Kaum zu glauben, dass eine Triobesetzung immer noch neue Aspekte eröffnet. Wo die Grenzen zwischen Improvisation, Intuition und Komposition fließen, verliert die Genrebezeichnung Jazz an Bedeutung. Vielmehr geht es um das Abstrahieren einer Form, die als Jazz nachhallt, jedoch ästhetisch neu definiert aufersteht. »Elements Of Poetry« von OSKAR AICHINGER ist ein zutreffender Titel für die oftmals lyrische Ausgestaltung der zwölf Piècen. Achim Tang (b) und Paul Skrepek Jr. (dr) sind dezente Begleiter, während Herr Aichinger ein wundersam klar tönendes Piano spielt, dessen Saiten oft geringfügig manipuliert anmuten.
Ebenfalls auf Between The Lines ist eine Duo-CD von ENRICO RAVA/RAN BLAKE erschienen. »Duo En Noir« ist Art Farmer gewidmet, aber auch das Gedenken an Alfred Hitchcock oder Otto Preminger trägt Früchte. Pianist Blake und Trompeter/Flügelhornist Enrico Rava gleiten hinab in ein Schattenreich, in dem selbst erfundene Film-Noir-Tonspuren leicht von der Hand gehen, weil die beiden melancholischen Standards von Eben Ahbez bis Al Green einen noch pessimistischeren Touch verleihen.
SLOW POKE kreiert eine moody Instrumentalmusik, die nicht im Schönklang ersäuft. David Tronzos Slidegitarre ist zu markant eckig und auch die über Eigenkomponiertes hinausgehende sehr laid-back gehaltene Auswahl stellt zufrieden. Der Titelsong »Redemption« (Intuition) beruht auf Johnny Cash und auch Songs von Blind Willie Johnson oder Jagger/Richards erstrahlen in neuem Licht.
Tony Scherr und Kenny Wollesen bilden auch die Rhythmusgruppe von SEX MOB. Perlen wie Kurt Cobains »About A Girl« (mit DJ Logic!) oder Duke Ellingtons »The Mooch« werden auf »Solid Sender« anarchistisch aufbereitet. Bandleader Steven Bernstein (slide trumpet), dem die Credits für die Hälfe der Songs zukommen, sowie Briggan Krauss (sax) laufen zur Höchstform auf. Markenzeichen: Sie blasen scheinbar wie Betrunkene, die New-Orleans-Trauermärschen bis straight-forward-Aylereskem eine schwere Schlagseite verpassen.
Weitere Knitting Factory Works -Highlights: CHARLES GAYLE kehrt immer noch sein verwundetes Inneres nach außen, jedoch wirkt »Ancient Of Days«, eingespielt in klassischer Quartettform, durchdachter. Nach der Katharsis bleibt der einst obdachlose Busker ein Suchender, der seine Spiritualität in eine etwas abgeklärtere Free-Jazz-Form gießt. GRAHAM HAYNES, Sohn des Jazzdrummers Roy Haynes und ehemaliges Five-Elements-Mitglied dockt an die Zukunft an. Jazzkornett, Sequenzing, D’n’B und HipHopbeats sind die an N.P. Molvaer oder Ben Neill erinnernde Essenz, zu der Elektronikmusiker Marque Gilmore und DJ Spazekraft wesentlich beitragen. Doch hat Haynes??? Album »BPM« einen sehr eigenwilligen Sound, womit er noch dazu einen Hit landet. Das entteutonisierte »Variations On a Theme by Wagner« läßt die Gehirnwindungen so schnell nicht los. PACHORA, das Quartett um den begnadeten Drummer/Perkussionisten Jimmy Carl Black, streut flockige Folklorismen, die eher auf intuitiver Kommunikation denn Tradition fußen. Was dann wie entnationalisierter Ethno Jazz, dem Klarinette, Tamboura, Saz oder Dumbek einen unvergleichlichen Klang geben, daherkommt. »Upper Egypt«, der Titelsong von WAYNE HORVITZ & ZONY MASH’s bereits drittem Album, ist dem Free-Jazz-Gitarristen Sonny Sharrock, der diese Pharoah Sanders-Komposition in seinem Liveprogramm hatte, gewidmet. Nur wenn Horvitz eine dreckige Hammond-B3 spielt, ist ein Verweis zu den Meters und Booker T. erlaubt, da die sonstigen Instrumentalnummern nicht Synkopenwahnsinn, sondern gestriegelte Bill Frisell-Balladen zum Vorbild haben dürften.
Noch eine Auflockerung gefällig? DURWOOD DOUCHE präsentiert auf »Big Banned & Blue« (Avanti) Zotiges. Sich anrüchig gerierende SängerInnen gehen in den Songs im Big-Band-Format ans Eingemachte. Da wird über ein tristes Sexualleben, wo die Genitalorgane nur noch zum Pissen dienen, ebenso gesungen wie über Masturbation, Blow Jobs oder auch furzende Dinosaurier, weshalb im Subtitel zu recht vom »underground sound of fourties clubland« die Rede ist.
Obwohl CHRISTIAN MUTHSPIEL & MOTLEY MOTHERTONGUE auch gen Oper und Klassik tendieren, ist »parts of a shattered love story« (Lotus Records) doch im Grunde nicht weiter aufregender Jazz für ein größeres Ensemble. Auch der übersetzte Ensemblename »Buntscheckige Muttersprache« hält demnach nicht ganz, außer damit ist das spannendere Zusammentreffen von Sopran-Solistin Anna Hauf mit Jazzsängerin DK Dyson gemeint. Kammermusikalischer ist folgender Paneuropa-Express: Viele Stränge laufen bei PAGO LIBRE zusammen oder auch nicht. Dazu zählt die Herkunft der Musiker, die jedoch meist unmerklich einfließt. Der Innerschweizer Irländer John Wolf Brennan (pi, melodica), der Umbrier Daniele Patumi (kb), der Wiener Tscho Theissing (vi) sowie der Russe Arkady Shilkloper (french/flugelhorn) spielten beim »Sol Fest«-Festival auf Sizilien ein angerauhtes Album ein: »Live in Italy« (Leo Records) tangiert schwer ins Artifizielle, doch halten die Musiker mit interpretativ-improvisiert Vorkomponiertem entgegen. Selbst Shilklopers »Folk Song« ist nur Arbeitsgrundlage, der einer steten Quantenverschiebung gen Dekonstruktion nur schwer widersteht.
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