Kann JOHNNY CASH nach dem Angriff von Hollywood zur Ruhe kommen? Kann sein Werk endlich geordnet und analysiert werden? Die Antwort ist simpel: Nein. »American V: A Hundred Highways« (Lost Highway/Universal) versammelt die Songs, die Cash zwischen dem Tod seiner Frau und seinem Erlöschen noch aufnehmen konnte. Cash ist von seinen Krankheiten gezeichnet, aber er macht das, was ihn am Leben hält: Er spielt Songs ein, die ihm nahe sind. Im Gegensatz zum Vorgänger findet sich hier kein Paukenschlag, kein Gaststar und kein Cover eines Hits einer halbwegs jungen Band. Cash singt Songs – unspektakulär, ergreifend und meist zum Niederknien schön. Nie war mir Gordon Lightfoots »If You Could Read My Mind« näher, als durch diese Herzblutversion. Eine Platte die jeden Respekt verdient. Hoffentlich zollen auch die Labelmates Nick Cave, Tom Waits oder die Frames RAMBLIN JACK ELLIOTT Respekt. Zum 80er greift der Weggefährte von Woody Guthrie auf »I Stand Alone« (Anti/SPV/Edel) tief in die Trickkiste. Der Botschafter der Songs von Dylan, Guthrie oder Tim Hardin erlaubt sich Songs als Fragmente stehen zu lassen und zeigt dem Zuhörer wie schön 90 Sekunden sein können. Als überraschender Dauergast am Bass taucht Flea von den RHCP auf, der sich perfekt in das Konzept einfügt. Übrig bleibt ein witziger, überraschender und mutiger Gruß einer wahren Ikone. Eine Ikone für alles wofür New Orleans in der Musik steht ist auch ALLEN TOUSSAINT. Zusammen mit ELVIS COSTELLO nahm er auf »The River in Reverse« (Verve/Universal) sieben eigene Klassiker wie »Nearer To You« oder »All Those Things« und sechs neue mit Costello entstandene Songs auf. Natürlich ist Costello, der gerade seinen dritten Frühling feiert, das richtige stimmliche Medium für diese Songs, aber das Glück dieser Aufnahmen ist der Produzent Joe Henry, der der Versuchung widerstand einen glitzernden Bläsersound zu zaubern und beim soliden trockenen Clubsound blieb. Kollaborationen von Titanen unterschiedlicher Herkunft gehen oft in die Hose oder verenden in endlosen Nudeleien, hier findet das genaue Gegenteil statt. Auch wenn es tausenden Bewohnern nichts hilft: Hier ist New Orleans wiederauferstanden. Eine Wiederbelebung seiner Solokarriere wünscht sich wohl auch PAUL SIMON. Um den Sprung ins 21. Jahrhundert zu schaffen engagierte er für »Surprise« (Warner) Brian Eno, um den Songs angemessene Soundlandschaften anzupassen. Leider sind aber Simons Stilmittel seit »Graceland« nicht mehr geworden und jedem Song merkt man die Mühe und Anstrengungen seines Schöpfers an. Egal welches Themas er sich auch annimmt, ob Umweltzerstörung oder Kriegstreiberei, er wird der Mann bleiben, der sich seinen Platz in der Geschichte mit der Stimme von Art Garfunkel teilen muss. Tief aus der Geschichte ereilt mich der Beginn des Wiederveröffentlichungsprogramms des Werks der TRIFFIDS (Domino/Rough Trade/Edel). Die fast vergessenen Australier rund um Dave McComb waren in den 80ern so etwas wie der Missing Link zwischen den Go-Betweens und den dunkleren Seiten von Nick Cave. »Born Sandy Devotional« war 1986 der erste Schritt in die englischen Medien und damit in den Markt außerhalb Australiens. Auch wenn das Original um neun Songs ergänzt wurde, kann man am furchtbar gealterten Sound der Entstehungszeit nicht vorbei und auch wenn McComb einen traurigen Tod starb so sind die Songs hier ein Versprechen, das er erst später einlöste. DEAD MOON schleudern uns im Vorfeld der Europatour mit »Echoes Of The Past« (Sub Pop/Cargo) eine Werkschau der letzten 19 Jahre um die Ohren. 49 Songs auf zwei CDs, die die Vision von Fred Cole belegen: Gitarre, Bass, Schlagzeug, harte Getränke und Körpersäfte ergeben den Rock in purer Form, natürlich in Mono.

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