Gabriel saloman © Himself
Gabriel saloman © Himself

Nachts, wenn die Maschinen schlafen

Ambient lebt! Irgendwie zumindest. Ein Rundgang durch aktuelle Genreeinträge unter anderem von Jon Hassell, Brian Eno, Günter Schickert, Pharoah Chromium, Rasmus Fisker, Stefan Németh, Gabriel Saloman, Arandel & Mathias Delplanque.

In den letzten paar Jahren habe ich sicher an die 50 Tonträger für das skug besprochen, die sich dem Genre »Ambient« zuschreiben lassen ¬- bzw. von mir mutwilliger Weise diesem Genre zugeschrieben wurden. Unfassbar eigentlich. Denn irgendwo steht Ambient für eine sehr zeitgemäße Sackgasse in der Musik. Ein nicht Weiterkommen einerseits, weil es in herkömmlichen kompositorischen Sinne kein Weiterkommen gibt. Das akribische Tüfteln am Sound, die experimentelle Liebe zum gediegenen Klang wird oft zur Hintertür, während man sich auf weiter Flur im Nebel der kompositorischen Indifferenz verirrt hat. Andererseits ist es um so spannender, wenn sich unter diesen reduzierten, auf wenige Parameter beschränkten Bedingungen doch noch Hörenswertes ereignet.

cda1.jpgEin absoluter Ambient-Hohepriester ist Brian Eno, im Grunde sogar der Ûbervater und Namensgeber (mit seiner 1978 erschienenen Platte »Ambient 1: Music for Airports«). Zwei Jahre später legte er gemeinsam mit Trompeter Jon Hassel die Platte »Fourth World Music Vol. I: Possible Musics« vor, die vielleicht nicht ganz so bekannt wie das genrebezeichnende Erstlingswerk, aber vermutlich insgesamt einflussreicher ist. Was einerseits an den dezenten Rhythmuspatterns liegt, die irgendwo zwischen tribal beats und Wellnessgeklöppel (aus heutiger Sicht) angesiedelt sind und das einschlägige Ambientfeeling angenehm aufweichen, und andererseits ist es natürlich Jon Hassels zurückgenommene, »primitive« Arbeit an der Trompete, die herrlich stimmig daher kommt (man hört sofort, wo ein Nils Petter Molvær oder ein Arve Henriksen die Schulbank gedrückt haben). Diese wirklich gelungene Platte, die heute vermutlich sogar attraktiver zu hören ist als noch 1980, wurde vom Label Glitterbeat remastered und neu aufgelegt.

cda1.jpgNicht bloß frisch gepresst, auch frisch gemacht ist die Triple-LP »Oxtlr« von Günter Schickert und Pharoah Chromium, erschienen auf dem renommierten Grautag-Label, das sich speziell dem Subsubgenre dsytopischer Klangentwürfe verschrieben hat. Schickert ist ein alter Haudegen der deutschen Experimentalszene, der schon während der Krautrock-Ära tätig war, allerdings überwiegend mit Freejazz-Einschlag. Seine spärlichen Veröffentlichungen gelten teilweise als Underground-Klassiker, aber so ein richtiger Geheimtipp ist Schickert nicht wirklich geworden. Hinter Pharoah Chromium verbirgt sich der Deutsch-Palästinenser Ghazi Barakat, ähnlich wie Schickert ein Freund von imaginären Soundtracks und Klanglandschaften. Was die beiden im Duo vorlegen, ist dementsprechend eine richtig fette Ambientladung, die sich viel Zeit nimmt und sich erfreulicherweise etwas psychedelisch und, ja, tatsächlich einen Hauch krautrockig gibt, aber von der entspannten Verspieltheit eines Jon Hassel sind wir hier weit weg. Hier herrscht eher epische Wucht und eine teutonisch-palästinensische Fluidumsdisziplin. Klingt das widersprüchlich? Macht nichts. Auf jeden passt »Oxtlr« perfekt in das Grautag-Portfolio.

