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Berserkers Inventur – Oktober & November 2021

Schnallt die Casio ums Handgelenk und trötet von den Dächern: Berserkers Inventur schnupft Tannenzapfen-Ambient zum Gummizellen-Geballer. Dazwischen: Alben von Miles Matrix, Diskoromantik, Rojin Sharafi und Jeanny.

Was abseits von Sloppifylisten aus Parkanlagen, Punkkellern und Pausenhöfen knattert, sollte man gehört haben. Deshalb macht skug die Bestandsaufnahme zu aktuellen Neuveröffentlichungen. Und lauscht dort, wo Formatradios abdrehen – im Underground.

Miles Matrix – »La Boum« (s/r)

Wir lassen die goldene Casio vom Handgelenk baumeln, ordern den Partybus ins Schatzi Hagenbrunn und schlürfen Wodka aus Wassermelonen. Der Mischkonsum des Jahres kennt 2G nur von der Clubtoilette. Dort hat Miles Matrix seinen Spaß. Der Bielefelder Wiener schiebt ein Tape in die Boombox, bei dem einem vor lauter 808-Gebumms der Hosenschlitz um die Ohren flattert. Rabatz, Rabumm, endlich wieder jung!

V.A. – »VHS Heritage Society Vol. 1« (s/r)

Moritz Morast, die unscheinbarste Krawallkanone der Nation, hat einen Sampler zusammengebastelt: die VHS Heritage Society. Darauf greifen Friends aus Ö und Umgebung zum Schleifpapier und bearbeiten alte Bibi-Blocksberg-Kassetten, bis man zwischen Hexenkraft und heiligem Martyrium im Rausch aufgeht.

Iron Chair – »The Demonstration« (Misericordia Records)

Der Gitarrero der Wiener Post-Depressiven-Band Masaya hat ein Soloprojekt gestartet. Iron Chair. Klingt nach Mafiamethode. Und könnte bei auserlesenen Veranstaltungen wie dem Neustifter Kirtag auch als solche zur Anwendung kommen. Alle anderen gurgeln fleißig Listerine, während sie headbangend zusehen, wie Leo Tischendorf seinen Kehlkopf sprengt.

Chra – »Live in Berlin 2021« (Trost)

SV-Damenkraft-Gründerin und Paradiso-Infernalistin Christina Nemec hat im Oktober ein Live-Set in Berlin aufgenommen. Auf ein inneres Blumenpflücken sollte man sich erwartungsgemäß nicht einstellen. Als Deep-Listening-Abstecher in die konfrontative Traumatherapie könnte man mit diesem Seelentrip aber signifikante Fortschritte machen.

Diskoromantik – »Diskorworld« (Heiße Luft)

Diskoromantik, die realsten Erotic-Toy-Copycats aus Wien, geben ein feuchtgeschneuztes Kleenex auf die Astroworld. Schließlich haben sie mit ihrer »Diskoworld« ihren eigenen auto-getunten Abenteuerspielplatz für Millennials, die zwischen Chilly-Cheese-Nuggets und Koks auf Reggae-Platten schon lange keinen Unterschied mehr machen.

Jeff T. Byrd – »Nighty Night« (Fort Evil Fruit)

Tapes von Jeff T. Byrd kauft man blind, weil: Der in Wien lebende Ami von den Budokan Boys hat ein Handerl für Field Recordings und Getröte. Zwischen Rotweinflecken auf der Rolf-Benz-Couch, einem verregneten Nachmittag in der Hotellobby und Schmuddelkassetten aus den 80ern erlebt man strangere things, als sie sich David Lynch jemals hätte ausdenken können.

inaud1bl3 – »qian« (farmers manual)

Christian Haudej kommt aus Kärnten, wohnt in Berlin und produziert nach Yoga-Drones und Instrumental-Beats nun Popsongs. Solche, die eher im Sumpf als in der Lagune landen könnten – und für den Vierfüßlerstand aufs Sonnendeck wechseln. Ohmmm!

Rojin Sharafi – »KARIZ« (s/r)

Es ist ein guter Monat, wenn Rojin Sharafi eine Platte veröffentlicht. Im Gegensatz zu ihren ersten beiden Alben streckt »Kariz« sogar beide Hände aus. Man muss also nicht den gesammelten skug-Jahrgang von 1995 studiert haben, um zwischen Hackbrett-Chaos und der Programmbeilage von Wien Modern etwas zu verstehen.

