Kino-Sprechstimmen (aus Peckinpahs »Straw Dogs« oder Kurosawas »Kairo«) sorgen für Atmosphäre. Beim Hören an Postrock denken ist nicht falsch, die Assoziation Kammerrock richtiger. Glockenspiel, flächige, packende Gitarren, ein solid-tiefer Bass und Cello, Klarinette und Keyboards beamen in Wonnen des Hochgefühls. Joan Cambon und SYLVAIN CHAUVEAU sind die Masterminds und letzterer hat für den wieder releasten Zweitling »Nocturne Impalbable« (2001, www.dsa-wave.com) ein kammermusikalisches Ensemble um sich geschart. Pianos, Celli, Akkordeon, Trompete und Klarinette versprühen bei dezenter Clicks&Cuts-Anwendung wiederum cinematographischen Charme. Grundstimmung: Melancholisch, herbstlich. Allein wie das Piano angeschlagen wird, verströmt pure Schönheit. Ein Meisterwerk! THE NOTWIST stehen dem mit »Lichter« um nichts nach. Der Soundtrack zu Hans-Christian Schmids Menschenhandel thematisierendem Film kommt Chauveau recht nahe, allerdings werden einige Electronics mehr beigemischt. Das »Lichter«-Thema mäandert, Nebel senkt sich nicht nur über die deutsch-polnische Grenze. Das Erschaffen von trist anmutender und doch Hoffnung gebender Filmmusik liegt auch MICK HARVEY. Streicher tragen auch in »Australien Rules« (Mute/Virgin) dick Schwermut auf, die Harvey selber an Piano und Gitarrenstrings noch verstärkt. Und Lap-Steel-Gitarrist Matt Walker setzt den Landschaft im Kopf generierenden Kontrapunkt. »Reach For The Sky«, besonders der acidgetränkte Remix von Pluramon, ist dann eine sehr hübsche Fortsetzung. SUN (www.staubgold.com) sind mit ihrem gitarrelastigen Americana-Pop eigentlich eine atypische Band auf dem Kölner Label, und auch die weiteren Remixes von Mapstation, Pimmon oder Hrvatski machen der Gitarre nicht den Garaus, sondern überstrapazieren fast deren Schönklang. Eine Erleuchtung ist auch »Rivers and Tides« (Winter&Winter/Edel), FRED FRITHs Musik für einen Film von Thomas Riedelsheimer. »Andy Goldsworhty working with time – Rivers and Tides«, ist eine exemplarische Arbeit, wo förmlich Wassergeräusche und Flussmündungslandschaft im Kopf flimmern. Einbezogen wird eine schmale Besetzung (kontrab, perc, sopransax, bcl) und Frith selbst brilliert mit stimmigen Instrumenten (g, samples, vi, pi, berimbao). Wieder zu Abenteuern im Kopf: GUY KLUCEVSEK & PHILIP JOHNSTONs »Cryptic Tales« (Winter&Winter/Edel) enthält zwar teilweise Stücke für (Tanz)Theater, doch könnten die beswingten Duett-Erzählungen von Akkordeon und Sopron- bzw. Altsax auch eine Osteuropareise, die an Wien (Schubert, Strauß) vorbeischrammt, imaginieren. Akkordeon unter strenger Fittiche: TEODORO ANZELLOTTI*JOHN CAGE (Winter&Winter/Edel) handelt von Satie’schen Implikationen und enthält »Dream«, ein frühes Stück für Merce Cunningham, das als »Souvenir« eine zunächst nicht gewollte Reinkarnation erfährt. Sehr fernöstlich inspiriert und ebenso interpretiert. Davon habe ich bereits auf der Cage-CD geträumt, aber im Folgetonträger eher vorgefunden: Die fantastische, karge Leere in KIM KASHKASHIANs »Hayren« (ECM New Series/Lotus). Tigran Mansurian hat für die Viola-Gigantin Kashkasian und Perkussion-Meisterin Robyn Schulkowsky zwei Duette geschrieben. Ein kurzes, magisches Intro und einen 18-Minüter, der die behände Eleganz der Instrumentalistinnen hervorhebt. Und in der Interzone gefallen die romantischen Pianopiècen des Musikgeneralisten, Priesters, Poeten und Philosophen Komitas (1869-1935). Verwoben mit Armeniens historischem Musikschatz, treffen sie besonders dann ins Herz, wenn sie wirkliche Lieder sind und diese wie »Antuni« vom Pianisten Mansurian mit leidender Stimme dargebracht werden.
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