Endlich, endlich, endlich! Seit Jahren schon predige ich in diversen Foren (z. B. »Unerhörte Rezipientenwünsche« oder »Zu untalentiert, um es selber zu machen«) dafür, doch endlich das Liedgut der Klassik zu entstauben und nicht ewig auf dieselbe Weise zu interpretieren: mit stolzgeschwelter Brust, mit schmetternder Stimme, mit dramatischem Gestus. Wie schön, wie frisch vor allem würde etwa so manches Lied aus der »Winterreise« klingen. BERNHARD SCHÛTZ & REINHOLD FRIEDL erfüllen mir nun endlich diesen Wunsch. Beinahe. Nicht ganz. Zunächst ist es »Robert Schumann: Dichterliebe« (nach Heines Texten), hier unmissverständlich als Popsongs umgedeutet – mit fragilem, brüchigem Timbre, ein wenig Ekstase und einem Hauch von Udo Lindenberg. Das ist zum Niederknien einerseits, vielleicht doch noch ein wenig zu nahe an der Vorgabe andererseits. Großartig in jedem Fall. Aber jetzt müssen wir uns kurz mal orientieren, denn wir befinden uns im Grunde in einem Triptychon, in einer Serie von drei Veröffentlichungen, die unter dem Titel »Populista« auf dem jungen polnischen Experimental-Label Bôlt Records/Monotype Rec. erschienen sind. Ungeachtet des Umstands, dass online herzlich wenig über dieses Label in Erfahrung zu bringen ist, lässt sich sagen, dass die bislang veröffentlichten 15 CDs ausnahmslos interessant klingen. Aber zurück zu »Populista«: Die zweite CD in der Serie präsentiert den Experimentalmusiker und Field-Recording-Fan RINUS VAN ALEBEEK, der Luc Ferrari mit »Cycles des Souvenirs« erneut einspielt bzw. überspielt. Und zwar indem er die Komposition im Haus des Komponisten abspielte und zugleich mit einem Sony Walkman durch die Gänge ging. Der Witz daran: Luc Ferrari war Pionier der musique concrète und entwickelte diese in Richtung der Field Recordings weiter, für die seine Souvenirzyklen ein schmuckes Beispiel liefern. Was Alebeek hier also macht, ist ein »Field Recording of a Field Recording«. Ob das jetzt ein demütiger Kniefall vor dem Ahnherrn oder einfach nur ein äußerst dürftiges Konzept ist, sei dahingestellt. Das Resultat hat jedenfalls seinen Reiz, was aber auch der Reichhaltigkeit der Original-»Komposition« zu verdanken ist.
Das dritte experimentelle Schurkenstück im Bunde ist eine neuerliche Ûberschreibung und verrät damit endgültig, was das geheime Thema dieses Triptychons ist. »Ludwig van« ist ein experimenteller Dokumentarfilm des Komponisten Mauricio Kagel, eben über Beethoven, zugleich aber auch der Soundtrack zu diesem Film, den Kagel (zum Teil elektronisch verfremdet) aus Beethovenstücken kompiliert hat. Diese Beethovenüberschreibung überschrieben nun ihrerseits FREDERIC BLONDY & DJ LENAR, in dem sie Kagels Collage bei einer Liveaufführung mit weiteren Soundtracks und Tonquellen kollidieren ließen und das Resultat nachträglich präparierten. Die Ûberschreibung einer Ûberschreibung einer Ûberschreibung und so weiter. Aber genau das war ja auch das Thema der »Neuinterpretation« der Schuhmannlieder. Wo trennt sich hier die Hommage vom Plagiat, wo wird neuinterpretiert, wo nur nachgeäfft, worin liegt der kreative Kern dieser elektroakustischen Verortungsprozesse? Ûber diese Fragen lässt sich wohl endlos brüten, alle drei CDs stellen jedenfalls durchaus spannende, allerdings auch die Hörgeduld strapazierende Einladungen dazu dar. Eine nachdrückliche Empfehlung.