Die Südosttangente bebt, die Wascheln bluten und zwischendurch sponsert die ÖH dein Album. Sowas gibt’s nur in Wien. Sowas muss man gehört haben. Deshalb und wie immer ungerichtet zusammengefasst: Berserkers Inventur.
V.A. – »Phantom Glade« (Beach Buddies)
Marie Vermont, Wald-und-Wiesen-Krachbeschwörerin mit zwei Handerln für Sägezahn und Sinuskurve, schupft ein neues Tape ins Kassettenfach. Es knarzt, es fiepst, die Welt steht still. Und plötzlich, voller Übersicht, tauchen sie auf: die Düsterdandys des Noise, die Wächterinnen des Zischpingpengs. Schauer, Denk und Nicolussi. Widder, Denk und RSMA. Sie stöpseln sich in den Verteilerkreis und reißen zwischen Grünem Prater und Südosttangente einen Graben auf.
The Smiling Buddhas – »Non-Places« (base)
Fadi Dorninger, Urfahrer im Grundrauschen, hat das richtige Buch gelesen und daraus ein Album seiner grinsenden Buddhas fabriziert. »Non-Places« ist: ein Versuch, den »Nicht-Orten« unserer Zeit einen Klang zu geben. Wie tönt das Metaverse? Wie schepperts hinterm Touchscreen? Ein Guess nach drei Runden im Dystopie-Theater: Wie am Ende der fucking Welt!
Siniša Ahnem – »Live Pfarrkirche St. Arienne, 23 July 2022« (s/r)
Hinter Siniša Ahnem stecken fünf Künstler*innen, die an »gesichtslose Musik« glauben und an der Orgel hantieren, als hätten sie die gesammelten Werke von Éliane Radigue inhaliert. Dazwischen streicht das Cello, Stimmen grätschen in die innere Erleuchtung. Wehe dem, der danach den Auerbach ins heilige Wasser wagt.
dertinoises – »try so hard« (Vienna Underground Traxx)
dertinoises, Labelwurschtler von Vienna Underground Traxx, gibt sich selbst die Ehre – mit einem Vibe, der einem Zucker in die Kaffeehaus-Electronica der 1990er-Jahre mischt, Mayday-Bänger auf MTV atmet und Vocals aus dem Kaugummiautomaten quetscht, für die man auf der After nachschmeißt.
Répéter – »Blue Perfidia« (s/r)
Die einen graben den Wollpulli aus. Die anderen schmeißen sich mit »Blue Perfida« ins Hawaiihemd, süffeln den ganzen Tag an Margaritas und lüften mit dem Klimabonus den Kühlschrank durch. Ein Tape, um sich nebst Alkohol und Psychopharmaka durch den Winter zu mogeln.
Understereo – »Kno What Mate? / Bottle Rats« (s/r)
Bad Gastein ist nicht Bristol. Understereo nicht Overmono. Trotzdem knattern zwei Lausbuben mit Breakbeats aus dem Luftkurort aufs Tanzparkett. Der Kiefer spannt, die Hände kreiseln – nur der Bass holt sich eine Blasenentzündung.
Endonomos – »s/t« (s/r)
Wenn man grimmigen Gestalten beim Gurgeln zuhören möchte, muss man zur Zahnhygiene oder holt sich das Album von Endonomos. Das Grufti-Gespann teert, federt und vierteilt mit Magenverstimmungs-Metal, bis sich der Nietengürtel löst. Harakiri, Heiterkeit!
Waldrand – »generativ-tracker-lo-fi-ambient« (s/r)
A wie Ambient in seiner Urform, bevor ihn leistungsoptimierte Content Warrior für ihre Detox-Kur im Dschungelcamp entdeckt haben.
Oto Nagasaki – »insta report« (s/r)
Steven Stapleton hustet drei Mal ins Ziegenbärtchen, wenn der Linzer Oto Nagasaki an den Spulen kurbelt. Sein »insta report« funktioniert wie Push-Nachrichten auf dem iPhone: Bing, Zisch, Bing, Bum, Peng! Eine Reizüberflutung für die Ritalin-Generation!
