Die Wilde Jagd & Metropole Orkest © Paul Verhagen
Die Wilde Jagd & Metropole Orkest © Paul Verhagen

Klang-Odyssee zum Licht

Dirigent Simon Dobson peitscht Die Wilde Jagd & Metropole Orkest zu wahrhaftigen Soundeskapaden. »Lux Tenera – A Rite To Joy« lädt zu einer schamanistisch grundierten, meditativen Hörerfahrung und feiert die Glückseligkeit menschlicher Existenz. Sebastian Lee Philipp, the man behind, im Interview.

Die Donaufestival-erprobte Wilde Jagd schwingt sich mit dem Metropole Orkest zu Höherem empor. »Lux Tenera – A Rite To Joy«, uraufgeführt auf dem Roadburn Festival im niederländischen Tilburg, ist auf einer von irdischem Feuer inspirierten Himmelsfahrt, die, aus dem Lateinischen übersetzt, zum »zarten Licht« führt. Zwei riesige Taiko Drums flankieren das 50-köpfige Orchester. Und auch mit der von Patrick Kenny gespielten Carnyx wird die symphonische Grandezza wesentlich ausgeweitet. Die im antiken China und Korea entwickelten Röhrentrommeln dienten in Japan schamanistischen Ritualen, wogegen die Carnyx als hornartige Bronzetrompete während der Eisenzeit bei Kriegszügen der Kelten aufstachelnde Wirkung für die eigenen Truppen bzw. demoralisierende auf die feindlichen hatte. Langsam zünden die hypnotischen Klang-Odysseen, in denen Die-Wilde-Jagd-Impresario Philipp mit poetischen Lyrics zusätzlich ein transzendentes Empfinden schürt. Intimes Innehalten korreliert mit melodisch ansteigenden Crescendi, die sich unter Dirigent Simon Dobson in monumentale Sphären erheben. Diese immersiv-emotionale Klangreise zum Licht verbindet archaische Rhythmen mit avantgardistischer Symphonik. Anlässlich des Ende Jänner 2025 erfolgten Album-Releases interviewte skug den Berliner Produzenten Sebastian Lee Philipp, den Mastermind hinter Die Wilde Jagd, um Näheres über die Magie, die »Lux Tenera – A Rite To Joy« ausstrahlt, zu erfahren. 

skug: Voran möchte ich gern wissen, wie es zum doch etwas außerordentlichen Bandnamen Die Wilde Jagd kam?

Sebastian Lee Philipp: Die Wilde Jagd beschreibt eine mythische Erzählung aus der germanischen und nordeuropäischen Folklore. Laut dieser Sage ist während der sogenannten Raunächte – den Nächten zwischen Weihnachten und Neujahr – eine große Gruppe geisterhafter Wesen zu sehen, die auf Pferden über den Himmel reiten. Es gibt ein beeindruckendes Gemälde dieses Phänomens von dem norwegischen Künstler Peter Nicolai Arbo, das mich sehr fasziniert hat. Das Bild wirkt auf mich sowohl dramatisch als auch musikalisch und bei der Gründung der Band stellte ich mir meine Musik als eine Art Soundtrack zu dieser Szenerie vor. Generell fasziniert mich das dynamische Konzept und die Struktur einer Jagd – das langsame Heranpirschen, die Suche, der Höhepunkt – und ich versuche, diese Elemente in meine Musik einfließen zu lassen.

Sebastian Lee Philipp © Paul Verhagen

Beim ersten Mal Hören berührte mich »Lux Tenera« zutiefst. Über diese »Riten der Freude« möchte ich ein Review schreiben, dachte ich zunächst. Aber, da steckt mehr drin, weshalb ich dir einige Fragen schreibe. Zunächst zur Auftragsarbeit fürs Roadburn Festival in Tilburg, einer über 230.000 Einwohner*innen zählenden Stadt in der niederländischen Provinz Noord-Brabant. Wie kam es dazu und zur sehr fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Metropole Orkest unter Simon Dobson aus Hilversum?

