Neues aus Üsterreich

Rein quantitativ war 2012 im österreichischen Pop ein gutes Jahr. In fast wöchentlichem Abstand wurden teils sehr hörenswerte (Debüt-)Alben auf den Markt geworfen. Auch im Herbst setzt sich der Trend fort, wobei auffällig ist, dass bis auf eine Ausnahme alle der hier rezensierten Bands aus Wien stammen oder in Wien beheimatet sind. Die Stellung der Hauptstadt als Zentrum des österreichischen Popgeschehens scheint unangefochten.

Der örtlichen Konzentration steht eine angenehme stilistische Vielfalt gegenüber, die von Gitarrenpop bis Electro Funk diverse Genres umfasst.
Die wunschlos unglücklichen MORBIDELLI BROTHERS schaufeln sich auf ihrem aktuellen Album »Five Hours To Weather The Dark« (Trost) das eigene Familiengrab. Manchmal darf man sie dabei nicht für voll nehmen (»Pick A Bale Of Cotton«), zuweilen wirkt das aber durchaus so, als wäre die Gruft schon bezugsfertig (»My Bloody Hand«, »Hung My Head«, das sehr gute »Avocado Skin«). Songtitel wie »Born In Rain« sprechen eine eindeutige Sprache, die reduzierte Produktion von Kreisky-Mann Gregor Tischberger ebenso. Dunkler Barhocker-Philosophenrock der Marke Firewater mit Americana-Schlagseite, für Leute die »Spirit« schon mal mit »Alkohol« übersetzen.
»In der Auswahl unserer Kunden sind wir genauso wählerisch wie bei der unserer Partner«, hei&szligt es auf inkmusic.at unter »we are ink«. Entweder nimmt die Agentur mit hauseigenem Label dieses Prinzip doch nicht ganz so ernst, oder sie ortet in den Kremsmünsteranern von THE NINTENDOS Potenzial das Restösterreich verborgen bleibt. Scherz beiseite, es gibt tatsächlich die eine oder andere unterhaltsame Nummer auf »Party« (Pruckl Beats/Ink), darunter etwa »Rien Ne Va Plus« oder die erste Single »The Truth«, und auch die verschmitzt eingeworfenen Twin-Gitarren warten mit gewissen Reizen auf, doch eigentlich war schon Mitte der 00er-Jahre die Luft raus aus Bands, die britischer als die Briten sein wollten. Und selbst für ein Revival des Schweinerock- Revivals will es nicht reichen. Da haben die zitierten Arctic Monkeys oder Franz Ferdinand einfach die besseren Songs. Kremsmünster wird nicht London werden.

Wer mit mehr Substanz unterhalten werden will, greift diesen Herbst zu »Sould Out« (Seayou Rec.), dem von Wolfgang Möstl (u. a. Killed By 9V Batteries, Mile Me Deaf) produzierten zweiten Album der kunterbunten Band DIE ETERNIAS. Dieses Quartett begreift das Platten- und Musikmachen noch als Happening, eine Einstellung die viele Bands schon auf der Bühne zu viel Mühe kostet. Freilich bleibt bei den Eternias auch live keine heilige Kuh ungeschlachtet, lässt es sich doch mit ihrem versponnenen tongue-in-cheek-Pop hervorragend Elefant im Porzellanladen spielen. Da stehen Reggae-Grooves gleichberechtigt neben Rock’n’Roll-Varietéeinlagen und Sixties-Surfgitarren als ob das immer schon zusammengehört hätte. Und nach den circa 40 Minuten von »Sould Out« ist man sich keineswegs mehr sicher, ob es überhaupt jemals anders war.

Peter Hartwig und Chris Isepp waren schon in den frühen 1990ern Teil der Wiener Elektronikszene. Als KING ELECTRIC feilte das Duo nun bereits seit einigen Jahren an seinem Release-Debüt. Die Mühe hat sich bezahlt gemacht, schlie&szliglich strotzt nach den gefeierten Singles »Da King« und dem schnellen »Commit Yourself« vor drei respektive zwei Jahren auch der selbstbetitelte Longplayer (Top10Rec.) nur so vor Spielwitz und lotet zwischen Kirmes-Wave und Electro Funk so manche Spannungsfelder aus. Altbackenes (Vinyl- Knisterästhetik) steht neben erfrischend Eigenartigem (das aus Flipper-Samples zusammengestellte »Pinball Wizard«). Manchmal scheinen die zwei Wiener noch ein wenig dem Downbeat-Hype der 1990er Jahre verfallen, doch Uptempo- Kracher wie oben erwähntes »Commit Yourself« oder »We Got Funk« fungieren als Fadgas-Prävention. Likeable.

