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Popdeutschland halt’s Maul, Teil XCIII (ein Selbstversuch)

Die Redaktion betrachtet mich offensichtlich als Entsorgungsmöglichkeit für Deutschpop-Promo-Sondermüll. Sehr schmeichelhaft, danke! Folgendes wurde mir nämlich bei meinem letzten Wienbesuch aufgenötigt: Samba fielen erstmals 1995 unangenehm auf als der (nicht direkt notwendige) Beweis, dass Majorplattenfirmen eh nix kapieren (v. a. nicht »die Hamburger Schule«). Mit »Die Ekstase der Möwen« sind sie endlich in der schwarz-rot-goldenen Kuschelrockmühle (nämlich bei Tapete) gelandet und wollen, wie alle, authentischen deutschen Pop. Den kriegen sie, wie alle, auch hin: als glitschige Unverkrampftheit mit leicht übersteuerten Tomte-Texten: »Normale Leute brennen nicht/Doch wir sind es gewohnt/Dass Lieder zum Aufwachen sind«. Aber wieso eigentlich immer dieser Keyboardsound? (Haben wir nicht alle jahrelang für dessen wohlverdiente Ächtung gekämpft?) Und das hemdsärmelige Schlagzeug, das Groove nur als Familienausflug denken kann? Und diese Texte: entweder als Diabetikerschokoladenversion der Tocotronic-Spätphase (»Vibrationen sind unser Licht hier«) oder gleich als Ursula-von-der-Leyen-Broschüre (»Es ist wie Hochzeit/Wie ein schöner Brauch«). Ist das noch Musik oder schon Werbung? Und: Gibt es für so was nicht Hobbies oder Kinderwägen und den Prenzlauer Berg? – Nur echt jedenfalls mit deutschen Qualitätsgefühlen (Geborgenheit, Eigentlichkeit, Werte ??). Mit denen dealt auch FRANCESCO WILKING, sonst Tele-Sänger, falls das irgendwen interessiert, auf seiner Solo-Platte »Die Zukunft liegt im Schlaf« (Tapete) dann die leider nicht limitierte Manufactum-Sonderedition von Leonard Cohen: »Zeit für ein Gebet/Wei&szligt Du wie das geht«. Nö, zum Glück nicht! Ich wei&szlig nur, dass mir Typen wie der (die zugehörige »Junges Wohnen«-Visage bitte mal selber googlen) nichts erzählen dürfen. Vor allem nicht, dass sie irgendwie der deutsche Randy Newman wären (höchstens in dem Sinne, wie Till Schweiger der deutsche Bruce Willis ist, und Hitlerjugend das deutsche Coming-of-age). Und wer hat ihm eigentlich erlaubt, Caetano Veloso einzudeutschen? Und wieso singen diese ganzen FantasiesongpoetInnen eigentlich alle so, als wären sie eine fast leere Zahnpastatube, aus der aber noch was rausgedrückt werden kann? Von CLICK CLICK DECKER hei&szligt es manchmal, der soll ganz okay sein. Bisher hatte ich weder vor, das zu glauben, noch es zu falsifizieren. Aber wenn wir schon dabei sind: Auf »Du ich wir beide zu den fliegenden Bauten« (Audiolith) singt er ungefähr wie Francesco Wilking und verbreitet ungefähr die gleiche Ikea-Ideologie: »Es gibt nichts Schöneres/Als irgendwo mit Dir angekommen zu sein [??] Wenn Du an etwas glaubst/Dann tu ich’s erst recht [??] Komm wir geben dem Kind einen Namen/Und warten auf den/Der nicht kam [??] Im Engtanz mit den Zweifeln/Auf dem brüchigen Parkett«. Und obwohl das alles nicht sein Ernst sein kann, klingt es doch leider genau so: ernst wie Kruppstahl. Die Elterngeneration des grünalternativen Pop (Bernies Autobahn Band oder Ape Beck und