Für das Roadburn Festival hatte ich bereits Ende 2020 die Auftragsarbeit »Atem« geschrieben und sie während der Streaming-Ausgabe des Festivals im Corona-Jahr 2021 aufgeführt. Ende 2022 erhielt ich völlig unerwartet einen Anruf von Walter Hoeijmakers, dem künstlerischen Leiter des Festivals. Er erzählte mir von der Idee, mich mit dem Metropole Orkest zusammenzutun, um eine weitere Auftragsarbeit für das Festival 2024 zu schaffen, und fragte mich, ob ich mir das vorstellen könnte und wie diese Zusammenarbeit aussehen würde. Zunächst stand im Raum, orchestrale Versionen bestehender Die-Wilde-Jagd-Stücke zu spielen. Viel mehr interessierte mich jedoch, ein komplett neues Stück speziell für das Orchester zu schreiben. Der Orchesterdirektion gefielen meine kreativen Ideen, und nach einer längeren Wartezeit, in der auf die Sicherung von Fördergeldern gewartet werden musste, erhielt ich im Spätsommer 2023 die Bestätigung, dass das Projekt grünes Licht bekam. Ab diesem Zeitpunkt begann meine intensive Kompositionsphase. Nachdem die Musik geschrieben war, arbeitete der Dirigent und Arrangeur Simon Dobson wochenlang mit mir an der Umsetzung der Arrangements. Drei Tage vor dem Festival begannen die Proben im Aufnahmestudio des Orchesters in Hilversum, bevor wir nach Tilburg reisten, um das Stück am 21. April 2024 beim Roadburn Festival aufzuführen.

Nun aber könntest du verwundert sein. Die »3. Sinfonie« des polnischen Komponisten Henryk Mikolaj Górecki war 2019 einige Wochen lang in den vordersten Rängen der britischen Charts. Sie strahlt Spiritualität höchsten Grades aus. Es ist eine grandiose Musik der Trauer, die ihre Kraft aus einer unerschütterlichen Religiosität bezieht. Góreckis »Sinfonie der Klagelieder« reicht weit über eine Rezeption aus dem Klassikbereich hinaus. Beth Gibbons hat sogar Polnisch gelernt, um mit diesem Meisterwerk erneut himmlische Höhen zu erklimmen. Wie viel bedeutet dir Góreckis Komposition?

Es ist ein wunderschönes Werk. Für mich persönlich und für die Entstehung von »Lux Tenera« hatte es jedoch keine Bedeutung. Meine Hauptinspirationen liegen in den religiösen Musikwerken des Mittelalters, vor allem im »Llibre Vermell de Montserrat« und den »Cantigas de Santa Maria«.

Simon Dobson © Paul Verhagen

Könnte nun »Lux Tenera« so etwas wie ein Gegenentwurf sein, der im Subtitel »Rites of Joy« an positive Kräfte appelliert? Angesichts der tristen Weltlage des Negativität anrichtenden Spätkapitalismus finde ich es bedeutend, wenn Spiritualität aus der Kraft der Natur bzw. aus scheinbar schamanischen Rhythmen geschöpft wird. Zumindest empfinde ich das so. Was waren deine Antriebskräfte für diese Orchestermusik, die auch mächtige, archaische Trommelrhythmen einbezieht und mit Streichern und insbesondere Brass eine majestätische Wirkung erzielt?

Ich betrachte das Orchester als einen Organismus, in dem jedes einzelne Element eine vitale Rolle für das harmonische Funktionieren des Ganzen spielt. Ähnlich wie ein lebender Organismus wird auch das Orchester von einer Art »Herz«, dem Dirigenten, gelenkt, der ihm Impulse gibt. Die tiefen Frequenzen und basslastigen Instrumente stellen für mich die Struktur eines Körpers dar: Knochen, Gliedmaßen und so weiter. Die mittleren Frequenzen symbolisieren die einzelnen Organe, die jeweils eine essenzielle Funktion erfüllen. Und die hohen Frequenzen stehen für Emotionen, Gedanken und die Stimme. Das Funktionieren dieses Organismus wiederum bestimmt, wie wir unsere Existenz wahrnehmen und wie wir uns fühlen. Ein Gefühl, das mir besonders wichtig erscheint und über das ich nachdenken und schreiben wollte, ist die Freude. In meiner Musik wollte ich die Phasen beschreiben, die wir manchmal durchlaufen müssen, um Glück und Freude zu erfahren.

Ungewöhnlich klingt das »Intro«. Sind das die Geräusche eines Metronoms?

