»My Poet’s Love« ist eine mehr als solide Angelegenheit. Man würde auf exquisit dargebotenen Barjazz tippen, wären die Arrangements nicht gar so pointiert, die Arbeit an den Begleitinstrumenten nicht gar so überragend. Aber das ist wenig verwunderlich, für die Arrangements zeichnet Mathias Ruegg (der ehemalige Vienna Art Orchestra Chef) verantwortlich, ihm und Lia Pale zur Seite stehen unter anderem Ingrid Oberkanins (Percussions), Hans Strasser (Bass) oder Mario Rom (Trompete, Flügelhorn). Für diese Belegschaft hagelt es Virtuositätsbestnoten, weil es gar so eine Freude ist, ihren Künsten zuzuhören. Auch Frau Pale agiert souverän, aber nicht unbedingt extraordinary. Das liegt nicht am technischen Können (auch das ist makellos), sondern an der Stimme, die leider kein Türchen zu einer noch nie gehörten Nuance im Jazz öffnet. Das ist vielleicht etwas vermessen, aber irgendwie wünscht man sich bei so viel Kompetenz auch eine Stimme, die ebenfalls vom Sockel reißt. Trotzdem eine spaßige, schwungvolle Angelegenheit auf höchstem Niveau. Die Songs beruhen übrigens auf jeweils sieben Versen von Heine und Rilke, da aber Frau Pale in Englisch singt, müssen Lyrik-Connaisseure schon ganz genau die Ohren spitzen.
Wir hüpfen nach Norwegen, zum renommierten Label rune grammophon. Dort hat das Duo Albatrosh, bestehend aus Eyolf Dale am Klavier und André Roligheten an Saxophon und Klarinette ihr mittlerweile fünftes Album namens »Night Owl« veröffentlicht. Während das letzte Album »Tree House« eine Zusammenarbeit mit dem Trondheim Jazz Orchestra war, zieht man sich hier wieder ganz zurück in die wohlige Duo-Innerlichkeit und wie stets erweisen sich Albatrosh als Wiedergänger auf höchsten Niveau. Diese Album hätte auch unter der Ägide von Rudy van Gelder entstehen können oder in jedem Jahrzehnt danach, solange es ein Jazz war, der dem Kammerkonzert weitaus näher stand als jeder Hang zum »Free«. Wobei vor allem das Klavierspiel von Eyolf Dale für diesen Effekt sorgt. Obwohl das Zusammenspiel beider Herren fast ausschließlich ein Genuss ist, klingt es an manchen Stellen, als würde ein Jazzsaxophonist mit einem klassischen Pianisten parlieren. Nur selten weichen die beiden Herren von diesem Third-Stream-Konzept ab, trotzdem ist »Night Owl« ein ebenso entspannter wie anspruchsvoller Hörgenuss.
In derselben Nische jazzt auch der Schweizer Christoph Irniger munter vor sich hin. Schon auf seinem Debut von 2012, »Gowanus Canal«, zeigte der Saxophonist, dass er ein Freund eingängiger Melodien ist. Seine schön getragenen Soli wurden vom amerikanischen Bassisten Raffaele Bossard und dem israelischen Schlagzeuger Ziv Ravitz schön dicht und mit verspielter Komplexität untermalt. Auf der neuen CD »Italian Circus Story« ist Bossard noch mit im Boot, aber Irniger hat sich den Gitarristen Dave Gisler, den Pianisten Stefan Aeby und Michi Stulz an den Drums geholt. Der traditionskompetente Zugang des Debuts ist hier passé, eine italienische Zirkustollerei à la Fellini darf man aber auch nicht erwarten. Es geht vielmehr reichlich verkopft zu, mit leichtem Hang zu reinen Improvisation. Aber sobald Irniger und seine Mannen losgrooven, ist die Welt des Jazz wieder in Ordnung, weil diese vertraute Welt mit verhaltenem Gestus fast schon Note für Note neuerfunden wird, was natürlich praktisch unmöglich ist, aber man ist dem wahren Ding jedenfalls knapp auf der Spur. Unüberhörbar, dass Irniger sich nicht damit begnügt, ein guter Saxophonist zu sein, er will auch ein Ensemble haben, dass frisch und unverbraucht klingt. Das ist ein hehres Ziel und sagen wir mal, dass dafür gute Ansätze vorhanden sind.
Wesentlich länger im Geschäft als Irniger ist der deutsche Gitarrist Axel Fischbacher, der auch grundsätzlich mehr im Jazzmainstream geerdet ist.Ûber 50 CD-Aufnahmen listet seine Biographie auf, sowie Tourneen mit Danny Gottlieb, Mark Egan, Steve Grossman und vielen mehr. Auf seiner neuen CD »normal.« hat er sich den israelischen Saxophonisten Ohad Taylor, den Bassisten Johannes Weidenmüller und den Drummer Adam Nussbaum geholt. Alle drei sind vielbeschäftigte Sidemen aus der New Yorker Jazzszene, über deren Virtuosität gar kein Zweifel besteht. Dementsprechend lässig und kompetent geht es auf »normal.« zu. Die Tracks bersten vor Spielfreude, die Grooves sind flüssig und fein nuanciert, trotzdem klingt die Sache insgesamt nach einer Jazzzeitreise. Nussbaum hat beispielsweise 1979 mit John Scofield, Wayne Dockery und Hal Galper das großartige Album »Ivory Forrest« eingespielt, das sich ein wenig wie der große Bruder zu »normal.« anhört.
