel. Aber man vermisst das im Grunde nicht, eher schon hätte man sich bei einem so herrlichen Ohrenschmaus eine bessere Liveakustik erhofft, nicht diesen gedämpft-ausgedünnten Proberaumsound. Aber gut, man kann nicht alles haben.

Past the Gorilla

Eine ebenfalls sehr fokussierte, hochenergetische Performance liefert das Impro-Duett Bryan Eubanks (Sopransaxophon, Electronics) und Jason Kahn (Drums), eingespielt im Herbst 2013 in Zürich. »drums saxophone electronics« bietet zwar wenige Ûberraschungen, kann aber aufgrund seiner spielfreudigen Kompaktheit über weite Strecken durchaus unterhalten. Wenn sich Eubanks mit seinen Oszillatoren spielt, kommt hingegen eher der Eindruck einer Soundauflockerung auf.

cdimpro_2.jpgMan kann diese CD auch direkt gegen die Duo-Impro von Rudi Fischerlehner und Olaf Rupp auf »Live at Lydfestival Aarhus« antreten lassen. Das Resultat wäre ein definitives Unentschieden in Punkto Inten- sität. Einen leichten Vorteil angeln sich Eubanks und Kahn für den Abwechslungsreichtum, dafür punkten Fischerlehner und Rupp bei der freejazzigen Stringenz. Die Virtuositätshymnen, die Rupp für seine Gitarren- kunst schon in diversen einschlägigen Medien einge- fahren hat, gehen allesamt in Ordnung, detto ist auch Fischerlehner ein umtriebiger Drummer, der zuletzt etwa mit Peter Van Huffel’s Gorilla Mask grandiosen Improwahn im Zeichen des Freejazz-Power-Punk eingespielt hat. Impro-Fun mit starkem Post-Freejazz-Einschlag.

Eine weitaus gemütlichere Eingängigkeit zeichnet die Quartettimprovisation von Robert Kusiolek (Akkordeon), Elena Czekanowa (Klavier), Pawel Postaremczak (Saxophone) und Grzegorz Nowara (Tubas) aus. Die als »Qui Pro Quo« veröffentlichten Sessionausschnitte, die 2014 in Hannover aufgenommen wurden, delirieren zwischen klassisch-kratzbürstiger Improkost und weltmusikalischer Spurensuche. Genreübliche Momente finden sich zuhauf, sind jedoch durch die rustikale Instrumentierung angenehm gebrochen. Und es gibt auch erhabene Passagen, wie etwa der herrlich entrückte Track 7, der alleine schon eine lobende Erwähnung rechtfertigt.

Butcher & Frith & Co. cdimpro_3.jpg

Und weil wir bei den gerechtfertigten Erwähnungen sind, kommen wir zu dem sehr sympathischen Saxophonisten John Butcher, der unermüdlich Tonträger veröffentlicht und schon mit allen ein- schlägigen Szenengrößen kollaboriert hat. Zuletzt ist mit »Nigemizu« ein Live-Mitschnitt von drei Solokonzerten in Japan erschienen, davor hat er mit Fred Frith die Platte »The Natural Order« einge- spielt. Die Label-Website spricht bezüglich dieser CD nicht ganz zu Unrecht von zwei Titanen der Impro-Musik, aber die Auslotungen auf »The Natural Order« sind vielleicht doch ein wenig zu erwartungsgemäß ausgefallen. Auf gewohnt hohem Niveau natürlich, zugleich sehr widerspenstig und daher wirklich nur für die Die-Hard-Fans beider Herren bzw. des Genres interessant. »Nigemizu« hingegen zeigt wesentlich nachdrücklicher (und einmal mehr), dass Butcher zu den Besten seines Faches gehört. Vor allem die beiden längeren Stücke heben sich weit über die Niederungen virtuoser Selbstbeweihräucherung hinaus. Ûber neunzehn bezeihungsweise sechsundzwanzig Minuten hinweg spannt Butcher einen improvisierten Bogen, der von vorne bis hinten eine Einheit ergibt, der eine hörenswerte Geschichte von der holden Improvi- sationskunst erzählt, mal ein wenig verzopft, mal entspannt und neckisch, mal episch, mal lässig und fokussiert zugleich. Wie eben nur bei den ganz großen Meistern verschwindet hier die Barriere zwischen Mensch und Instrument und wir hören den Saxophonist selbst, wie er auf der Bühne steht und uns eine Geschichte in Tönen erzählt. Ein Meisterstück.