Da hört man das Anzünden eines Streichholzes, welches ich mit einem Pedal loope. Die ewige Flamme, aus der alles entsteht. Das Licht. »Lux«. 

Die Lyrics in »Kabura-Ya« verweisen auf die Macht der Ozeane (die Erhitzung der Weltmeere generiert immer stärkere Hurricanes), doch vermutlich meinst du etwas anderes? Wobei »Kabura-Ya« zurückgeht auf den Pfeil der japanischen Samurai-Bogenschützen, der an der Spitze einen Hohlkörper hat und nach dem Abschießen einen Signalton evoziert. Dieser Sound kann durchaus als Unheil kündend interpretiert werden?

Die Wucht und Größe der Ozeane ist etwas, das mich beeindruckt. Diese Wucht und Größe liegt jedoch auch in uns selbst – Mikro und Makro. Wie oben, so unten; wie innen, so außen. Die Pfeile und deren Signaltöne, die wir mit den Flöten nachspielen lassen, sind eine kleine Referenz an die Wilde Jagd. Sie kündigen jedoch kein Unheil an, sondern symbolisieren den Kampf und die innere Anstrengung, die unser Weg zum Glück manchmal erfordert.

Die Wilde Jagd & Metropole Orkest © Paul Verhagen

Mit »Emanation«, wo anfangs eine akustische Gitarre die Akzente setzt, ist dir ein Lied über die Suche nach Glückseligkeit gelungen. Ganz schlau werde ich aber nicht aus den Textzeilen: »Nimmt es dich an der Hand. Gibt es dir, wonach du gierst?« Was genau ist damit gemeint?

Diese Zeile und das gesamte Stück handeln vom Vertrauen. Manchmal ist es wichtig, zu lernen, sich selbst aus dem Geschehen zurückzuziehen, den Drang nach Kontrolle loszulassen und sich höheren Mächten anzuvertrauen. Es bedeutet auch, dem Glück nicht im Weg zu stehen, sondern es zuzulassen und anzunehmen – ohne Angst, ohne Zweifel.

Titel wie »Pan-Song« oder »Sinusoidal Sweep« lassen mich daran denken, dass dein Ankerpunkt eher beim Selbstverständnis der Naturvölker liegen dürfte. Profitgier oder das Streben nach dem eigenen Vorteil ist in indigenen Kulturen nicht anzutreffen. Indigene achten darauf, dass sich ihr Handeln positiv für die siebte Generation in der Zukunft auswirkt. Unser Handeln sollte demnach nicht nur den Kindern und Enkelkindern gerecht werden, sondern auch deren Kindern. Ich denke, dass du mit diesem Sieben-Generationen-Prinzip einiges anfangen kannst? Gerade weil die indigenen Kulturen dem westlichen Kapitalismus diametral entgegenstehend und wegen ihrer Verweigerung, Extraktion zuzulassen, dem Untergang geweiht sind …

Der »Pan-Song« heißt so, weil die Bläsersounds hier von links nach rechts gepannt werden. Das symbolisiert für mich das Prinzip des Rhythmus aus den hermetischen Lehren und das Pendelschwingen, von dem ich auch in »Emanation« spreche. Der »Sinusoidale Sweep« symbolisiert ein Schwingen durch das komplette Spektrum unserer Emotionen – ein Kalibrieren unserer Gedanken und unseres gesamten Selbst, durch das neuer Platz für Freude geschaffen wird. Dies ist etwas, das ich tatsächlich als Teil indigener Rituale erlebt und erfahren habe, durch das Trinken der heiligen Pflanzenmedizin aus dem Regenwald. 

Vielleicht deshalb schließt das den Wonnen eines ethischen Lebens mit der Natur gewidmete Schlusssong »The Balance of Isidor« mit der Zeile »Sparks from a cosmic flame, burning my eyes« – Funken eines kosmischen Feuers verbrennen meine Augen? Oder bezieht sich der Zeitpunkt auf Millionen Jahre später, wenn die Sonne explodieren und sich die Erde einverleiben wird? 

Dies bezieht sich auf die Flamme, mit der die Platte beginnt – das Anzünden des Streichholzes der Flamme, durch die alles geboren wird. Meine Augen brennen vor all der Schönheit, die sie erschafft.

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