Mia Zabelka/Glenn Hall – »The Quantum Violin« (s/r)

Für zerstreute Philosophen im 42. Semester gibt es auf der Neuen von Zabelka ohnehin genügend Grübelstoff. Schließlich sei ihre Violine das Zentrum einer »Qantum Sound Galaxy«. Das könnte auch als High-Thought nach dem dritten Ofen durchgehen, knirscht im Falle dieser Platte aber so lange, bis man die Welt nur noch am Draht wahrnimmt.

Bleu – »Deeper« (Traumton Records)

Jazz aus Kloburg. Von drei Feschen, die sich Bleu nennen. Und uns den Gefallen tun, die gedämpfte Trompete durch ein Effektnirwana aus Hall und Rausch zu schleifen. Außerdem dabei: Tuba, Zither und eine halbe Blasmusikkapelle. So muss Frühschoppen!

Manic Youth – »Funland« (Sissi Records)

Ein paar Silberrücken-Schreiberlinge lüften ihr verwaschenes My-Bloody-Valentine-Tourshirt, da schießen Manic Youth mit neuer Platte um die Ecke. Welch unverhofftes Wiedersehen: Die Wiener türmen noch immer Gitarren für Menschen, die sich »You’re at home«-Fußmatten vor die Haustür legen.

Chorosia – »A Call To Love« (s/r)

Metal, der einem den Schädel spaltet, den Brustkorb aushöhlt und die Zunge aus der Goschn schneidet. Uargh!

HATT.D – »Rotation« (Rosso Tunes)

Das Wiener Label Rosso Tunes mietet im November ein Tretboot auf der Alten Donau, um mit einem Notstromaggregat drei Tageslichtlampen auf dem Gänsehäufel anzufeuern. So viel Sommervibes findet man sonst nur in Capri-Sonne Cola-Mix.

Anthea – »XEA« (s/r)

PC-Music-Nervenbündel A.G. Cook kippt schon mal Ritalin in den doppelten Espresso – mit dem Tagada-Geballer, das die Wienerin Anthea auf dem internationalen Kongress für Aufmerksamkeitsstörungen rauspustet, könnte man zwei »Bravo Hits«-CDs aus den Nullerjahren rebooten. Wer sitzen bleibt, verpasst den Spaß!

Waldrand – »Home Tape« (s/r)

Waldrand ist Tannenzapfen-Ambient. Ein Projekt des Wieners Michael Holzklotz, bei dem man sich nicht mühsam in die Hauptallee tragen muss, um Trampelpfad-Feelings zu erleben. Es reicht auch, das Tape als angewandte Fußreflexzonenmassage zu verwenden. Von Zahnärzten empfohlen!

FX666 – »Hunters & Collectors« (Felix von Montfort)

Apropos Ambient. Felix von Montfort, der einzige Experimental-Adelige zwischen Bodensee und Piz Buin, trippelt für seine Sonntagsausflüge zwar nicht »vo Mellau bis ge Schoppernau«, bedient die Düster-Drones aber so lange, bis einem in Feldkirch die Füße einschlafen.

reFelt – »Leisure Suite« (Dirt Crew Recordings)

Die Berliner House-Spezis von Dirt Crew Recordings haben einen »mysteriösen« Producer aus der langweiligsten Stadt Österreichs ausgegraben. Dabei lässt reFelt sogar St. Pölten wie eine Partymetropole klingen. So deep waren wir das letzte Mal nach der vierten Flasche Rotwein.

Jeanny – »Jeanny« (LaserLifeRecords)

Zwischen Frittenbude und Kraftklub schmuggeln die Leute von Jeanny (never quit living on dreams!) eine Trompete ins Hardcorehäusl von LaserLifeRecords. Wer hätte das gedacht, es funktioniert. Und sorgt für Laune auf der Lungenstation!

error.dog – »Howlowin’« (s/r)

Merzbow zuckt kurz mit den Wimpern ob der »Musik«, die error.dog aus Fucking (no shit!) fabriziert. Ergebnis: Eine Nervenjause für Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Zwangsjacken und Gummizellen verorten.

Buenoventura »Gamma« (Palazzo Recordings)

Die drei Elektro-Guzzis haben zeitgleich Solo-EPs veröffentlicht. Während die anderen beiden ihre Raster bei Noton ziehen, schippert Buenoventura, der Psychedelic-Pirat der Truppe, im Affenzahn über die sieben Weltmeere. Fehlt nur noch die Augenklappe, um als Anarcho-Kapitalist zur Peaktime aufzuräumen.

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