Letzteres war Endpunkt der Turbo-Folk-Odyssee aus skug Vol. 52: In »Trash Cuts«, einer schrägen Videoinstallation von Djordje Bajic, war im TV-Zimmer Privatfernseh-Müll zu sehen, der u.a. einen Ceca-Contest zeigte, in dem junge Serbinnen die Turbo-Folk-Queen Ceca imitierten, mit Ceca als Jurorin! Zunächst aber servieren Dark Wood Dub, die ihr politisches Engagement auch bei Konzerten in Zagreb, Sarajevo, Skopje, Ljubljana oder Kosovska Mitrovica kundtun/taten, Großstädtisches aus Serbiens Metropole. »Elektro Pionier« (B92, 1999) überzeugt mit satten Basslines und herrlichen Electronics. Dabei schafft die kompakte Band spielend den Spagat zwischen Rock und Dancefloor. Auch »Zivot Pocinje U 30 Oj« (B92, 2002) zeichnet luftiges Songwriting aus. (Dub)-Reggae-Einflüsse schwingen mit und zwischen entspanntem jazzy Cocktailsound und anregend gitarrig pulsierenden Popsongs »Beginnt das Leben mit 30«, so der Albumtitel, weniger wild.
Weniger befremdend als Turbo Folk sollte die fabulöse Volxmusik aus Restjugoslawien sein, wozu der geniale Sampler »Srbija: Sounds Global« des Labels B92 des Belgrader Radio B92 beiträgt. Darauf wird in den Liner Notes von Djordje Tomic mit Turbo Folk, der schamlosen Verbindung von westlicher Technologie und orientalisch codiertem Kitsch, kurzer Prozess gemacht. Der nationalistische Wahn der Politik und die wilde Privatisierung, die vor allem kommerzielle Kanäle ohne Rückgrat (Palma TV, später Pink) hervorbrachte, haben das Verschwinden einer reichen Volksmusikkultur beschleunigt. Umso verdienstvoller ist die diese Musik wieder aus dem medialen Off fördernde Kompilation, die mit betörend schöner Musik aufwartet. So berufen sich Svetlana Spajic (siehe »ExEu«-CD) und ihr Duo Drina wie Dragoslav Pavle Aksentijevic auf eine überlieferte orale Tradition. Auch Darko Macura aus der Kniner Krajina beschwört mit Instrumenten wie Duduk und Tambura und seiner traurigen Stimme magische Momente. Gerade Musiker aus der Vojvodina zeigen sich offen eine freigeistige Interpretation der Tradition. Vor allem Teufelsgeiger Lajko Felix aus Subotica im »Felix Kolo« mit dem Boban Markovic Orkestar und in »Citeras«, wo er auf einer Zither seinen ungarischen Background mit Echos vom Balkan vermengt. Boris Kovac mit seinem »Last Balkan Tango« sowieso, aber auch der Akkordeonspieler und Bassist Vladimir Nikic, der auch bei OGNJEN I PRIJATELJI aus Pancevo wirkt. »Balkan Rumba« heißt die Einspielung der Musiker um den Klarinettisten Ognjen Popovic, der wie Kovac von Nostalgie getrieben scheint, aber mit seinem achtköpfigen Ensemble ebenso heutige, wunderbar-zeitlose Arrangements rüberbringt. Traurigkeit und Sehnsucht, Liebesleid und temperamentvolle Freude, alles was berührt, ist auf diesem balkanischem Album zu finden.
