Er läuft ja derzeit wieder im Kino, dieser 1932 von Robert E. Howard erfundene Barbar, der durch eine prähistorische Fantasywelt dümpelt und es mit bösen Zaubern, Gnomen, Monstern und sonstigem Schnickschnack aufnehmen muss. Eine verkitschte Burschentraumwelt, in der noch dazu ein frauenfeindlicher Brutalo der strahlende Held ist, gilt uns heutzutage eher als reaktionärer Unfug – mit oder ohne Schwarzenegger. Man vergisst aber dabei, dass Howard Außenseiter war und es ihm wohl auch um eine Art Zivilisationskritik gegangen ist. Einem zeitgemäßen Avantgardisten wäre das trotzdem zuwider, obwohl in der Avantgarde die militärisch verstandene »Vorhut« steckt, und gerade die »Garde« ist natürlich martialisch besetzt, als Schutzwache bzw. Schwertgriff. Die Avantgarde als klöppelnde, das Bürgertum niedermetzelnde Horde?
Hören wir etwa in »Axiom For The Duration« (Potlatch) von SEIJIRO MURAYAMA & ST?PHANE RIVES hinein. Satte 20 Minuten plättet uns zunächst ein stehender, schriller Ton aus dem Sopransaxophon. Inzwischen klingelt der Nachbar und beschwert sich verwirrt über den Lärm, den er für die hysterische Episode einer Bohrmaschine hält. Die eigentliche »Musik« hier ist also eher in den Obertönen zu finden, die sich von vibrierender Highnote zu vibrierender Highnote schwingen. Vorwiegend akademische Ohren kommen hier auf ihre Kosten (und verstehen auch das axiomatische daran), der Rest der Hörerschaft fühlt sich akustisch eher vergewaltigt. Vom selben Label und auch vom selben Percussionisten, SEIJIRO MURAYAMA, allerdings mit JEAN-LUC GUIONNET am Altsaxophon, stammt »Window Dressing« (Potlatch). Obwohl hier der Zugang ähnlich minimal/radikal ist, ist dieses Werk um einiges zugänglicher. Der Querverweis auf ein zenbuddhistisches Musikverständnis, insbesondere hinsichtlich der Dialektik von Klang und Stille scheint angesichts des japanischen Percussionisten angebracht, aber wer sich wirklich ein Bild von dieser Musik machen will, sucht auf Youtube »Why improvised music is so boring« von den beiden Herren. Das sollte jeglichen Wissens- und Hördurst stillen (und beweist zugleich, dass Selbstironie und Avantgarde sich nicht ausschließen).
Auf »USA« (Pan-Act) hat es die Herren PETER REHBERG & MARCUS SCHMICKLER nach Chicago und New York verschlagen, wo sie zwei Sets mit »real time extreme music improvisations« einspielten. Beide Herren sind als Pioniere der elektronischen Avantgarde einschlägig bekannt, insbesondere der Wiener Peter Rehberg als Gründer der Edition Mego (sehr treffend übrigens, dass er auf der Pan-Act-Labelsite als »Mego Overlord« bezeichnet wird). Zu hören gibt es für Eingeweihte einen vibrierenden Soundteppich voller »sonic details« bzw. »a endoskeleton of carefully moulded drone and near-techno pulsation«. Weniger Eingeweihte hören Metallinsekten (Beats im Flügelschlagtakt!), die sich durch das Innere eines Laptops fräsen, dabei ein elektrobrachiales Soundgemetzel auslösend. Sehr arg, sehr enervierend, sehr hörenswert. Wem das noch nicht »technizistisch« genug war, greift zu »10 Maschinenkompositionen« (Institut für Musik und Musikwissenschaft/Uni Hildesheim) von RESONANZRAUM FAGUS. Der Titel sagt hier schon fast alles, für diese CD wurden zehn Komponisten dazu eingeladen, ausschließlich mit Arbeits- und Maschinengeräuschen aus dem (vor kurzem zum Weltkulturerbe ernannten) Fagus-Werk zu arbeiten. Diese verschiedenen Zugänge machen den Reiz des Albums aus. Dass die meisten Komponisten aus dem maschinellen Umfeld eine fast meditative Soundidylle erzeugen, lässt sich wohl darauf zurückführen, dass keiner unter ihnen Erfahrungen mit der Arbeit am Fließband gesammelt hat. Immerhin, hier schläft Conan. (Und mit ihm Björk, die seinerzeit aus Maschinengeräuschen ein Musical gezaubert hat.)
