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Impro Lounge – Made In Switzerland

Neue Platten von »Intakt Records« und anderen. Die Schweiz jazzelt sich frei.

Schade, nicht dabei gewesen zu sein: Taktlos 2000«, abgehalten in Basel und Zürich Anfang April 2000, bot Gigs von Shabotinski, Derek Bailey & Robyn Schulkowsky, Kaffe Matthews & Charles Hayward oder Lee Ranaldo/David Watson/Günter Müller. Also nehmen wir vorerst vorlieb mit THURSTON MOORE/WILLIAM WINANT/TOM SURGAL, die 1997 beim Taktlos-Festival gastierten. Sonic Youth-Gitarrist Thurston Moore, der europäische Improvisationsmusik von Irène Schweizer bis Peter Brötzmann auf Vinyl sammelt, erweist sich einmal mehr als großartiger Baumeister experimenteller Musik. Das 54minütige Titelstück »Lost to The City (Intakt Records), eine Hommage an den italienischen Architekten/Designer Aldo Rossi, entfaltet einen epischen, Energie abstrahlenden Klangbogen. Und auch auf »Noise To Nowhere«, gewidmet dem rumänischen Komponisten Iancu Dumitrescu, begleiten die beiden Schlagwerker Moore feinfühlig bis metallisch improvisierend. Rockmusik, oh bist Du fern! Koch/Schütz/Studer begehen ihr 10jähriges Jubiläum mit einer Fake-Sondermarke zum Wert von 90 Euro! Nach zwei Alben mit ethnomusikalischem Klangmaterial (zuletzt »Fidel«) begab sich das Trio in New Yorker Illbient-Soundlabs. »Roots & Wires« (Intakt) ist demnach ein schöner Albumtitel, da KOCH/SCHÜTZ/STUDER auf DJ M. SINGE und DJ I-SOUND vom Stamm der Turntableisten prallen. Zu viel Input, zu viel urbane Hektik macht Stolpern, weshalb überquellendem Ideenreichtum ein geradezu besinnliches Ambientjuwel nachgereicht wird: »Tonschlaufenumarmung«.
Kontinuierlich hochqualitativer Output: Die CD-Präzisionsschmiede For 4 Ears bietet gleich vier Neuigkeiten. »En.tropo.logy« von BRENNAN/PICARD/PR??VOST macht den Anfang. Wenn drei Giganten ein Trio bilden, vermengen sich Musikhistorie und spontane Gegenwart zu einem futuristischen Entwurf. Da regressieren Simon Picards (London Jazz Composers Orchestra, Trevor Watts ???Moire Music???) klassische Free-Jazz-Tenorsax-Linien zu epischer Poesie, balancieren Eddie Prévosts (AMM, Cornelius Cardew, Sonic Boom) perkussive Fertigkeiten zwischen senibler Motorik und wuchtiger Dynamik und kündet John Wolf Brennans Pianospiel von multidimensionaler sonischer Bandbreite, die von poly- bis atonal reicht. Rohe Intensität wechselt mit kontemplativen Intimitäten. »Six Memos For The New Millenium«, frei nach Italo Calvino, ist ein durchkonzipierter Klangfarbenreigen, wo freie Improvsation und donnernde Klaviercluster ebenso den Raum durchmessen wie waidwund präparierte Klaviersaiten. Allein wie die Geiger von BTMZ auf »The Waltz« herumsägen, ist Goldes wert. »11 ways to proceed« stellt die handwerklich zu spielenden Instrumente nicht ins Abseits, sondern macht diese zu ebenbürtigen Partnern von Sampler, Keyboard und G3. Hans Burgener/Carlos Zingaro und Günter Müller/Richard Teitelbaum auf der anderen Seite lassen die Sounds wild wuchern und wieder einmal ist zu konstatieren, dass sich das Klangbild improvisierter Musik auf abenteuerliche Weise gen Elektronik verschiebt. Allerdings bürgen auch (Water)-Gongs; Komungo; Bass & Stimme sowie Stimme & Singende Säge für Lautmalerei abseits jeglicher Konventionen. FREDY STUDER JIN HI KIM JO??LLE L??ANDRE DOROTHEA SCHÜRCH heißen die zugehörigen Instrumentalisten in der Reihenfolge. Und wahrlich leben die »Duos 3-13« dieser Damen und Herren von den Spontankonstellationen ebenso wie vom onorthodoxen Klang. Was URS LEIMGRUBER aus einem Sopran- und Tenorsaxophon herauszuholen vermag, überschreitet fast die Vorstellungskraft. Kurzfristig überwindet der Schweizer selbst dem Instrument zugewiesene Laute. Dann hallen scheinbar Gongs, schwingen Gitarrensaiten nach oder überwiegen perkussive Klänge. Hauptsächlich aber verarbeitet Leimgruber auf »Blue Log« ten pieces for saxophone zu komplexen Soundblöcken. Hie ekstatisches Röhren, da zartes Überblasen, dort vulkanischer Groll, in Ferne obertönende Dronekaskaden. Immer noch tun sich neue Klangterritotorien auf, obwohl beispielsweise Evan Parker oder Steve Lacy bereits das weite Feld egomanischer Saxophonkunst beackerten. Wo einst die Kombination aus Hardrock und Orgel Progrockalpträume (Deep Purple, Nice) gebar, setzen STEAMBOAT SWITZERLAND an. Gar sind manche der Kompositionen suitenartig als Dreiteiler konzipiert und wehen Hammond Organ-Klänge aus einer längst vergangen geglaubten Rockepoche herauf! Doch geht es Dominik Blum (auch Korg MS 20), Marino Pliakas (b) und Lucas Niggli (dr) um Komprimierung, Reduktion und Improvisation. Die Energieflüsse wirken extrem gebündelt, sodass im Sog sogar Werke der KomponistInnen Ruth Crawford (30er Jahre) und Hermann Meier (Serialist) mitgerissen werden. Produziert hat dieses Opus »Live«, in dem die Hammond B-3 nicht im entferntesten an Lounge-Core-Jazz erinnert, sondern dunkel dröhnt, niemand Geringerer als Stefan Wittwer, der sachkundigste Schweizer Avantmetalgitarrist (u.a. Sludge 2000). Wie auf vorangegangener CD bietet Unit Recordsauch auf WALTER FÄHNDRICHS CD »Räume Spazi Espaces Spaces« Außergewöhnliches. Der Schweizer Komponist/Violinist nimmt weite Bogenstriche oder gezupfte Strecken auf seinem Instrument zum Ausgangspunkt für eine räumliche Hörerweiterung. Die Rohaufnahmen wurden elektroakustisch nachbehandelt, damit diese Töne als weit auspendelnde Schallschwingungen leeren Raum mit Musik besetzen. Dies geschieht sehr unaufdringlich: Die Stücke atmen sozusagen in den Raum hinein. Walter Fähndrich hat sich Zeit genommen, um dem Klang zuzuhören, wie er zwar Stille okkupiert, doch selbst zu etwas Stillem, Betörendem wird. »Räume« offeriert zeitlose Musik, die gleichsam mit sich selbst ins Reine kommt.

Weitere Reviewkolumnen von Alfred Pranzl:
Klassikaner
Jazz und Artverwandtes

Home / Musik / Review Collection

Text
Alfred Pranzl

Veröffentlichung
28.03.2001

Schlagwörter

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