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Von der Soundhölle in die Badewanne

Dem Gott des Lärms sei’s gedankt, es gibt wieder hörenswerte Musik im großen Gemüsegarten von Noise, Impro und experimenteller Musik. Ein kleiner Rundgang mit Tonträgern von Aspec(t) Zalaski, Fred Frith Trio, Don Cherry, Pierre Favre, Léon Francioli, Irène Schweizer, John Tchicai, Edith Allonso und Ivar Grydeland.

Manchmal zieht es einen einfach ins düstere, krachige Eck. Dorthin, wo harmonischer Wohlklang ins Dissonante kippt, wo jede melodiöse Nachvollziehbarkeit stiften geht, wo auch eine trashige Klöppelei längst nicht reicht, sondern es darüber hinaus pfeifen und krachen und zischen muss, als wäre der digitale Teufel höchstpersönlich aus den elektroakustischen Tiefen emporgestiegen, um Sphärengeknister und zickige Soundraserei auszuspucken. Anstelle von Drum ’n’ Bass ’n’ Guitar liest man bei der Instrumentierung von einem »Reel-to-Reel Tape Recorder and No-Input Board« (bedient von einem Herrn namens Sec_) oder einem »Self-Built Photosensitive System« (dafür zuständig ein gewisser Mario Gabola). Zumindest gibt es einen Drummer (Andrzej ZaÅ‚Ä™ski), der zugleich auch für die »Voice« verantwortlich ist. Diese Bezeichnung ist korrekt, ZaÅ‚Ä™ski agiert auf »Droga« als Rumpelstilzchen-Variante von Keith Jarrett, nur eben nicht am Klavier, sondern an den Drums, nicht wehmütig raunend, sondern energetisch wie ein Giftzwerg seine Trommelattacken kommentierend. cdBimpro_2.jpgIch habe eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie diese CD zustande gekommen ist, die vermutlich völlig falsch ist, dennoch sehe ich ein dunkles Kellerabteil irgendwo in Neapel vor mir, wo sich das italienische Electronoise-Duo Aspec(t) mit dem polnischen Experimental-Drummer Andrzej ZaÅ‚Ä™ski – der von seinem eigenen Label als einer der unbekanntesten, aber auch originellsten Drummer des Genres bezeichnet wird – zu einer Session dreier wahrhaft Gleichgesinnter einfinden. Ich sehe schweißnasse Gesichter, miefige Dunkelheit und eine derart antisakrale Soundkulisse, das sie schon fast wieder in ihr Gegenteil kippt. Und in den Pausen kriechen die drei Herren dann aus dem muffigen Keller ans Tageslicht, kippen ein Bierchen oder rauchen eine Zigarette, während in der Morgendämmerung Vespas mit hübschen Neapolitanerinnen am Rücksitz vorbeidüsen. Wie weit weg davon, wie düster, wie infernalisch fast dagegen die Musik, die nur wenige Minuten zuvor im Keller entstanden ist!

Dagegen erlesene Routine bietet …

cdBimpro_3.jpgDoch nicht der infernalische Impronoise ist der Reiz an »Droga«, sondern die schweißtreibende Intensität und Hingabe, mit der Sec, Gabola und ZaÅ‚Ä™ski agieren. Um wie viel lieber ist mir das als die jüngste Rückkehr von Impro- und Avantgarde-Legende Fred Frith zum Trioformat. »Another Day in Fucking Paradise« vom Fred Frith Trio bietet überwiegend abklärte Impro-Routine. Selbst dort, wo sich die drei Herren wild und exzessiv geben, herrschen erstarrte, abgenutzte Formeln. Natürlich ist das handwerklich allererste Sahne, keine Frage, ganz egal ob im Fall von Fred Frith an der Gitarre, Jason Hoopes am Bass oder Jordan Glenn an den Drums, aber es ist erhellend, sich beide CDs hintereinander anzuhören und dabei die feinstofflichen Differenzen zu entdecken. Die formelhafte Virtuosität hier, die zähneknirschende Hingabe dort, die verfugten, abgeschabten Kanten hier, die messerscharfe Fragmentarität dort. Trotzdem will ich die neue Fred Frith CD nicht schelten, sie hat ebenso ihre Qualitäten. Aber im Vergleich zum Noiseimpro-Wahnsinn der polnisch-italienischen Jungspunden bietet das Fred Frith Trio eher Avantgarde mit Arthritis.

