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Various Artists

»Stand Up, People«

Asphalt Tango Records

Auch zwei Jahrzehnte nach dem »Zerfall« Jugoslawiens, gute zehn Jahre nach dem letzten größeren Gewaltausbruch in dessen Folge, steht man noch vor dieser Geschichte und weiß nicht, wo in diesem Gewirr aus Parallelitäten und Gleichzeitigkeiten, Stereotypen, Illusionen, Krisen, Träumereien und Blindheiten der eine roten Faden verläuft, der das vielleicht verstehen helfen könnte. »Stand Up, People. Gypsy Pop Songs from Tito’s Yugoslavia 1964-1980« erklärt auch nicht mehr, führt aber dem Mosaik der Wahrnehmung dessen, was im Klischee zu Titos integrativem Multikultistaat reduziert wird, ein Erkenntnissteinchen hinzu. In der Sozialistischen Föderation Jugoslawien waren die Roma als Minorität anerkannt, Sprache und Kultur unter staatlichen Schutz und Förderung gestellt. Im Zuge dessen wurde Musik von Roma-KünstlerInnen zur Größe im Radio-Mainstream, wurde ab den 1960er Jahren Roma-Kultur in der basalen deutlicher präsenter. »Stand Up, People« entstand als Resultat langen Sammelns – teilweise sind in Belgrader Ramschläden gefundene 7″-Unikate zu hören; neben bekannten Größen der Roma-Musik (Ezma Redžepova, Šaban Bajramovic) sind MusikerInnen vertreten, deren Biographie völlig im Dunkeln bleibt – aber die Qualität der Compilation liegt nicht allein im Reiz des rare gem, sondern darin, dass hier eine Musikszene sichtbar wird, der nicht allein an der Verwaltung einer authentischen Musiktradition liegt, als die Roma-Musik noch immer gerne aufgefasst wird. Die Stücke der Sammlung, die sich auf Material aus der muslimisch geprägten Community in Mazedonien, dem Kosovo und dem südlichen Serbien konzentriert, stehen deutlich im Dialog mit dem musikalischen Geschehen ihrer Zeit in Ost und West. So stecken die 19 Songs voller Ûberraschungen und unerwarteter Mash-Ups. Da wimmert dann, bei Ava Selimi, zwischen Blechbläserfeuer eine proggige Hammond über die bittere Klage einer Verlassenen. »Djelem, Djelem«, später internationale Hymne der Roma, ist in der Version des Ansambl Montenegro von 1968 ein Bewerber für den Titeltrack eines nie gedrehten Sean-Connery-Bonds in balkanischen Schluchten. Während anderes die Wege der Popgeschichte eine Kreuzung weiterdenkt: Wie die indische Musik über die Beatles in den Pop gewandert ist, wandert sie hier etwa als mit Beat-Elementen gebrochene indische Musik zurück in den psychedelischen Folk-Entwurf eines Muharem Serbezovski. Oder, wie das ausführliche Booklet dessen Smashhit »Ramu, Ramu« kommentiert: »A Macedonian Rom singing in Serbian about a fictional character from an Indian film: only in Yugoslavia.« Verstehe das, wer will …

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