Zuerst 1994 auf dem Berliner Label Kitty-Yo in Erscheinung getreten, hat es Anne Rolfs über City Slang, Trost und Graumann mit »Getimed« von AUF zu Klangbad Records verschlagen. Ihr monotoner, leicht distanzierter aber immer herzlicher, warmer Gesang ist derselbe geblieben, hat sich aber mit den Jahren weiter perfektioniert. Ihr verzerrter Indie-Gitarrensound hatte von Anfang an seinen eigenen und typischen Charakter und tritt – je nach Projekt – variierend in Erscheinung. Aber sehen wir uns Anne Rolfs Alben einfach im Detail an.
Wuhling – »Speed« – City Slang (1996)
Diese kleine aber feine EP gibt einen guten Vorgeschmack auf die kommenden Sachen von Wuhling. »Speed«, »Tür«, »Indisch essen« und »Leinen los« sind auch auf den folgenden Alben enthalten, zeigen auch schon den schrammeligen Sound, den noisigen Indie-Rock mit dahinfließendem, fast shoegazigem Gesang. »Leinen los«, der letzte Song, ist Anfang eines musikalischen Laufs zwischen hartem Krach und sanftester Stimme.
Wuhling – »Extra 6« – Touch and Go/City Slang (1996)
Man liest immer wieder, dass Wuhling von Steve Albini entdeckt worden sei. Zwar ist das in gewisser Weise so, denn er hat sie wohl für sich entdeckt und dann freundlicherweise »Extra 6« innert sechs Tagen in Chicago aufgenommen, gar nicht so lange vor dem Nachfolger »Spacebeige«. Jedoch brauchen Wuhling sich nicht mit diesem Namen zu schmücken, ihren eigenen, fetzigen, trockenen Sound hatten sie schon vorher. »Extra 6« ist noch einmal ein Riesensprung nach vorne und wurde dann auch zu einem Geheimhit in Nerdkreisen. Der Wuhling-Schriftzug hat schon was Schnittiges, Sportliches. Rasant geht es auch los auf »Extra 6«, mit »Wohin«, wohin auch immer, man folgt Anne gerne. Mit »2nd Versuch« zeigt sie ihr Gefühl für herzzerreißende Melodien, die wieder abgelöst werden durch Verzerrung. Und immer wieder geht es weiter … »Speed«. Das Schlagzeug bei »Mit 17« klingt stark nach Kyuss’ »Demon Cleaner«, bestärkt das Gefühl von Trockenheit und Wüste, das den Sound ausmacht. Vielleicht der beste Einstieg in den Rolfs-Kosmos, diese zeitlose, hymnische Pracht.
Wuhling – »Spacebeige« – City Slang (1997)
»Nur noch dich« ist der erste Song des ersten Longplay-Albums von Wuhling und beginnt, den roten Faden zu spinnen, der sich durch die Welt der Anne Rolfs ziehen wird. Obwohl Faden vielleicht das falsche Wort ist. Das brachial klingende Wuhling ist im Seemannssprech die Bezeichnung für Tauwerk, das nicht oder nur unordentlich aufgerollt wie ein Haufen Spaghetti herumliegt. Darüber hinaus wird es metaphorisch für ein generelles Durcheinander benutzt. Einleuchtend. Songs wie »Roberta«, mit seinem wunderschön melodiösen, gefühlvollen Refrain sind Zeugnisse des Noisig-Poppigen, das mit dem Knallharten, dem Vollgas-Sound immer wieder eine perfekte Liaison in Rolfs Werk eingehen wird. Insgesamt gibt sie sich hier aber im Vergleich zu dem, was später kommen wird, noch eher gediegen, der Gesang klingt noch nicht ganz so perfektioniert wie auf den folgenden Alben. Es wird viel ausprobiert, die Songs gehen nicht so sehr in eine Richtung und mäandern manchmal etwas hin und her, nicht jede Nummer ist ein Hit. Aber nahezu. An den Drums: Frank Neumeier, der auch schon für Caspar Brötzmann an selbigen saß. Und ja, Ähnlichkeiten des ultra-expressiven Gitarrenspiels Rolfs mit jenem von Brötzmann Junior sind da. Irgendwie stecken die wohl alle unter einer Decke. Also: »Mach die Leinen los. Ich bin schon im Boot.« Geht klar. Bin dabei.
Allroh – »NYM« – Trost (2008)
Rolfs’ unter dem Pseudonym Allroh im Jahr 2008 auf Trost veröffentlichte EP »NYM« ist ihr Solodebut, einer der Höhepunkte ihres bisherigen musikalischen Schaffens und sei Unwissenden als Einstieg empfohlen. Wieso? Weil auf »NYM« alles passt und wie mit einem Wisch abgehakt wird. Rolfs spielt hier Gitarre und Sitar und singt dazu. »Ade«, der erste Track, ist – ja – ein Song über Abschied. Etwas wird nie wieder so sein wie vorher. Einfache Erkenntnis, doch in ihren Konsequenzen immer wieder vernichtend. Und »Ade« ist ein unfassbar eindringlicher, ausdrucksstarker Song, der dieser alltäglichen Erfahrung das genuin Individuelle entnimmt und sie zu einem Noise-Schwall sondergleichen verarbeitet. Gigantique. »In Rostock«: Wer weiß, was in Rostock passiert ist? Dazu fällt sicherlich jedem die eine oder andere Story ein. Hier jedoch bloß wunderschönes, unkonventionelles Sitarspiel. »Hebelus« ist ein seltsames Wort, so wie auch der klagende Gesang zum Stück. Und zuletzt but not least »Dieser«. Klingt wie ein in der Zeit stehengebliebener Heavy-Metal-Song. Ein Noise-rockiges Riff, bei dem man im ersten Moment erwartet, gleich steigt eine Band ein, sie tut es aber nicht und man merkt: Das kann Rolfs sowieso alleine. Diese unfassbare Wucht der EP kulminiert hier zwischen Riff und Solo, Verzerrung und Melodie und dem tobenden Gejohle ihrer Kehle. Ein Beispiel dafür, dass man sein Instrument auch exzellent beherrschen darf, um trotzdem äußerst ausdrucksstarke Musik mit Punk-Attitüde hinzukloppen. »Dieser Sommer kommt«, letzter Satz und Schlusspunkt der EP. Besser kann’s doch nicht sein? Fazit: Optimo.