Diamond Seas – »Panorama EP« (s/r)
Bandmitglieder gehen verloren, Diamond Seas bleiben. Mittlerweile schnüffelt Martin Kovincka allein an Duftkerzen, um in seiner Vision von Heizdecken-Folk aufzugehen. Für »Panorama« kratzt immerhin ein Cello an seiner … Saite. Weil man sich bei FM4 schon für den Winterschlaf angefressen hat, wird’s trotzdem untergehen.
GYFTH – »Aus allen Wolken« (s/r)
GYFTH sind eine neue Band aus Wien, klingen aber so, als wären sie versehentlich aus dem Dischord-Roster der frühen 1990er gerutscht. Sie schreien, sie klampfen, sie holen Luft – um noch mehr zu schreien und zu klampfen, bis Trommelfelle platzen und Ohren bluten. Hoffentlich bald in yours truly Gürtelbögen!
Orange Gone – »Our Waltz Beneath the Light« (s/r)
Sufjan Stevens beneidet ihn um sein Glockenspiel, alle anderen um die feelings, die er zwischen Synthesizer und Gitarrensaite aus seiner Stimme friemelt. Dass Maximilian Mrak trotzdem nur ein paar Freunden und der Frau Mama bekannt ist, muss die größte Frechheit der österreichischen Musikszene seit Marco Wanda sein. Weil sich das ändern soll, spielt Mrak am 7. Dezember 2022 im Rahmen des Salon skug – das erste Mal auf einer Bühne und mit Band.
Moff & Tarkin – »Poems Of Soy« (fortunea)
Wer nicht schon beim Blick auf die Gasrechnung ins Schwitzen kommt, haut sich diese Platte von fortunea auf den Teller. Moff & Tarkin, isländische Discokugel mit Sauna-Ambitionen, elektrogönnert sich ausnahmsweise kein Ticket nach Ibiza, sondern stibitzt die Groove-Garantie von Giegling. Funktioniert bei minus zwölf Grad im Schatten genauso wie unter Palmen!
Unsemblance – »Live at Landstraßer Hauptstraße« (s/r)
Augen auf, sie kommen! Die morbiden Engerln von Unsemblance, der neuen Sargträger-Band aus Wien, sind die Einstiegsdroge für Menschen, die eine Tendenz zur Zweckentfremdung von Herrgottswinkeln aufweisen.
Sedvs – »Paradise Lost« (Bare Hands Records)
Daniel Hartl, der Vierviertel-Nostalgiker, hantiert wie Doktor Bibber am Drumcomputer. Statt Nierensteinen zieht er eine Kickdrum aus der Magengegend. Das Ding bumpert dann so lange, bis das Licht angeht. Wir waren mit Techno schon mal weiter. Aber nicht immer so tief drin.
Rambo Kasablanka – »Berry Frost EP« (new basement)
Allein der Name zerfickt ganze Feuilletonredaktionen. Dass Rambo Kasablanka außerdem von den Pixies gehört und Souflaki auf der Speisekarte entdeckt haben dürfte, katapultiert den Wiener aus der TikTok-Generation in die Rotation von allen ernstzunehmenden Gegenwartsgrantlern.
Nasihat – »Stilleben EP« (s/r)
Nashihat ist MC aus Salzburg, produziert seine eigenen Beats und schüttelt mehr Flow aus seiner Basecap, als der Hanuschplatz jemals gesehen hat. *Mic drop*
Ein Gespenst – »Bei Tageslicht« (Strizzico)
Elias Hirschl, Hobby-Shakespeare und Geht-scho-gemma-Gedicht-Gespenst, hat mit seinem Musikerkumpanen ein Album aufgenommen. Die Texte ersaufen im Tocotronic, für die Beats wünscht man sich den Musikantenstadl zurück. Die einzige Frage, die bleibt: Wen muss man kennen, um so ein Schleudertrauma von der ÖH gefördert zu bekommen?
Jeanne D’Arte – »Fall At Dusk« (s/r)
Zwischen Friedhofstribüne und Fronleichnamsprozession liegt das Glaubensbekenntnis, dass nur Leidenschaft in Schönheit übergeht. Jeanne D’Arte, die Wienerin Thea Sophie Beck, waterboardet nicht umsonst sechs Stücke in einem Gemisch aus Mate und Moorlandschaft. Wer sich rauszieht, scheint geläutert. Alle anderen gehen mit der Platte unter.