Die Leute kommen manchmal zu mir und fragen: »Herr Cuisine, wie halten Sie es eigentlich mit der modernen Musik? Da sie weder fachsimpeln, noch unverständliches Insiderwissen versprühen, entsteht der Eindruck, dass sie eigentlich ein reaktionärer Arsch sind, der am liebsten Beethoven hört!« Nun, nichts gegen Beethoven (wenn er etwa von Sergiu Celibidache gebügelt wird), aber mein Standpunkt ist, dass Musik alles kann und darf, die Ohren zerfetzen, das Hirn durchblasen, die Tränen rausdrücken, den Schenkel beklopfen. Aber es muss hörbar sein. Wenn sich bei einer Neuerscheinung ein Dutzend Freunde des avantgardistischen Laptopmissbrauchs auf die Schuler klopfen, weil sie genau hören, welche Software hier wie gemolken wurde, der Rest des Planeten aber maximal leidvoll quietschende Katzen vernimmt, die durch einen elektronischen Schalltrichter gejagt werden, dann verfahre ich nach dem Motto »loben und warnen«. Ich lobe den Mut der Experimentfreudigen, noch eine CD unter dem Ausschluss der Ûffentlichkeit zu veröffentlichen, ich warne die HörerInnen, indem ich auf ihre selbstreflexiven Fähigkeiten appelliere: »Achtung, Zielgruppenmusik!«
Geradezu gelungen (als hätte ich angerufen und sie bestellt) muss unter diesem Vorzeichen die CD »Nature Stands Aside« (Hellosquare/Z6) von CANDLESNUFFER & LUKAS SIMONIS bezeichnet werden. Wir erfahren vom kryptischen Pressetext, dass es um das Thema Monster geht (hätten wir uns bei Tracktiteln wie »Twins In A Bottle« oder »Dwarf Elevated To Divine Status« aber auch selber denken können), wir hören, dass wir einem Elektroavantgarde-Duo bei der Arbeit zuhören. Der umtriebige Rotterdamer Lukas Simonis ist als Freund malträtierter Laptops bekannt, hinter Candlesnuffer verbirgt sich der Gitarrist Dave Brown. Das Resultat ist eine mehr als einschlägige, elektroakustische Attacke gegen unzählige konservative Hörgewohnheiten. Ob das allerdings rechtfertigt, im Pressetext fünf Milliarden Demokratiefreunde als Elvis-Liebhaber zu diskreditieren, wage ich zu bezweifeln. Und überhaupt, wo sind denn diese fünf Milliarden Demokratieliebhaber weltweit? »Raus aus eurem avantgardistischen Ravenbeinturm, ihr, ihr ?? Künstler!«, schreit da der Ludwig van in mir.
Und wendet sich danach einer empörten, ansonsten aber recht ausgeschlossenen Dame zu. »Das nennt sich wohl auch Musik«, sagt sie zu »Inside Piano« (Zeitkratzer Records), der neuen CD des deutschen Klangexperimentators und Avantgardisten REINHOLD FRIEDL. »Ja, nein, also ?? klar muss man das Musik nennen«, so meine etwas verlegene Antwort. Ich will ja niemanden bekehren, ist auch schwer, so auf Anhieb. Friedls dissonante, aggressive Klangwelten darf man sich wie eine Aktion von Hermann Nitsch vorstellen. Nur wird kein Tierkadaver, sondern das Innere eines Konzertpianos ausgeweidet. Wer beherzt und offen für diese Reduktion bleibt, findet aufregende Passagen in »Inside Piano«. Man fragt sich aber selbst dann noch, warum es eine Doppel-CD benötigt, um diese Auslotungen zu dokumentieren. Als hätte der Wille zur Demonstration den Willen zur Gestaltung überragt.