cdimpro_4.jpgGroßartiges gibt es ebenso von Fred Frith zu hören. Gemeinsam mit Katharina Weber und Fredy Studer ist »It Rolls« erschienen. Hier fällt zunächst das raumgreifende, voluminöse Spiel der Schweizer Pianistin Katharina Weber auf, das irgendwo zwischen Cecil Taylor und György Kurtág oszilliert (z. B. auf »Wildsstrubel« oder dem fünf- zehnminütigen Titeltrack). Selbst dort wo Frith und Studer die Struktur und Klanggestalt des Tracks vorgeben, wie etwa auf »Arme Seelen«, vollenden erst die gravitätischen Pianoakkorde im Finale das Stück so richtig. Aber das ist natürlich nur ein Detail, »It Rolls« ist insgesamt der Glücksfall eines äußerst gelungenen Impro-Kammerkonzerts, das vor musikalischer Kompetenz geradezu überbordet. Der Personalstil aller drei Protagonisten ist stets präsent und strukturiert die einzelnen Stücke, aber das Zusammenspiel ist in alle Richtungen offen, man ergänzt und verstärkt, befreit und fokussiert einander zugleich. Einmal mehr ist zu hören, welch großartiger und vielseitiger Gitarrist Fred Frith, und welch pointierter und gewitzter Drummer Fredy Studer ist. Aber es ist die Summe aller Einzelteile, die für so viel Hörvergnügen sorgt. Hier verzeiht man auch kleinere Rückfälle in klassische Impro-Stereotypen (wie in »Die Sprache der Dinge«), grundsätzlich sind es genau solche Einspielungen, die die Improvisationskunst am Leben erhalten.

Metheny mit Daiquiry cdimpro_5.jpg

Zum Abschluss gönnen wir uns noch ein paar Takte pure Zerstreuung. Das Skydive Trio spielt auf »Sun Moee« guten, alten, weichgespülten Jazz, den man auch gemütlich um drei Uhr morgens bei einem Schlückchen Daiquiry oder am späten Nachmittag an der Veranda des Ocean Drive Hotels hören könnte. Ein Hauch von frühem Pat Metheny weht uns im melodiösen, stets flüssigen Spiel von Thomas T. Dahl entgegen. Zum Glück mit nicht ganz so penetranter Note, aber doch mitunter nahe dran. Ihm zur Seite stehen der finnische Drummer Olavi Louhivuori (bekannt u. a. von Tomasz Stanko) und der norwegische Workaholic-Bassist Mats Eilertsen. »Sun Moee« ist im Vergleich zu den bis- herigen Tonträgern der pure Regress, knüpft aber doch ein wenig an den fast unbekümmerten Jazzrock der Uneven Eleven an. Nur wurden hier der Biss und die Kompromisslosigkeit durch eine wohltuende Unbekümmertheit und Leichtfüßigkeit einge- tauscht. Eine echte Nachspeise also und darum zum Abschluss dieser Reviewcollection goldrichtig.


 

Uneven Eleven: »Live at Café Oto«. Sub Rosa

Bryan Eubanks/Jason Kahn: »drums saxophone electronics«. Intonema Records

Rudi Fischerlehner/Olaf Rupp: »Live at Lydfestival Aarhus«. Farai Records

Robert Kusiolek/Elena Czekanowa/Pawel Postaremczak/Grzegorz Nowara: »Qui pro quo«. Multikulti Project

Fred Frith/John Butcher: »The Natural Order«. Northern Spy Records

John Butcher: »Nigemizu«. Uchimizu Records

Fred Frith/Katharina Weber/Fredy Studer: »It Rolls«. Intakt Records

SkyDive Trio: »Sun Moee«. Hubro

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