Jean-Jacques Perrey und David Chazam
Jean-Jacques Perrey und David Chazam

All das klebrige Zeug

Eine Naschreise durch Neoromantizismen unterschiedlichster Ausprägung. Mit Neuerscheinungen von Maria Gstättner, Erik Friedlander, Takaakira Goto, Chihei Hatakeyama, Werner Dafeldecker & Nicholas Bussmann, Aidan Baker & Idklang, Chapelier Fou, Jean-Jacques Perrey & David Chazam sowie Økapi.

»Alles ist so süß und zuckrig, so klebrig, vermutlich«, sang die deutsche Popband Die Sterne einst. Diese hübsche Textzeile soll uns wie ein zuckerlrosa Abendstern durch eine Handvoll Neu- erscheinungen begleiten. Wir beginnen mit »Drew Drops« (ein_klang Records), einem Spaziergang zwischen improvisierter und komponierter Musik. Urheber dieser gezeichneten Tränen ist die Fagottistin Maria Gstättner, die mit Judith Reiter (Viola), Tamara Friebel (Live Elektronik), Stefan Heckel (Tasteninstrumente) und Peter Herbert (Kontrabass) vier fähige Mitstreiter um sich versammelt hat. »Drew Drops« verhält sich zu sonst üblichen Ausflügen in die Welt des kammer- konzertalischen Impro wie ein Krapfen zum Salzstangerl. Wo in anderen Fällen jeder Anflug von Melodiösität bis hin zur Abgeklärtheit gescheut wird, da stürzt sich Gstättner hinein in den klebrig-bunten Genredschungel, da wird gepfiffen, da erklingen Triller und Quasi-Jodler, eine Viola d’amore geigt auf, es wird gezupft, verziert, dahingehaucht. Das macht aufgrund der beachtlichen Virtuosität aller Beteiligten durchaus Laune, hinterlässt aber an vielen Stellen einen doch etwas lieblichen Eindruck. (Gstättner wird übrigens sogar in der Pressemitteilung als »rührige Komponistin« beschrieben, ob das eine glückliche Wortwahl ist?) Umgekehrt stellt sich die Frage, ob nicht eine gewisse Verspieltheit und eine gewisse Zuneigung zum Wohlgefälligen ebenso eine Qualität besitzt.

Quasisuiten und falscher Klassikpunk

cdkitsch_1.jpgWäre dem nicht so, müsste man auch die Solo-CD »Illuminations« des New Yorker Cellisten Erik Friedlander (SkipStone Records) in den nächstgelegenen Sondermüllcontainer für überzuckertes Musikwerk entsorgen. Friedlanders »Suite for Solo Cello« ist eine virtuose Tour de Force durch klassische Musikformen, Madrigal, Pavane, Tarantella, Klezmer, tibetanische Tänze … alles zusammengehalten in Form einer Suite nach dem Vorbild J. S. Bachs (den Friedlander auch thematisch zitiert). Diese Mischung aus Stilimitat und kuschelweicher Impro- visation führt »Illuminations« streckenweise an Klassik- versoftungen à la Jacques Loussier heran, ist aber für weniger unterkühlte HörerInnen umso unterhaltsamer und entsprechend zugänglich. Ein amerikanischer Kritiker bescheinigte Friedlander »beseelte Rustikalität«, das trifft die Sache sehr gut. Oder um es in die Terminologie dieser Review zu übersetzen: »Illuminations« ist bestes Cello-Zuckerwert vom Klassikkonditor.

cdkitsch_1.jpgEs geht noch zuckriger. Vor über zehn Jahren spielte Takaakira Goto, bekannt (womöglich) von den Japanischen Instrumentalrockern Mono, ein verträumtes Instrumental- album ein, ein postromantisches Amalgam aus verkitschten Streichern, die ihre minimalistischen Melodien in der Regel zu einem Crescendo verdichten, bis ein schleppender Beat und schmissige Gitarrenwälle einsetzen. Goto war zunächst nicht zufrieden mit dem Resultat, nun scheint er aber doch damit leben zu können – womöglich kam er zur Einsicht, das mittlerweile ohnehin alles auf CD veröffentlicht wird, was auch nur im entferntesten mit Musik zu tun hat. So kam es zum nachträglichen Release von »Classical Punk And Echoes Under The Beauty« (Pelagic Records). Die barocke Pathetik des Titels passt perfekt zu diesem Soundsushi mit Strings, das man sich auch gut als Soundtrack zu einer postapokalyptischen Anime-Romanze vorstellen kann.

Mondlicht über dem Synthesizer
Zieht man von Gotos Werk den analogen Charme und das Lo-Fi-Flair ab, und addiert eine gesunde Portion Ambient hinzu, so landet man beim jüngsten Werk seines Landsmannes Chihei Hatakeyama. »Moon Light Reflecting Over Mountains« (Room40) macht schon im unironisch kitschigen Titel alles klar. Hatakeyama könnte ein Ziehsohn von Ryuichi Sakamoto sein, auch wenn ihm zur Subtilität des altgedienten Großmeisters noch ein Torteneck fehlt. Dafür scheint das Mondlicht zu noisig-fahl auf diese Tracks, die sich in ihrer sphärischen Schönheit allzu sehr selbst genügen. Zur naheliegenden Frage, ob es denn kein Kitsch mehr ist, wenn man streichelweiche Klänge und Harmonien zu sphärischen Soundwelten erstarren lässt, könnte man allerdings eine ganze Reihe von Ambient-Releases vorführen, etwa »Rydberg« von Werner Dafeldecker und Nicholas Bussmann (Monotype Records), cdkitsch_1.jpgoder die aktuelle Koop- eration von Aidan Baker & Idklang namens »In the Red Room« ( Karlrecords).