Allroh – »Hag Dec« – Graumann Records/red.can.records (2009)
»Hag Dec«, das erste Langspiel-Soloalbum, alles roh und alles Rolfs. Größtenteils aufgenommen von Steve Albini finden sich hier vierzehn Songs, die weder strikt geradeaus gehen, noch sich sonst den handelsüblichen Hörgewohnheiten anpassen. Stattdessen erwartet einen ein Soundgewölle wie ein Amboss. Das Album ist Anne Rolfs experimentellstes, um das beste schlechte Wort für diese Art von Musik zu benutzen. Der Gesang: düster-feenhaft mit den Saitensphären verschwimmend, meist aus kryptischen, wenig sagenden und viel aussagenden Phrasen bestehend: »He du, was machst du da? Du da! Was machst denn du?«, »Was brauchst du?«. Die schweren Gitarren werden auch einmal von der Sitar abgelöst, z. B. in »Ma & Pa« und dem ruhigen »Feder«, »Met Al« ist auch noch gediegen, »Eine Skabiose« tragend, spirituell, wie auch »Kein CM« (Chinesische Medizin?). Es folgt wieder Noise-Rockiges, Anleihen an American Primitivism. Andere Songs zeigen schon mit ihrem Namen, was sie wollen: »Hammerhai«, gefährlich aussehender, meist in Schwärmen auftretender Fisch mit seltsamem Kopf, der aussieht wie eine Tragfläche und dessen Funktion noch immer nicht abschließend geklärt ist. Möglicherweise dient er zum Manövrieren oder zur besseren Wahrnehmung. Eins ist klar: Immer mehr weiß man über Haie, immer mehr Stimmen werden laut, dass Haie äußerst sensible Tiere seien, die, wenn man sie unter der Schnauze, also da, wo beim Menschen das Kinn ist, streichelt, in eine Art Trance verfallen. Ergo: Haie sind nur von weitem gefährlich, auch wenn sie wüst und roh aussehen, so sind sie im Grunde äußerst sensible Wesen, nähert man sich ihnen mit Bedacht. Mit »Hag Dec« ist es vielleicht ähnlich. Es ist nicht unbedingt leicht, sich diesem Rausch von Ausdruck hinzugeben. Wenn man aber will und nicht sofort vor dieser Eigenartigkeit erschrocken das Weite sucht, den Melodien und Harmonien Raum gibt und sich nicht vom brachial-krachialen Sound abschrecken lässt, dann hat man hier eine Mordsmuschel mit Perle drin.
AUF – »CD« – Graumann Records (2013)
»Wie du gehst und wie du stehst und wie du eine rauchst. Das ist heiß. Woo!«
Die unsagbar liebe, direkte, unironische Art, diese Zeilen zu singen, sich nicht hinter überkandidelten Phrasen zu verstecken, erfordert sicherlich eine Menge Mut und/oder Selbstsicherheit. Dieser schlichte Ausruf, das »Woo!« am Anfang des ersten Lieds namens »Heiß«, kann nicht anders, als den kompletten Körper mit Gänsehaut in der Heftigkeit von Aktentaschenakne zu überziehen. Mit dem wegen seines Namens immer wieder Verwirrung auslösenden Minialbum »CD« geht Rolfs einerseits zurück zu ihren »Wurzeln«, also Richtung Bandgefüge – hier von einem Schlagzeug begleitet –, knüpft jedoch andererseits an ihren ganz eigenen, bei Allroh weiterentwickelten Sound an. Annähernd vergleichbar ist das in seinem Powerplay entfernt noch mit Motorpsycho, jedoch ohne diese ausufernden Soli- und Krautauswüchse, sondern äußerst kompakt und straight. »Heute sehe ich einfach nicht gut aus. Doch du gehst mit mir aus. Und du schaust mich überhaupt nicht an. Das macht mir gar nichts aus.« Klingt nach allergrößter Unsicherheit und Liebe zugleich, nach Teenagerzeit und darüber hinaus, nach Vertrauen und nach Sehnsucht. Gerade, weil es so schwer greifbar ist und doch so bedeutungsvoll, zieht es so sehr an, wie sie spricht. »Ich hab den ganzen Tag lang nichts gemacht. Ich habe nur an dich gedacht. Ich hab die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Ich habe nur an dich gedacht. Ich liebe dich.« Fazit: Dauerrotation.
https://www.youtube.com/watch?v=cpOwEnwWcw0
Die Rezension von »Getimed« von AUF kann man hier nachlesen. In Teil 1 unseres Schwerpunks stellt sich Anne Rolfs außerdem dem skug Interview.