Androiden in Frühpension

cda1.jpgGanz im Gegenteil dazu sehr entspannt geht es der dänische Soundbastler Rasmus Fisker auf »Hydra« an. Als »post millenium electronica« will uns die Pressemitteilung sein Werk verkaufen, was vielleicht an den vielen stimmigen musikalischen Ideen liegt, mit denen Fisker seinen sphärischen Zeitlupen-Elektropop versetzt. Mal tönt das Piano gravitätisch, mal surrt es wie im Bienenhotel, mal scheppern metallurgische Soundwelten im fröhlichen Weichzeichner. Aber das kennzeichnet diese »Hydra« generell: ein warmer, weicher Sound, der sich über alle seine experimentellen Spielereien legt. Wir hören eine Art David Hamilton des experimentellen Elektropops, was postwendend zur Ambient-Eingemeindung wider Willen führt. Apropos Eingemeindung: Nehmen wir gleich auch noch die 12“ »Koi« des Österreichers Stefan Németh mit, der Soundtrack zu einem Experimentalfilm, für den Németh auch als Regisseur verantwortlich zeichnet. cda1.jpgDie Musik fließt hübsch dahin, tranceartig und leicht oszillierend. Der zweite Track ist etwas ziselierter als der erste, aber nicht wesentlich mehr fordernd. Vermutlich war es so nicht gedacht, aber als Entspannungsmusik für Androiden mit Frühpensionsanspruch ist »Koi« optimal. Und wo wir schon dabei sind, ebenfalls eine fast astreine Ambient-Fingerübung ist Gabriel Saloman mit seiner CD »Movement Building Vol. 1« (erschienen auf Shelter Press) gelungen. Allerdings gibt Saloman seiner zweiteiligen Komposition einen Drall in Richtung Bolero, indem er marschartige Percussions einfließen lässt, die eine hübsche Sogwirkung erzeugen (gar nicht unähnlich übrigens zu den möglichen Musiken von Eno & Hassell). Auch eine sehr hübsche, sehr gelungene Sache.

Solarsonar
cda5.jpgErneut sehr leichtfüßig geht es die CD »Re: Residual«, erschienen auf dem belgischen Label Parenthese Records, an. Es handelt sich um die Remixes einer 2010 ebenfalls auf demselben Label erschienen Kollaboration zwischen Peter Knight und Dung Nguyen, ein Stück Ambient mit einer sehr reizvollen, fernöstlichen (bzw. eben vietnamesischen) Schlagseite. Renommierte Soundtüftler und Komponisten wie Mathias Delplanque (siehe unten), Tilman Robinson, Joe Talia, Black Sifichi und Dan West nahmen sich der fünf Originaltracks an und wandelten den fast reinen Ambientsound in einen schlafwandlerischen Ambient-Trancefloor um, mal etwas eingängiger gebürstet, mal fast so sphärisch zurückhaltend wie das Original. Noch weiter in Richtung Schnarchnasendancefloor und Elektropop für Tagträumer bewegt sich die CD »Solarspellis« von Arandel (sehr klassisch übrigens: sobald von Sonnen, Sternen, Monden oder Universen die Rede ist, wird’s sphärisch). cda6.jpgDazu darf man sich folgenden Beipackzetteltext reinziehen: »Arandel ist keine Band. Arandel ist kein Charakter. Arandel ist ein anonymes Projekt. Um für immer und ewig die Musik in den Vordergrund zu rücken.« Das ist vielleicht etwas hochtrabend formuliert für eine Musik, deren witzigste Eigenschaft es ist, irgendwo zwischen Bubblegumelektropop (Plastic Bertrand & Co.) und einem popwärts gebürsteten Ambientsound zu oszillieren. Oder in Referenzen gedacht: Wir befinden uns auf dem neonbeleuchteten Highway, der von Brian Eno direkt zu Oneohtrix Point Never führt. Die Besonderheit an »Solarspellis« ist aber doch, dass alle Stücke live und analog eingespielt sind, schön warm, schön weich, schön symphonisch.

Maschinenschlaf

cda7.jpgUnd da wir ohnehin schon auf Ambientabwegen sind, können wir schließlich noch die CD »Transmissions« von Mathias Delpanque dazu packen. Die ist, was die Genreheimat betrifft, hier nun wirklich fehl am Platz, denn der Franzose Delplanque macht in Elektroinstallationen, basierend auf Maschinensounds, also Webstühle, Drehbänke, Schweißgeräte, Kreissägen und was es sonst noch hinter schmutzigen Fabrikfassaden akustisch abzutasten gibt. Doch anders als viele seiner Kollegen verfugt Delplanque diese Sounds zu einem Teppich, der in seiner Struktur eher an Ambient erinnert. Natürlich sind wir ein paar Tagesmärsche von harmlos wummernden Soundkathedralen entfernt, aber »Transmissions« hat definitiv eine meditative Qualität – und das ist bei einem Werk, das auf Maschinensounds beruht, dann doch ganz schön erstaunlich (insbesondere das Finale des 40-minütigen Abschlussstücks sei Ambientfans empfohlen). Wo mit wir auch wieder am Anfang sind, bei den kleinen Ûberraschungen, die das Genre am Leben erhalten – in all seiner traumwandlerischen Monotonie.

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