Beloved Monster

cdBimpro_4.jpgWir bleiben beim Label der Frith CD, bei Intakt Records, dem viel prämierten, viel gelobten Schweizer Jazz- und Impro-Label, dessen Releases ich ebenfalls bereits ausgiebig gelobt habe. Heuer allerdings haben mich noch nicht allzu viele Intakt-CDs überzeugt, vieles klang zu selbstgewiss, als wollte man keine neuen Ohren mehr gewinnen, sondern begnügte sich damit, bekannte Tugenden abzurufen. Umso mehr Freude machen mir die Schweizer mit der Veröffentlichung eines Konzertmitschnitts aus dem Jahr 1980. Ein »Glücksfall«, so steht es im Booklet zu Recht, nicht nur darum, weil hier so großartige Musiker wie Don Cherry, Pierre Favre, Irène Schweizer, John Tchicai und Léon Francioli zusammentreffen, sondern auch, weil »Musical Monsters« einmal mehr ein Beleg dafür ist, dass die Zeiten sich eben ändern – gerade in der Musik. Mit den Jahren verliert sich die Frische und Unschuld, eine gewisse Routine reißt ein – und gute Musik zu machen, das ist eben oft der Kampf gegen eingefahrene Muster, gegen too much of the same. Diese um gut 35 Jahre jüngere »Unbelastetheit« ist es, die man diesen »Musical Monsters« so deutlich anhört, dieses unbekümmerte Hineintapsen in folkloristische Phrasen (allerdings weniger von Don Cherry selbst, obwohl es die Zeit der drei berühmten »Codona«-Platten ist), diese lose Gratwanderung zwischen Jazz und Impro und einem Minimalismus, der vermutlich nur aus dem Bauch heraus kam, diese Freude auch an der eruptiven Verdichtung im Kollektiv, dem man aber lässig auch den Rücken zudrehen konnte, die hier so viel Freude erzeugt. Selbst wenn sich mitunter fast plumpe Passagen ergeben, die man heute wohl kaum so auf eine CD brennen würde, eben genau das macht den unverbrauchten Charme dieser Impro-Zeitreise aus.

Und dann noch zwei Soloexzesse
cdBimpro_5.jpgSo unverhofft wie »Musical Monsters« kam eine weitere CD per Post. Ich habe natürlich einen Verdacht, warum mir ein gewisser Herr kommentarlos die CD »Collapse« von der spanischen Bassistin Edith Alonso schickt, aber ich verrate nichts. Jedenfalls: Die in Madrid geborene Edith Alonso hat bereits eine hübsche Vita hinter sich, ersten multiinstrumentalen Ausflügen in Jazz und Rock und sogar Punkrock folgte ein Pariser Studium der Elektroakustik und Komposition. Seither war sie sehr umtriebig, nicht zuletzt auch als Mitbegründerin einschlägiger Festivals in Spanien. »Collapse« spiegelt diesen umtriebigen Hintergrund durchaus wider, obwohl es im Grunde nur eine Soloinstrumentenerkundung ist. Aber Alonso bearbeitet und traktiert ihren präparierten E-Bass derart, dass daraus ein regelrechter Wall of Sound entsteht, der vor allem auf dem ersten Track eine geradezu hypnotische Schönheit entwickelt. Die anderen Stücke weichen davon leider etwas ab, werden monotoner und gezwungener – und stellen darum eine intensivere Herausforderung für Hörer und Hörerin dar.

cdBimpro_6.jpgIn die entgegengesetzte Kerbe schlägt der norwegische Multiinstrumentalist Ivar Grydeland, bekannt von Bands wie Huntsville oder Ballrogg. Wo Alonso Energetik durch Fokussierung erzeugt, da weicht Grydeland ins Skizzenhafte und Fragmentarische aus. So sind auf »Stop Freeze Wait Eat« denn auch alle Weichen auf ein relaxtes, sphärisches, aber nichtsdestotrotz immer wieder hübsch sperriges Hörerlebnis gestellt. Das zeitigt ebenso hypnotische Hörerfahrung wie der erste Track bei Edith Alonso, nur dass bei Grydeland die ganze CD ein Exkurs in gesprenkelter Entschleunigung ist. »Stop Freeze Wait Eat« ist eine dieser CDs, die man nach einem stressigen Arbeitstag in der Badewanne hören kann, wenn pure Harmlosigkeit nicht wirklich greift, sondern man erst noch dieses Knacken im Hinterkopf loswerden muss. Das klappt hervorragend, und wenn dann nichts mehr knackt, wechselt man zu reinem Ambient oder ABBA – je nach Lust und Laune.


Aspec(t) Zalaski: »Droga«/Monotype Records
http://monotyperecords.com

Fred Frith Trio: »Another Day in Fucking Paradise«/Intakt
Don Cherry, Pierre Favre, Léon Francioli, Irène Schweizer, John Tchicai: »Musical Monsters«/Intakt
http://www.intaktrec.ch/

Edith Allonso: »Collapse«/Aural Terrains
http://edithalonso.com/
http://auralterrains.com/releases/34

Ivar Grydeland: »Stop Freeze Wait Eat«/Hubro
http://hubromusic.com/

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