hot-chip-cover-hr-e133476.jpg
Hot Chip

»In Our Heads«

Domino

In Mark Greifs »Hipster«-Buch kommt ja überraschend wenig Musik vor. Und wenn, dann nicht unbedingt jene, mit der ich zum Beispiel die Nullerjahre verbracht habe. Ausnahmen: LCD Soundsystem und Hot Chip. Vielleicht weil beide näher am Dancefloor als am Kaffeehaustisch gebaut sind. Vielleicht weil beide auch in Sachen »Retromanie« immer schon andere Wege gegangen sind, wobei es Hot Chip dabei immer mehr um ein Songwriting aus dem Geist von Tanzmusik ging als andersrum (wie etwa bei LCD Soundsystem). Hipster, die weder den »white negro« noch den »white trash« als Option für sich in Anspruch nehmen wollten. So erinnert auch »In Our Heads« an die Rache der Pop-Nerds, wie sie zwischen »Flight Of The Conchords«, »The Mighty Boosh« und »The Big Bang Theory« vollführt wird, zeigt dabei jedoch, dass komische Brillengestelle im Endeffekt den Clown-Nasen von Justice bei weitem vorzuziehen sind. Hot Chip machen sich ja nicht über das lustig, was sie lieben, dafür sind ihnen die Ideen, die hinter Begriffen wie Soul und R&B stehen auch viel zu wichtig. Gleichzeitig wissen sie um die Gefahren, die im tiefen Tal des Blue Eyed-Soul lauern (von Simply Red und Joe Cocker bis hin zu deren Widergängern im Dubstep-Gewand), und setzten dementsprechend auf Disco, Funk, House (und schicken dabei ganz locker mit »Night And Day« auch einen Gru&szlig nach Detroit). Dabei ist das Soundbewusstsein von Hot Chip durchaus gewitzt, frech, überschlau, belesen und folgt gelegentlich auch der alten Parole »Lieber zu viel als zu wenig» (diesmal, wie etwa bei »These Chains«, auch mit fett auf die Brote geschmierten Marmeladen zwischen 10cc, Hall & Oates und Italo-Disco). Nur sind ihre1980s-Explorationen weder ein Witz, noch ein nostalgischer Sehnsuchtsort. Viel eher geht es um das Herumwühlen in einem spannenden Pop-Jahrzehnt, wo dann in einem Track schon mal apokalyptische Post-Nuclear-War-Dystopien mit extravaganten Utopia-Entwürfen zusammenfallen können (»Ends Of The Earth«). Dieses Jonglieren zwischen den Pop-Dekaden vor den Nullerjahren zeigt bei Hot Chip exemplarisch, wie »Retromanie« auch buchstabiert werden kann: Nämlich als Rückgriffe auf Vorläufer, die nur dann funktionieren (einen Sinn machen, nötig sind) wenn dabei auch das dadurch später in Gang Gesetzte mitgedacht wird (oder gleich der Ausgangspunkt ist). Wohlgemerkt: das hätte alles auch Emo-Soul-Chill-Wave oder Neo-Soul werden können. Musik, zu der Skrillex-Fans verächtlich »Mädchenmusik» sagen (was sie wahrscheinlich sowieso tun). Nur fehlt Hot Chip zu Neo Soul ein ganz wichtige Voraussetzung: Sie lehnen HipHop, House und Digi-R&B in keinster Weise ab, nähern sich dem jedoch von der Warte kosmopolitisch interessierter und aufgeweckter Discokids. Aber im Gegensatz etwa zu Grimes, wo eh schon ausgelutschten und daher auch aus gutem Grund bisher nicht revitalisierten Digi-Synth-Sounds aus dem 90s nur aktuelle Beats entgegengesetzt werden, holen sich Hot Chip ihre Inspirationen einfach auch aus völlig unterschiedlichen Archiven und wissen daher auch um die mannigfaltigen Blueprints ihrer Blueprints. Kurz: Selten in letzter Zeit soviel inspirierenden Spa&szlig mit einer CD von einer Band gehabt, die eigentlich schon wieder vom Radar zu verschwinden drohte.

favicon
Nach oben scrollen