Einmal mehr hinterlassen Releases von Hubro Music Eindruck. Allen voran das Christian Wallumrød Ensemble mit »Kurzsam and Fulger« (Hubro Music/Broken Silence). Darauf wird die Zeit angehalten, wobei dem Endergebnis zugutekommt, dass Wallumrød seine Erfahrungen in der Interpretation von Gospel-, Kirchen-, Barock- und Volksmusik auf reduktionistisch-minimalistische Art und Weise verarbeitet. Allein Piano und Harmonium verströmen das Odeur des Metaphysischen, besonders schön gelingt das in »Fulgsam« mit Glockenspiel, gefolgt von der unbedingten Empfehlung, den dritten Track »Langsam« auf einem Begräbnis zu spielen. Ein perfekter Trauermarsch, in dem Per Oddvar Johansen sein Schlagzeug dermaßen klöppelt, dass man meint, der/die zu Begrabende gäbe noch Lebenszeichen aus seinem Sarg. An anderen Stellen spielt Johansen Vibraphon und klingt ebenso reduziert wie die unscheinbaren Beiträge von Eivind Lenning (tr), Espen Reinartsen (sax) und Tove Törngren (cello).
Großartig auch Kim Myhr, ein norwegischer Gitarrist/Komponist, bekannt für seine Kollaboration mit dem Trondheim Jazz Orchestra, der mit »Bloom« (Hubro Music/Broken Silence) sein zweites Soloalbum veröffentlicht. Ûberraschende Wendungen nimmt bereits der Opener »Sort Sol«: Aus einer kleinen Soundspielerei wächst klingelndes Gitarrenschrammen, unterminiert von einem elektronischen Pochen, aus dem sich Synthie-ähnliche Gitarrenschlieren schälen, ehe psychedelische Vibratos einen ruhigen Ausklang bescheren. Damit ist schon circa umschrieben, was die Eleganz seines Schaffens ausmacht. Insbesondere der Hall repetitiver Gitarrenloops wird in lang atmenden Passagen ausgelotet und hin und wieder sacht gestreutes elektronisches Wummern macht »Bloom« noch interessanter. Auch mit dem Klang der Zither fährt Myhr wohlklingende Ernte ein. Kein Kontra-, sondern ein Ergänzungspunkt zu den psychedelisch austarierten sechs- und zwölfsaitigen E-Gitarren und der akustischen zwölfsaitigen Klampfe.
Neben der klassischen Akustikgitarre stechen auf Geir Sundstøls »Langen Ro« (Hubro Music/Broken Silence) Lapsteel- und Dobro-Gitarren hervor. Beinahe kitschig klingen die sacht von einer Rhythmusachse begleiteten Kurzepen des multifunktionalen Gitarristen, der schon Sideman von A-ha über Nils Petter Molvaer bis Beady Belle war. Und doch verfügen die Titel wie »Los«, »Florianer« oder »Bek« tragenden Instrumentals über eine Tiefe wie Ry-Cooder-Soundtracks, nur dass auf diesem Album wohl auch nordische Landschaften und Sitarmusik aus Indien Inspiration geliefert haben könnten.
Håkon Storm ist ein etwas anderes Kaliber. Zunächst lotet er, die Gitarre mit ein klein wenig Glockenverwendung in Einklang bringend, mit Zapp 4 die Möglichkeiten aus, wie ein Streichquartett am besten eine ziemlich jazzige Gitarre umschmiegt. Mitunter klingt das auch etwas disharmonisch, doch werden die niederländischen Freigeister, die bereits mit Marc Ribot spielten, einigermaßen gebändigt. Demnach hätte das auf »Kobolt« (Norcd/Galileo) verewigte Studiomeeting durchaus auch Berechtigung als Live-Inkarnation auf einem Festival der Wiener Musik Galerie, die heuer den 70. Geburtstag des Third-Stream-Verfechters Franz Koglmann zelebrieren wird. Konventioneller geht es auf »Håkon Storm Volta Trio« (Norcd/Galileo) zu. Mit Kazumi Ikenaga (dr) und Osamu Koichi (b) wird bei gemütlicherem Tempo auch einmal Gitarreneffekthascherei betrieben. Summa summarum handelt es sich dabei um »schöngeistigen« Jazz, wie ihn in Österreich vergleichsweise das Karlheinz Miklin Trio hinkriegt.
So weit, so gut, und schlecht. Keine einzige Musikerin dabei? Dies wird locker mit SPUNK aufgeholt, dem Frauenquartett des Improv schlechthin, auch weltweit. Kristin Andersen, Hild Sofie Tafjord, Maja S. K. Ratkje und Lene Grenager befinden sich auf »Still Eating Ginger Bread For Breakfast, The 20th Anniversary Concert« (rune grammofon/Cargo), eingespielt am 2. Dezember 2015 im Nasjonal Jazzscene, Oslo, in Höchstform. SPUNK bauen auf dem 43-minütigen »SPUNK 20 First Set« einen grandiosen Spannungsbogen mit Hundertschaften an unorthodoxen Geräuschen, die auf konventionellen Instrumenten sowie mit Live Processing, Sampling, Recordern, Spielzeug und Oszillatoren erzeugt werden. Das alles wächst aufgrund des jahrzehntelangen Zusammenspiels organisch zusammen, auch wenn zunächst einiges durcheinander zu geraten scheint. Nach Minute 11 zirpen plötzlich unterschiedliche Vogelstimmen. Verfremdete Waldhorn- und Trompetensounds gehen ab Minute 14 in getragene, lang angehaltene Töne über und alsbald mit dem Cello auf Achterbahnfahrt. Ab Minute 21 hebt Maja Ratkje mit ihrem Theremin zu einem orgiastischen Sphärenritt an und wenn die Flügel wieder eingefahren werden, singt Ratjke einen Folksong, der trotz manch verquerer Zutaten Wohlklang verströmt. Hohe Klangdichte, intuitive Anarchie und subtile Elemente: SPUNK vereinen all das phänomenal auf Langstrecke, auch im kurzweiligen 34-Minüter »SPUNK 20 First Set«.
SPUNK performing in art by Hanne Borchgrevink.
Kim Myhr: »Bloom« (Hubro Music/Broken Silence)
Geir Sundstøl: »Langen Ro« (Hubro Music/Broken Silence)
Christian Wallumrød Ensemble: »Kurzsam and Fulger« (Hubro Music/Broken Silence)
Håkon Storm with Zapp 4: »Kobolt« (Norcd/Galileo)
Håkon Storm Volta Trio: »s/t« (Norcd/Galileo)
Spunk: »Still Eating Ginger Bread For Breakfast – The 20th Anniversary Concert« (rune grammofon/Cargo)