Brinkmann) war dagegen beinahe Captain Beefheart. Ihre schwarz-rot-grünen Kinder sind dann schon das, wovor die immer gewarnt haben. Z. B. als Click Click Decker halbtotale Scheiße; »Halb-«, weil mir die geräuschhaften Schmirgel-Beats im Hintergrund beim Schnelldurchlauf »halbokay« vorkamen, zumindest bis sie von der Mike-Krüger-Gitarre und dem Kirchentagsgesang wieder niedergeknüppelt werden. THE SLEEP TWITCH sind mit »Behind your back« (Tree Graden Rec./Hoanzl) beinahe eine Erlösung, weil eben nur uninteressant, aber wenigstens auf Englisch, so dass ich zum Glück nicht mitkriegen muss, was die österreichische Indie-Jugend so denkt und meint und fühlt. Danke dafür! Ansonsten natürlich einmal mehr: Altbacken is the new young. Dito CHUCKAMUCK, von denen ihr sicher schon in dem einen oder anderen Umsonstmagazin gelesen habt, sie wären die neue deutsche Losgeh-LoFi-Hoffnung. Aber ihr wisst ja selbst, dass ihr denen kein Wort glauben dürft. »Wild for adventure« (Staatsakt) bietet leider nur gemä&szligigten deutschen Garage Beat, dem letztlich mehr fehlt, als er geltend machen kann. Z. B. Songs. Oder Ideen. Oder Perspektiven. Und der irgendwo zwischen Headcoats und Bettcouch so dahindümpelt. Bleibt nur die Frage, was das alles jetzt mit mir macht: Wächst mir jetzt ein schwarz-rot-goldener Iro? Und brauche ich ganz dringend Lebensraum im Osten? Oder möchte ich doch nur bitte ein Bit? Und den Bausparvertrag, der mir verdammt noch mal zusteht. Ich wei&szlig es wirklich nicht, ich wei&szlig nur eins, und da bin ich sicher: Deutschpop muss sterben, damit wir leben können.

Die Redaktion betrachtet mich offensichtlich als Entsorgungsmöglichkeit für Deutschpop-Promo-Sondermüll. Sehr schmeichelhaft, danke! Folgendes wurde mir nämlich bei meinem letzten Wienbesuch aufgenötigt: Samba fielen erstmals 1995 unangenehm auf als der (nicht direkt notwendige) Beweis, dass Majorplattenfirmen eh nix kapieren (v. a. nicht »die Hamburger Schule«). Mit »Die Ekstase der Möwen« sind sie endlich in der schwarz-rot-goldenen Kuschelrockmühle (nämlich bei Tapete) gelandet und wollen, wie alle, authentischen deutschen Pop. Den kriegen sie, wie alle, auch hin: als glitschige Unverkrampftheit mit leicht übersteuerten Tomte-Texten: »Normale Leute brennen nicht/Doch wir sind es gewohnt/Dass Lieder zum Aufwachen sind«. Aber wieso eigentlich immer dieser Keyboardsound? (Haben wir nicht alle jahrelang für dessen wohlverdiente Ächtung gekämpft?) Und das hemdsärmelige Schlagzeug, das Groove nur als Familienausflug denken kann? Und diese Texte: entweder als Diabetikerschokoladenversion der Tocotronic-Spätphase (»Vibrationen sind unser Licht hier«) oder gleich als Ursula-von-der-Leyen-Broschüre (»Es ist wie Hochzeit/Wie ein schöner Brauch«). Ist das noch Musik oder schon Werbung? Und: Gibt es für so was nicht Hobbies oder Kinderwägen und den Prenzlauer Berg? – Nur echt jedenfalls mit deutschen Qualitätsgefühlen (Geborgenheit, Eigentlichkeit, Werte ??). Mit denen dealt auch FRANCESCO WILKING, sonst Tele-Sänger, falls das irgendwen interessiert, auf seiner Solo-Platte »Die Zukunft liegt im Schlaf« (Tapete) dann