Und nun zum real Funk, zum Drum’n’Bass vom Balkan. Das BOBAN MARKOVIC ORKESTAR (BMO), das dank seiner Präsenz in Emir Kusturicas Film den Boom der Roma-Brassmusik ausgelöst hat, brilliert auf »Bistra Reka« (B92) erneut. Dem zurzeit der Zusammenarbeit mit Attwenger entstandenen Album ist anzumerken, dass die Combo aus dem südserbischen Vladicin Han immer einen Schritt weiter ist als vergleichbare. Belohnt wurde das u.a. auch im Blasmusik-Woodstock Guca, wo das Orkestra innerhalb zweier Jahre die Preise für die beste Band und den besten Trompeter einheimste. Boban Markovic hat es immer wieder verstanden, sich von Sounds aus aller Welt zu nähren. Deshalb sind auf diesem B92-Album nicht nur rasende Coceks oder Kolos zu hören, sondern durchaus vitale Brassarrangements, die Balkan- mit Jazz-Big-Bandsounds kurzschließen. »Funk, the sonic key …woaw! Vier Tenorhörner spielen unisono und erzielen damit einen uni-minded chunk-a-chunk-a wie Steve Cropper. Tubist Sasa Alisanovic ist der Balkan Bootsy … Balkan Stylee …« Frank London, der auf seiner letzten CD mit dem BMO kollaborierte, stimmt in den Linernotes zu »Live In Belgrade« (Piranha/Ixthuluh) Lobeshymnen an, und nicht nur wegen der Evergreens »Mesecina« oder »Ederlezi« sollte das Album reizenden Absatz finden. Hochzeitsmusik aus Mazedonien hat sich das KOCANI ORKESTAR (KO) diesmal vorgeknöpft. »Alone At My Wedding« (Crammed Discs/Ixthuluh) lebt einmal mehr von einer Armada aus vier Tuben und inmitten feuriger Trompeten, einer Klarinette und eines Alto Sax hat Zlate Nikolov einen schweren Stand. Oft wird sein Akkordeon übertönt und in den Verein einer schmal besetzten Combo, die eine während des Hochzeitsbanketts aufspielende Band (tr, sax, oder cl, banjo, voc) nachstellt, wurde es nicht aufgenommen. Derart könnte das KO eine gesamte Hochzeit durchspielen, was aber angesichts dreier Tage Powerplay an die Substanz ginge. Jedenfalls: Mit gleich drei Sängern und in variierender Besetzung tönt es leidenschaftlicher denn je.
Jazz & Klassik aus Montenegro
Und was brachte eine Reise nach Podgorica, in die architektonische Postweltkrieg-2-Wüste der Hauptstadt Crna Gores? Viele Erkenntnisse, etwa, dass TV Montena ein turbo-folk-freies Angebot an klügere Schichten ist, die JournalistInnen dort 200 Euro in vier 6-Tage-Wochen verdienen, dass die Sängerin Kaya überzeugenden Eurotrash rüberbringt, dass im Jazzclub Montanera jugoslawische Jazz-Kapazunder aufspielen und dass das J U Kulturno Informativni Centar nicht genug Geld hat, um eine eigene Website aufzubauen. Trotzdem sind bei der Chefin Maja Popovic (Tel. 00381/81/245 345) einige feine CDs erhältlich. Das Grad Teatar Budva – ein Kontrapunkt in der Touristenhochburg an der Adria -, in dem alljährlich ein Kammermusikfestival, das Maja Popovic kuratiert, stattfindet, fungiert auch als hochklassiges Label. So enthält die im Jahr 2000 eingespielte CD »Muzicki odjeci XX vijeka – XIV Festival Grad Theatre« u.a. György Ligetis »String Quartet No. 2«, das vom Kreutzer Quartet mit flirrenden, dynamischen Kontrasten ausgestattet wurde. »Na Rskrccu Epoha – On The Crossroad Of The Epocs« umreißt die Könnerschaft von MusikerInnen aus Jugoslawien und Kroatien, die teilweise in Emigration leben, allerdings mit einem eher konservativem Programm von Szymanowski bis Skrjabin und Bach. Astor Piazzolla, der während der 13. Festivalausgabe gleichfalls gewürdigt wurde, erfährt in der »Astor Piazzolla Hommage« mittels heimischer Kammerensemblekonstellationen eine feinnervige Neuinterpretation. Und eine Quintett-Besetzung vermag gar die »Nuevo Tangos« aus 1960 schluchzend wiedergeben. DEJAN BOZOVIC ist auf dieser Einspielung E-Gitarrist im Dienste der Kompositionen, doch enttäuscht er auf »Homeland« mit kleisterndem Synthesizer und Breitwandklampfe, worüber auch manch kommerztechnoides Sample nicht hinweghilft. PIVA JAZZ widmet sich auf »Sheperdess« (Bobos Records) gemütlichem Triospiel, wo Milorad »Sule« Jovovic mit seiner Gitarre cooljazzige Akzente setzt. Und VLADIMIR MARAS & BAND geben auf »Pod Kamenom« (Sokoj) entspannten Jazz mit bluesiger Gitarre und raumgreifenden solistischen Exkursionen des Tenorsaxophonisten bzw. Posaunisten. Nicht in diesem Paket enthalten ist RADE RAPIDO. Tanz den Tito mit »Kamo Sjutra«? (www.komuna.com). Stupide Worte treffen auf minimalistisch-rabiate Technobeats im Bandkonzept. Trio und DAF lassen grüßen. So etwas wie postmoderner Dadaismus aus Crna Gore.