Ziemlich demonstrativ legt es auch
Und noch einen Herrn dürfen wir am Fuße dieses Berges begrüßen: ANTOINE CHESSEX und seinen »Dust for 3 Violins, Backtape And Electronics« (Cave). Dieser »Staub« will uns alleine durch Titel den glauben machen, es handle sich um ein, *hust*, zeitgenössisches Werk. Beethoven erneut also. Allegro – Grave ma non troppo tratto. Der schwer gefasste Entschluss! Der fehlt hier aber. Oder warum legt der Schweizer Chessex sein Stück an wie ein endlos zerdehntes »Atmosphères« von Ligeti, wo doch Ligeti selbst die Klangflächenkompositionen als ?bergang, als notwendigerweise zu überwindende Phase bezeichnet hat? Zeitgenössisch hieße demnach auch: Da muss einfach mehr kommen! Kommt auch. Nach 22 (von 29) Minuten ändert sich das Stück und klingt nun wie eine Skizze von Iannis Xenakis. Also echt, da wäre eine Beethovenreminiszenz noch witziger gewesen.
Wir gehen noch einen Schritt weiter mit den »Studien 5-7« (Domizil) von MARTIN NEUKOM. Es handelt sich um Soundstudien, die der Schweizer Komponist Mitte der 1990er mit dem Software-Synthesizer Csound und einem Atari ST produzierte. Unter anderem durch Feedbackschleifen und nichtlineare Filter erzeugte Neukom verschiedenste Formen synthetischer Sounds. Also ohne kompositorischen Anspruch, als elektroakustische Studien eben. Witzigerweise sind diese Studien streckenweise spannender und reichhaltiger anzuhören, als manch andere in dieser Kolumne vorgestellte CD.
margin: 3px;“ alt=“baskaru_emanuelle-mieville.jpg“ src=“https://skug.at/wp-content/uploads/oldskug_images/0ry/a/baskaru_emanuelle-mieville.jpg“ align=“left“ height=“225″ width=“225″>Bei Mieville wiederum zirpen die Grillen und bellen die Hunde, wir wandern durch vier tropische Länder. Das wirkt insgesamt weniger diffizil wie bei López, ist aber als Hörwanderschaft ohne Kommentar trotzdem sehr fein anzuhören. Natürlich hätte sich Beethoven trotzdem gefragt, warum man den Trip nach Malaysia nicht wirklich kompositorisch, etwa als Sonett für Fagott, Tuba und präparierte Bergziege, umgesetzt hat. Aber well, was wusste der alte Sack schon?
Und habt ihr etwa gedacht, es geht nicht ärger? Weit gefehlt. Zum Abschluss kommt die CD»Swiss Mountain Transport Systems« (gruenrekorder/klingt.org) von ERNST KAREL. Und das ist, genau, absolut wörtlich zu verstehen, als field recordings von Gondel- und Pendelbahnfahrten. Nichts weniger und nichts mehr. Also fährt man da etwa 13 Minuten von Oberterzen nach Unterterzen mit einer achtsitzige Gondel. Oder benutzt in Oberdorf-Weissenstein den letzten transversalen Sessellift. Oder überfliegt dann auch mal den Simplon-Pass mit einem Helikopter. Glaubt ihr nicht? Doch, ist so! Ohne Scheiß. Und ohne Beethoven. Definitiv jenseits von Beethoven.
Candlesnuffer & Lukas Simonis: »Nature Stands Aside« Hellosquare/Z6
Reinhold Friedl: »Inside Piano« // Zeitkratzer Records
Reinhold Friedl: »Inside Piano« // Zeitkratzer Records
Bruno De Angelis: »The Box« // XBDA
Antoine Chessex: »Dust for 3 Violins, Backtape And Electronics« // Cave
Martin Neukom: »Studien 5-7« // Domizil
Francisco López: »Untitled (2009)« // Baskaru
Emmanuel Mieville: »Four Wanderings in Tropical Lands« // Baskaru
Ernst Karel: »Swiss Mountain Transport Systems« // gruenrekorder/kling.org