die leider nicht limitierte Manufactum-Sonderedition von Leonard Cohen: »Zeit für ein Gebet/Wei&szligt Du wie das geht«. Nö, zum Glück nicht! Ich wei&szlig nur, dass mir Typen wie der (die zugehörige »Junges Wohnen«-Visage bitte mal selber googlen) nichts erzählen dürfen. Vor allem nicht, dass sie irgendwie der deutsche Randy Newman wären (höchstens in dem Sinne, wie Till Schweiger der deutsche Bruce Willis ist, und Hitlerjugend das deutsche Coming-of-age). Und wer hat ihm eigentlich erlaubt, Caetano Veloso einzudeutschen? Und wieso singen diese ganzen FantasiesongpoetInnen eigentlich alle so, als wären sie eine fast leere Zahnpastatube, aus der aber noch was rausgedrückt werden kann? Von CLICK CLICK DECKER hei&szligt es manchmal, der soll ganz okay sein. Bisher hatte ich weder vor, das zu glauben, noch es zu falsifizieren. Aber wenn wir schon dabei sind: Auf »Du ich wir beide zu den fliegenden Bauten« (Audiolith) singt er ungefähr wie Francesco Wilking und verbreitet ungefähr die gleiche Ikea-Ideologie: »Es gibt nichts Schöneres/Als irgendwo mit Dir angekommen zu sein [??] Wenn Du an etwas glaubst/Dann tu ich’s erst recht [??] Komm wir geben dem Kind einen Namen/Und warten auf den/Der nicht kam [??] Im Engtanz mit den Zweifeln/Auf dem brüchigen Parkett«. Und obwohl das alles nicht sein Ernst sein kann, klingt es doch leider genau so: ernst wie Kruppstahl. Die Elterngeneration des grünalternativen Pop (Bernies Autobahn Band oder Ape Beck und Brinkmann) war dagegen beinahe Captain Beefheart. Ihre schwarz-rot-grünen Kinder sind dann schon das, wovor die immer gewarnt haben. Z. B. als Click Click Decker halbtotale Scheiße; »Halb-«, weil mir die geräuschhaften Schmirgel-Beats im Hintergrund beim Schnelldurchlauf »halbokay« vorkamen, zumindest bis sie von der Mike-Krüger-Gitarre und dem Kirchentagsgesang wieder niedergeknüppelt werden. THE SLEEP TWITCH sind mit »Behind your back« (Tree Graden Rec./Hoanzl) beinahe eine Erlösung, weil eben nur uninteressant, aber wenigstens auf Englisch, so dass ich zum Glück nicht mitkriegen muss, was die österreichische Indie-Jugend so denkt und meint und fühlt. Danke dafür! Ansonsten natürlich einmal mehr: Altbacken is the new young. Dito CHUCKAMUCK, von denen ihr sicher schon in dem einen oder anderen Umsonstmagazin gelesen habt, sie wären die neue deutsche Losgeh-LoFi-Hoffnung. Aber ihr wisst ja selbst, dass ihr denen kein Wort glauben dürft. »Wild for adventure« (Staatsakt) bietet leider nur gemä&szligigten deutschen Garage Beat, dem letztlich mehr fehlt, als er geltend machen kann. Z. B. Songs. Oder Ideen. Oder Perspektiven. Und der irgendwo zwischen Headcoats und Bettcouch so dahindümpelt. Bleibt nur die Frage, was das alles jetzt mit mir macht: Wächst mir jetzt ein schwarz-rot-goldener Iro? Und brauche ich ganz dringend Lebensraum im Osten? Oder möchte ich doch nur bitte ein Bit? Und den Bausparvertrag, der mir verdammt noch mal zusteht. Ich wei&szlig es wirklich nicht, ich wei&szlig nur eins, und da bin ich sicher: Deutschpop muss sterben, damit wir leben können.

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