Im ersten Fall herrscht ein voluminöser, soundsatter Stoizismus, im zweiten Fall eine minimalistische, auf Gitarrendrones basierende Psychedelic vor, in beiden Fällen ertönen zwar keine Streicher und keine vordergründige Soundschmeichelei, trotzdem lässt sich das Resultat als relaxter Soundkitsch diffamieren, der durch sein har- monisches Understatement zwar cool klingt, aber dem Gehör auch nicht viel mehr abverlangt als eine Sachertorte dem Gaumen. Das ist kein Einwand gegen die Skills und raffinierten Spielereien, mit denen diese Klangdestillate erzeugt wurden (besonders im Falle der Herren Baker & Idklang bzw. Markus Steinkellner), aber irgendwie scheint die Sprödheit und Reduktion, die dem Genre innewohnt, längst zur Attitüde erstarrt. Ûbrig bleibt eine Art Hintergrundmusik für die Fließbandarbeit in der Schokoladefabrik.

Der Plastikbert ist wieder da

Nehmen wir nun den Ambient wieder weg, den stehenden Ton, der meist aus einem Synthesizer kommt oder via Effektgerät entsteht, lassen wir nur ein minimalistisches Thema übrig, dazu gezupfte Akustikgitarren, rührselige Streicher und einen Hauch Popappeal, dann kommen wir direkt zur »Fuses«-EP von Chapelier Fou (Ici d’ailleurs). Instrumentaltracks (plus drei Remixes, u. a. von To Rococo Rot), die direkt für die Hochzeit von Ken & Barbie komponiert sein könnten, eine Harmlosig- keit, die uns als psychedelisch und minimalistisch verkauft wird, aber im Grunde nur noch klebrig ist, reines Schaumgebäck. Ist es da nicht besser, gleich die Flucht nach vorne anzutreten?

cdkitsch-4.jpgDie Rede ist von »Ela« von Jean-Jacques Perrey und David Chazam (Freaksville Music). Hier trifft Plastic Bertrand auf Van Dyke Parks oder Devo auf Art of Noise, was man wahlweise als genial überdrehten Avantgardepop- kitsch oder als definitiven Anwärter auf das Bad-Taste– Album des Jahres einstufen kann. Perrey ist übrigens legendärer Vertreter des französischen Elektropop und hat u. a. mit Gershon Kingsley zusammengearbeitet, der die unsägliche Nummer »Popcorn« verbrochen hat, das durch die Band Hot Butter zum Welterfolg wurde. Und welch Wunder, auf Track 3, »Chronophonie«, springt uns tatsächlich das signifikante Plop-Motiv aus »Popcorn« wieder entgegen. Vermutlich braucht es mehr Mut, seinen Freunden ein paar Tracks aus »Ela« vorzuspielen, als eben mal eine Ambient-CD im Hintergrund laufen zu lassen. Dieser Mut macht sich aber bezahlt. »Ela« treibt den Kitsch ins parodistisch-absurde Extrem, wo er zwar auf Dauer auch unerträglich wird, in kleinen Dosen aber herrlich unterhaltsam ist. Hier wird der akustische Süßstoff wieder cool, weil er sich nicht in der Verweigerung vor vordergründigem Wohlklang erschöpft, um dann über die Hintertür doch allzu Gefälliges zu produzieren, sondern weil er sich zur radikalen Kunterbuntheit bekennt. 

Da passt als absolut letzter Eintrag das aktuelle Album »Pruffoli« descdkitsch-5.jpg Italieners Økapi aka Filippo Paolini perfekt, der seinen überdrehten Kitsch als Cutup-Fresko inszeniert, das zwischen Roaring Twenties, Synthie- pop und Softjazz keinen Genierer kennt und all diese Ver- satzstücke zu verdrehten, putzigen Tracks zusammenleimt (im Opener von Till Abrecht Jann mit schmachtender Croonersahne verziert). »Pruffoli« ist endgültig ein Besuch beim Sound- und Genrekonditor, wo man zwischen diversen überkitschten Leckereien mit leichtem Dancefloor-Einschlag gustieren darf, aber wie bei Jean-Jacques Perrey und David Chazam ist dieser Kitsch weder unfreiwillig noch unbe- holfen, sondern pure, teils schelmische Absicht – und darum letztendlich schwerstens zu empfehlen.


Gstättner, Heckel, Friebel, Herbert, Reiter: »Drew Drops« // ein_klang

Erik Friedlander: »Illuminations« // SkipStone Records

Takaakira Goto: »Classical Punk And Echoes Under The Beauty« // Pelagic Records

Chihei Hatakeyama: »Moon Light Reflecting Over Mountains« // Room40

Werner Dafeldecker, Nicholas Bussmann; »Rydberg« // Monotype Records

Aidan Baker & Idklang: »In the Red Room« // Karlrecords

Chapelier Fou: »Fuses« // Ici d’ailleurs

Jean-Jacques Perrey & David Chazam: »Ela« // Freaksville Music

Økapi: »Pruffoli« // Ongaloo

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