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In Szene gesetzt: Phonofemme 2015

Gesten gegen die »Militärischheit«, Hitler vor dem Spiegel und Jimi Hendrix-Revival. Der erste Tag des PhonoFemme-Festivals 2015 im Wiener Konzerthaus. Mit Favorisierung der Schlagzeugerin Olga Nosova.

»Schenken wir doch der Stimme der Frauen Gehör, die als Stimme der Vernunft bezeichnet wird«, wünscht sich Kuratorin Mia Zabelka zu Beginn des PhonoFemme-Festivals im Wiener Konzerthaus. Dann stellt Irene Suchy das Thema des Festivals vor: Gesten. Sie erwähnt das »Strammstehen eines Chors, das Auf- und Niedersetzen« und als Gegenteil den ungebärdigen Liszt, der auf seinem Stuhl auf und ab hüpfte, oder Tschaikowsky, der kreuzweise auf dem Klavier spielte – die Hände über Kreuz. Sie kritisiert »unser weibliches Musizieren«, bei dem nur die »Rückseite des Rückens ge- duldet« wird, zum Beispiel bei der Violonistin. Die Pianistin saß mit dem Rücken zum Salon, das nannte sich »Damensitz«. »Frauen sollen sich kleiner bewegen«, führt Suchy aus, »wäre ich Hugo Portisch, würden meine Geste anders ausschauen«. Im Barock gab es ein Gesten-Alphabet und »bis Vivaldi hat das Publikum gewusst, dass die Gestik in der Partitur eingeschrieben ist«.

Adolf Hitler übte vor dem Spiegel Gesten ein und ließ sich dabei fotografieren, um Pathos und »Authentizität« zu lernen, auch bei Suchys anderen Fotobeispielen taucht dazwischen immer wieder ein Hitler auf. »Die Gebärdensprache ist UNESCO-Weltkulturerbe«, erklärt sie, »und führte zu Sound- painting und Trans Art.« Als »Gegenströmung zu dieser Militärischheit des Chores, der stillsteht« erzählt Suchy von ihrem verstorbenen Mann, »dem Zikerl (Otto M. Zykan, Anm.), der ein Stückerl für zwei Buben« schrieb und für den kleinen Buben, der nicht so viel konnte, eine einfache Partitur kom- ponierte, für den anderen Besserwisserischen aber viele hohe Töne. Ein lustiger Vortrag und ganz schön informativ, nur fallen Suchys weit ausholende Gesten nicht so ins Gewicht, weil jeder auf ihre strahlenden Augen schaut.

Atmen als Geste

Erstaunliche Geräusche macht die Stimmperformerin Audrey Chen, die mühelos immer lauter und lauter wird, und den Raum füllt. Aber von wegen Gesten! Steif und ganz still steht Chen in einem grauen Strickkleid da, macht keine einzige Geste und öffnet den Raum mit ihrer Stimme. Rotes Licht, wie doppelstimmig klingendes Gekreische, Holzboden im schönen Berio-Saal. Plötzlich gibt es schöne Töne dazwischen, die fallen auf. Schreien. Wie übt sie das nur? Und wann atmet sie? Ist Atmen eigentlich auch eine Geste, Chen holt sichtlich nie Luft, strömt auch keine aus – Kopfstimme, oder wie geht das? Ihre Stimme durchdringt alles, Gott sei Dank hat der Saal keine Fenster, aber die Lichter an der Decke knacksen seltsam, wie Gespenster, die sie ruft. Wenn sie schön singt, melodiös, hat man selber eine Atempause, Wiederholungsschleifen, die sich hinaufschrauben in lichte Höhen. Die Grenze zu schrecklichen Tönen ist nah in allen Bereichen. Au weia, nachher muss ich mich schütteln.

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Audrey Chen © Guy Bartell/Elisabeth Zimmermann

Arbeiten mit Armen und Beinen

Als nächstes kraxelt Olga Nosova im Dunkeln zu ihrem Schlagzeug, hustet – eine unprätentiöse, russische Schlagzeugerin mit Mädchen-Klammer im Haar. Nosova beschäftigt sich mit ihren Sur- roundings, hat viele Geräte mit, Trommelschlegel, nackte Arme, Gerät im Mund, schmeißt eine schwere Kette auf ihre Trommeln. Sonor heißt ihr Schlagzeug. Sie macht Krach, kommt klar aus der Krachmacherstraße, singt dazu. Alexei Borisov – ihr Kollge bei der Moskauer Band ASTMA – spielt auf einem Ding, das wie ein Gitarrenhals ohne Gitarre aussieht, Olga piept rein auf Russisch, sie pusht ihn, ist ungeduldig. Olga streicht immer wieder ihre Haare zurück, eine Geste, die Suchy vorher als angelernte Weiblichkeit deutete, ansonsten pragmatische hacklerische Geschäftigkeit. Sie wirbelt ständig, verwendet fast keine Becken oder Hi-Hats, und wenn dann nur zum Krachschlagen, heftig, heftig, »derschlägt« sich fast vor lauter Wirbeln. Schlagzeug als Geste funktioniert nicht, denn Schlagzeug setzt die Geste außer Kraft, da man ständig mit allen Armen und Beinen hackelt. Olga dreht an den Reglern, zieht an und winkt mit den Kabeln.

Rückkopplung

Gequetsche, Geknarre, Geknirsche, die Performance von Mia Zabelka schaut beinahe wie ein Jimi- Hendrix-Revival aus – mit Geige gespielt. Mit den Fingern wild auf der Geige auf und ab, ohne Bogen. Ein eifriger »Jimi Hendrix II«, ein zerstreuter Professor, der sein Gerät kaum bändigen kann. Später: In-sich-Zusammenziehen, Mia beugt sich hin und her vor ihren Geräten, die auf eine Art rück- koppeln, verstärken oder echoen, angetrieben vom Sound. Die Rückkopplung wirkt sich wieder auf ihren Körper aus. Und hin und her, Gerät und Mensch und Geige. Noch später: Frau in rotem Kleid mit schweren Armmuskeln: Auftritt Sofia Härding aus Schweden. Ihre Gitarre sendet Lichtblitze auf den Holzboden. Punk? Drei Griffe wäre Punk, aber Härding macht mehr. Das Schlagzeug überschlägt sich. »Can’t stand still«, schreit die schwedische Musikerin ins Mikro – das erinnert an die syrischen Flüchtlinge und ihr ständiges Movement. Schwedisch klingt cool. »I am so …, I am so …, I am so damned perfect«. Laurie Andersons Texte gefallen mir eindeutig besser, aber die waren ja nicht improvisiert. Ein ganz eigener Charakter, diese Olga, fulminantes Schlagzeug-Finish, es bricht und stürmt aus ihr heraus.

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One Night Band – Olga Nosova/Mia Zabelka/Alexei Borisov/Sofia Härig © Guy Bartell/Elisabeth Zimmermann

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