Also wieder rein in die Vollen. »This CD was made entirely on linux« verkündet der Soundinstallateur KIM CASCONE auf »The Knotted Constellation (Fourteen Rotted Coordinates)« (Monotype Rec.) und das klingt irgendwie so, als würde Pete Doherty schreiben »This CD was made entirely on cocaine«. Ähnlich abgehoben ist das Resultat jedenfalls. Hier führt uns ein technikaffiner Haudegen der modernen Musik in ein sich kontinuierlich wandelndes Soundpandämonium, dessen Ausgangsquelle einmal mehr field recordings sind, die natürlich elektronisch verzerrt, verstärkt, gedehnt, überlagert wurden. Handwerklich sicher einer der überzeugendsten Tonträger, die ich bislang aus diesem Genre gehört habe, aber die unvorbelastete Hörerin findet hier einmal mehr einen Geräuschbarbaren, der ihr offenbar seinen geliebten Laptop um die Ohren knallen will.
SPLICE sind die vier Herren Bonney, Fincker, Tremblay und Smith, die auf »Lab« (Loop Records) in fast klassischer Jazzquartettbesetzung einen weiteren Versuch starten, den gordischen Knoten aus improvisierter Musik und vordefinierten elektronischen Elementen zu zerschlagen. Was auch hier anfangs nach einem elektronischen Elefanten im Jazzporzellanladen klingt, mutiert bald zu einer famosen Ensembleleistung, die alt und neu zugleich, ergo in nahezu jede Richtung offen klingt. Eine sehr stimmige, abwechslungsreiche Angelegenheit, jedem aufgeschlossenen Jazzfan unbedingt zu empfehlen. Wir bewegen uns noch einen Schritt weiter in Richtung Jazz, lassen die Laptops aber nun hinter uns. Dass Conan, der Bürgerschreck, kein Privileg der Elektronik ist, beweisen DuH auf »In Just« (Red Toucan Records). DuH steht für Hungary und Germany, bezeichnet also die Herkunft dieser vier Freunde des atonalen Jazz, namentlich Martin Blume (Drums), Albert Markos (Cello), Szilárd Mezei (Viola) und (der besonders umtriebige) Frank Gratkowski (Saxophon, Klarinette). Besonders die pizzicato gespielten Passagen von »In Just« sind sehr reizvoll. Man spürt, dass sich hier vier hervorragend disharmonierende Persönlichkeiten gefunden haben. Heißer Scheiß für Freunde der atonalen Improvisationsmusik also, aber eben nur für diese. Weitaus traditioneller geht es das Quartett HERTENSTEIN/HEBERER/ BADENHORST/NIGGENKEMPFER auf »Polylemma« (ebenfalls Red Toucan Records) an. Hier befinden wir uns in virtuoser Hinsicht in guten Händen, das bisschen grell und dissonant nehmen wir auch locker (kann bei einer Bassklarinette gar nicht weh tun) und dennoch fehlt der letzte Kick, um »Polylemma« uneingeschränkt zu empfehlen. Zuviel Improvisation um ihrer selbst Willen vielleicht. Vielleicht aber fehlt ganz einfach Conan, der Elektrobarbar, der diesen traditionell fundierten Jazz eben doch ganz anders verorten und justieren würde. Aber es müssen ja nicht immer verschreckte Bürger zurück bleiben. Das funktioniert heutzutage ohnehin nur noch im Film.