Keine leichte Geburt, wurden doch der von der Veranstaltergruppe DV8-Film gestalteten Familienpackung an Same Sex-Dokumenten kurzfristig der staatliche Geldhahn zugedreht. Das nachdem man den Sprung aus der langjährigen Deckung der Viennale in die Trendstrategie der verwirtschaftlichten Kulturproduktion machen musste. Inzwischen der traurige Normalfall in zugelogen neokonservativen Zeiten, die die gesellschaftliche Uniformierung als business-bestimmten »Flow of Life« maskiert. Widerstandskulturen, querschlägernde Geschmäcker, inspirativer Kleinwuchs werden unter der Maxime »Adapt or Die« wegrationalisiert. Kulturbefriedung auf Mono-Rail. Natürlich keine dumme Strategie, die unter anderem das österreichische Abstoßungsmodell Franz Morak als Minister für Kulthurerei fährt: Geld kriegt nur, wer machtfreundlich bückt und schluckt. Der Rest unterliegt dem Kapitaldarwinismus: Wer in der Vielfalt der Einfalt verschwindet, hat sowieso niemanden interessiert. Wer auch ohne Subventionshilfe überlebt, dem hat man zur neuen Souveränität »geholfen«. Hand in Hand damit geht eine Archaisierung der Kulturbedürfnisse, erhält das Gay-Community-eigene »Stand up and be counted« eine neue Bedeutung. Wer nicht rechtzeitig für die Quote sorgt, bekommt in Zukunft nur mehr Hetero-Grießbrei zu futtern. Identities dürfte schon jetzt zu den Überlebenden zählen – wenn auch mit (doch noch) Stützungsgeld in letzter Sekunde. Doch auch eins der besten Packages seit langem sorgt dafür. Mit ein Grund: Das beginnende Ende der Gayploitation-Ära. Keine Betroffenheitslyrik sozialpornografisch abgelichteter Drag-Queens. Kein Höschengucking beim Gender-Crossing. Die Filme kommen wieder mehr aus authentischen schwullesbischen Bäuchen voll Hunger und Lust statt aus den pseudoaufgeklärten Verständnisindustrien des Ausnahmemenschen als Reizfläche verheizenden Privat-TVs und Kunstfilmgeschmäcklertums. Dieses »Festen« ist over! Stattdessen zuhauf gesunde Perspektivenwechsel, schöne Menschen, ungebändigtes Leben. Essential Viewing dabei: Jon Shears grandiose multisexuelle Stadtodyssee »Urbania«. Stanley (»Rouge«!) Kwans elegantes Epos »Lan Yu«. Der Schwerpunkt zur Lesbo-Legende Annemarie Schwarzenbach. Für die wunderbare Lili Taylor (tatsächlich) allein die sonst maue »Good Will Hunting«-Variation »Julie Johnson«. John Sayles rekonstruierte »Lianna« wie auch die bissige israelische Army-Tragicomedy »Yossi & Jagger«. Und ganz besonders der Fokus Su Friedrich und »De Profundis« von Lawrence Brose, zwei US-Experimantalfilmer, die es, wie nur ganz wenige, kapiert haben, dass sich Avantgarde aus menschlicher Kreativität und Bedürfnisdarstellung nährt, nicht aus technischer Manipulation. Eine Prachtpackung, an der auch so mancher Hetero die eigenen Tendenzen und Geschmäcker erproben kann. You are what you fuck? Mal sehen. Eben.
Paul Poet
Drei Besprechung von Filmen, die im Rahmen von Identies 2003 laufen:
Von Jenny Legenstein
Julie Johnson
Regie: Bob Gosse
Mit: Lili Taylor, Courntey Love, Mischa Barton, Noah Emmerich u.a.
USA 2001
Im Rahmen des Mainstream-Cinemas erzählt Bob Gosse eine Geschichte über Frauenfreundschaft und weibliche Emanzipation. Nachdem Julie Johnson (Lili Taylor) jahrelang scheinbar in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter aufgegangen ist, beschließt sie Weiterbildungskurse zu machen, vielleicht sogar die Collegereife anzustreben. Ihren autoritären Ehemann, der das verhindern will, wirft sie aus dem Eigenheim. Statt ihm zieht bald Julies beste Freundin Claire (Courtney Love) ein. Die beiden entdecken die Freiheit und ihre Liebe zueinander. Doch die Idylle ist nicht von Bestand. Gesellschaft, Familie und die unterschiedlichen Persönlichkeiten der beiden Frauen sorgen für Konflikte. Eine an sich gute Story in toller Besetzung scheitert am Übermaß klischeehafter Standardszenen.
Alt Om Min Far (All About My Father)
Regie: Even Benstad
Dokumentarfilm Norwegen 2002
Esben Benestad und Esther Pirelli sind zwei Personen, die sich einen Körper teilen, denn Esben/Esther ist Transvestit. Einen Monat lang, im Mai 2001, hat der junge norwegische Filmemacher Even Benstad seinen Vater mit einem Filmteam begleitet. Zu Wort und ins Bild kommen aber auch Even selbst, seine Schwester, seine Mutter und seine Stiefmutter. Ansichten, Gefühle, Konflikte werden offengelegt. Entstanden ist ein eindringliches offenes Familienporträt. www.allaboutmyfather
Tani Tatuwen Piyabanna (Flying With One Wing)
Regie: Asoka Handagama
Mit: Anoma Janadari, Gayani Sudharshani, Mahendra Perera u.a.
Sri Lanka 2002
Irgendwo in Sri Lanka: Manju arbeitet als Mechaniker, spielt gern Fussball mit den Burschen aus der Nachbarschaft, ist mit einer jungen, hübschen Frau verheiratet. Was niemand wissen darf: Manju ist eine Frau. In die Rolle eines Mannes ist sie geschlüpft, um den Repressalien der patriarchalen Gesellschaft zu entkommen. Nach einem Unfall entdeckt ein Arzt Manjus wahres Geschlecht und beginnt ihr nachzustellen, schließlich verrät er sie. Die soziale Ächtung folgt augenblicklich. Handagamas Film wurde in seiner Heimat zensuriert, erst nach Protesten der Film- und Intellektuellenszene konnte er gezeigt werden.
Identities 2003 von 5.-12.06.2003 in den Wiener Kinos Filmcasino und Schikaneder.