»Tolles Konzert!« und: »Macht noch mehr Reggae!«, hat ein begeisterter Fan auf die Facebook-Pinnwand von LENINs WHEELCHAIR gepostet. Es ist zu wünschen, dass die Band dieser im Imperativ vorgebrachten Empfehlung nicht Folge leisten wird. Schlie&szliglich funktioniert das in Graz beheimatete Quintett auf seinem aktuellen Album »Domovina« (Pumpkin Rec.) als Gypsy-Jazz-Folk-Noise-Rockgruppe viel besser. Die klassische Schule des Songwriting (»A Place To Go«) beherrscht die Band genauso gut, wie Jazz-Ausbrüche McLaughlin?scher Prägung (»Drawi«, ein Showcase für Gitarristen Gerhard Neubauer) oder Expeditionen in die Welt der undurschaubaren Akkordfolgen (»Fanfare For The Fired Man«). Chefdenker Wolfgang Temmel (u. a. Bonsai Garden Orchestra) und seine Spie&szliggesellInnen gehen erfrischend entspannt ans mitunter doch sehr komplizierte Werk und machen es gerade dadurch so hörenswert.

An »Ernesty IV.« (EMG/Hoanzl), der vierten Platte von Ernst Tiefenthaler alias ERNESTY INTERNATIONAL, wissen vor allem die traumgelenkten, von kindlichem Weltinteresse geprägten, wiewohl auch sehr reifen Texte zu begeistern. Zum Glück setzt sich Tiefenthalers Gespür für Feinheiten auch in den Melodien und Arrangements fort. Der mit Bands wie Bell Etage oder Hotel Prestige bekannt gewordene Musiker stellt Folkpop-Traditionen klug auf den Kopf, gibt sich gerne auch mal als symphonischer Indie-Schlurf (»Boots«) und mengt all dem ein gehöriges Ma&szlig an Schrägheit bei. Ob Indietronics-Gehversuche (»The Smell Of Dogshit In Early December«) oder simpler Feel-Good-Kadenz-Pop (das an die Long Winters erinnernde »Love Is Just Love«): Was auch immer Tiefenthaler angreift (und das ist vieles, schlie&szliglich hat er auch alle Instrumente selbst eingespielt) gereicht der HörerInnenschaft zur herbstlichen Wonne.

Fast zehn Jahre lang hat der viel beschäftigte Wolfgang Schlögl unter dem Namen I-WOLF keine Musik mehr veröffentlicht. Und dann ist auf seiner neuen EP »Let It Go« (Seayou Rec.) gerade mal ein einziger Song oben. Den gleichnamigen Track gibt es dafür gleich in mehreren Versionen. Da stehen neben der relativ konventionellen und – ähm – fleischlichen »Fleshandblood«-Variante (auch als Single ediert) und dem fiebrigen, effektiv reduzierten »Skinandbones«-Edit auch noch zwei Remixes von Ogris Debris und Oliver Dollar, die allerdings keiner braucht. Der laut Pressetext »autokratische« Sound orientiert sich an bewährten Mustern, die Schlögl natürlich besser abpaust als andere Apologeten frei flirrender Clubrhythmik. Das kommende Album darf jedoch mehr können.

Wie Schlögl braucht man auch dessen Labelkollegen Stefan Deisenberger und Jakob Kubizek niemandem mehr vorzustellen. Die zwei Steyrer, die seit Jahren in unzähligen Bands (Superformy, Naked Lunch, Nowhere Train etc.) dem Ideal von Popmusik als Lebensaufgabe nachgehen, sind verlässliche Grö&szligen im österreichischen Musikgeschehen. Als LOVE & FIST haben die beiden vor zwei Jahren ihr Erstlingswerk vorgelegt, dem im Frühjahr 2013 aller Voraussicht nach ein zweites Album folgen wird. Bis dahin können sich Fans die Zeit mit der EP »Last Days In Country« (Seayou Rec.) versü&szligen. Gleich der Opener »Wasting My Time« will alles und noch mehr. Die vielen übereinandergelegten Spuren machen den Song zwar zum etwas undifferenzierten Hörerlebnis, deuten jedoch auf eine soundästhetische Neuorientierung hin, die noch spannend werden könnte. So sind auch die verbleibenden drei Lieder als nette bis sehr gute Abgesänge an die Austro-Variante von Country und Folk (daher der Plattentitel) zu verstehen. Und »Behind The Times« bringt uns an der Gitarre und im Chor zum vermutlich letzten Mal den verstorbenen Hannes Strasser (Roter Stern Silberstern) zurück.

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