Wir bleiben im Gestern, allerdings in einem Gestern, das damals für ein »Morgen« stand und heute immer noch einen Hauch von Unverbrauchtheit in sich trägt. Die Rede ist von The Jazz Composer’s Orchestra, jenem legendären Ensemble, das Komponist und Trompeter Michael Mantler 1968 gemeinsam mit Carla Bley, der Grande Dame des durchgeknallten orchestralen Jazz, gründete. Das damalige Debutwerk, an dem Jazzgötter wie Pianist Cecil Taylor, Kornettist Don Cherry, Posaunist Roswell Rudd, Gitarrist Larry Coryell oder die Saxophonisten Pharoah Sanders und Gato Barbieri mitwirkten, zählt zu den absoluten Klassikern der symphonischen Jazzmoderne (Third Stream ist übrigens auch hier das geheime Schlüsselwort). Bei der Digitalisierung seines Aufnahmekatalogs entschloss sich Mantler, das damalige Meisterwerk upzudaten (inklusive nie veröffentlichter Outtakes) und neu aufzunehmen. Und zwar in seiner ursprünglichen Heimatstadt und mit der von Christoph Cech geleiteten Nouvelle Cuisine Big Band, in der sich wiederum Kapazunder wie Bjarne Roupé (Gitarre), Wolfgang Puschnig, Clemens Salesny, Harry Sokal (alle Saxophon) oder David Helbock (Piano) versammeln. Dieses »The Jazz Composer’s Orchestra Update« wurde im Herbst 2013 Wiener Jazzclub Porgy & Bess aufgenommen und (wie das Original) auf ECM veröffentlicht. Zwei Anmerkungen dazu: a) Dieses Update fügt dem Original nicht wirklich eine neue oder »modernere« Note hinzu, aber da das Original bis heute ziemlich unverstaubt klingt, stört das nicht weiter, der quirlige, schräge und fundamentalfusionistische Charakter des Originals lebt hier auf großartige Weise weiter. B) Das Wiener Ensemble kann es in seiner Reputation nicht mit den Vorgängern aufnehmen, aber die Umsetzung ist in virtuoser Hinsicht mindestens ebenbürtig und beweist einmal mehr die wirklich außergewöhnliche Güte und Talentdichte der österreichischen Jazzszene.
Wir bleiben in der Nähe und hören in die neue CD des David Helbock Trios hinein: »Aural Colors«. Helbock ist als Pianist, das darf man ruhig so sagen, eine Klasse für sich. Vergleicht man seine Bekanntheit mit der von Brad Mehldau muss man eigentlich sofort in Tränen ausbrechen, denn den Herrn Mehldau spielt Herr Helbock mit zurückgebundener rechter Hand noch an die Wand. Okay, das ist jetzt übertrieben, zumal auf manchen Stücken eine gewisse Seelenverwandtschaft zwischen beiden Herren zu bestehen scheint. Aber wo sich Mehldau in selbstgefällig-gemütlicher Könnerschaft ausruht, bleibt Helbock stets spritzig und immer bereit, sich selbst herauszufordern. Also verjazzt er auf dem neuen Album auch drei Stücke von Arnold Schönberg mit einer Lässigkeit, die man so selten gehört hat (na ja, okay, Cecil Taylor lässt hier ganz anständig grüßen … aber Hallo, da sind wir ja schon wieder im Third Stream). Zu dieser funkensprühenden Virtuosität kommt noch eine hübsch eigenwillige Verschrobenheit (großartig war etwa auch Helbock’s Prince-Cover-Album »Purple« vor drei Jahren) und ein Hang zum perkussiv forcierten Piano hinzu, was »Aural Colors« umso mehr zur puren Hörfreude werden lässt. Großartig auch die zwei Begleiter, Herbert Pirker an den Drums und Raphael Preuschl an der Bassukulele (!).
Zum Abschluss und zum Drüberstreuen, weil die bisherigen Tonträger gar so der instrumentalen Tradition des Jazz verhaftet waren, steigen wir noch schnell in den Flieger und düsen nach New York, zu dem von John Zorn gegründeten Tzadik Label, bei dem das Jazzrocktrio Hypercolor seine dritte CD veröffentlichte. »Hypercolor« besteht aus dem Gitarristen Eyal Maoz, dem Bassisten James Ilgenfritz und dem Drummer Lukas Ligeti, seineszeichens niemand geringerer als der Sohn von Komponistenlegende György Ligeti, der aber ob der Jazzaffinität seines Sohnes anno dazumal die Hände entsetzt zusammengeklatscht haben soll. Anyway. Es wird nicht ganz klar, wo die drei Herren hinwollen, einerseits sind die Tracks teilweise rhythmisch hübsch vertrackt und zickig, was aber nicht ganz zur rifflastigen Gitarre von Maoz passt. Dementsprechend ist »Hypercolor« dort am überzeugendsten, wo die Jazzrockallüren am wenigsten offensichtlich zu Tage treten. Aber im Grunde sehnt man sich nach ein paar Tracks dieser CD zurück zu den verspielt-überdrehten Songs einer Lia Pale, oder zum vertrackt-symphonischen Jazz eines Michael Mantler oder zur funkensprühenden Improvisationskunst von David Helbock.
Lia Pale: »My Poet’s Love« / Columbia
www.liapale.net
Eyolf Dale, André Roligheten: »Night Owl« / rune grammofon
www.runegrammofon.com
Christoph Irniger Pilgrim: »Italian Circus Stories« / Intakt Records
www.intaktrec.ch
Axel Fischbacher: »normal.« / Jazzsick Records
www.axelfischbacher.com
Michael Mantler: »The Jazz Composer’s Orchestra Update« / ECM
www.ecmrecords.com
David Helbock Trio: »Aural Colors« / Traumton
www.davidhelbock.com
Hypercolor: »Hypercolor« / Tzadik Records
hypercolor.bandcamp.com